Mit oder ohne

Unsere Hände stellen für Lebensmittel das höchste Verunreinigungsrisiko dar. Lohnt es sich darum, in der Küche Handschuhe zu tragen? Nur bedingt, sagten Experten. Manchmal sorge erst recht für Dreck, was als Hygienemassnahme daherkomme.
Text: Virginia Nolan – Fotos: Tina Sturzenegger
Veröffentlicht: 20.11.2016 | Aus: Salz & Pfeffer 7/2016

Es gibt uns ein gutes Gefühl, wenn der Metzger an der Fleischtheke Handschuhe trägt. Sauberkeit ist schliesslich das A und O, wo Lebensmittel ins Spiel kommen. Und: «Die Hände sind Kontaminationsquelle Nummer eins, wenn es um Verunreinigung durch Mikroorganismen bei Lebensmitteln geht», weiss Anton Pfefferle, Vizedirektor und Leiter Ausbildung an der Hotelfachschule Belvoirpark. Über die Hände würden Mikroorganismen aus dem Darm, von der Kopfhaut, des Nasen-Rachenraumes und von schmutzigen Gegenständen wie etwa ungewaschenem Gemüse verbreitet. Um auf Nummer sicher zu gehen, nehmen sich darum viele Gastronomen ein Beispiel an der Lebensmittelindustrie: Sie setzen auf Einmalhandschuhe. Das ist hygienischer – oder?

Der Profi kann das nicht bestätigen. «Die Erfahrungen zeigen, dass Handschuhe nicht häufig genug gewechselt werden», sagt Pfefferle. Auch gehe nach dem Tragen das Händewaschen oft vergessen, was dazu führe, dass Bakterien, die sich im feuchten Milieu zwischen schwitzender Haut und Handschuh gebildet hätten, auf Lebensmittel übertragen würden: «Damit stellen Handschuhe ein grösseres Verunreinigungsrisiko dar als richtig und regelmässig gewaschene Hände.» Handschuhe könnten die Händehygiene niemals ersetzen, sondern lediglich unterstützen. Nötig seien sie bei unfall- oder krankheitsbedingten Verletzungen an den Händen, für alles Übrige rät Pfefferle, ihren Einsatz auf kurze Arbeitsvorgänge mit heiklen Lebensmitteln zu beschränken. Dazu zählt er, was mit Verzögerung zum Gast gelangt: Salate, Desserts oder kalte Speisen für Buffets etwa oder Gerichte, die vorproduziert und erst Stunden später aufbereitet werden. Hier empfiehlt der Profi Einmalhandschuhe fürs Mischen, Anrichten, Portionieren und Verpacken. Die Angewohnheit vieler Köche, im Umgang mit rohem Fleisch – insbesondere Poulet – auf Handschuhe zu setzen, hält Pfefferle nicht für zweckdienlich: «Es bringt nicht viel, weil Mikroorganismen auf sämtliche Gegenstände übergehen, die mit dem Fleisch in Berührung kommen: Schneidbrett, Ablage, Messer. Hier hilft nur die gründliche Reinigung von Händen und Material.»

Die Sache mit der Händehygiene sei ein zweischneidiges Schwert, sagt auch Carola Wolf, Lebensmittelchemikerin und Geschäftsführerin von Carolite Consulting, einem Beratungsunternehmen im Bereich Lebensmittelsicherheit: «Die Verwendung von Einmalhandschuhen ist bei einer konstanten, sich wiederholenden Tätigkeit mit derselben Produktegruppe sinnvoll. Sobald ein Produktwechsel stattfindet, wie es in der Restaurantküche häufig der Fall ist, wird es komplex – dann müssten theoretisch jedes Mal die Handschuhe gewechselt werden.» Das sei in der Praxis kaum praktikabel. «Wir wiegen uns gern in falscher Sicherheit, was Hygiene betrifft», sagt Wolf, «wenn wir Handschuhe tragen, bemerken wir häufig nicht, dass wir mit ein und demselben Exemplar bereits mehrere Dinge angefasst haben.»

«Pseudohygiene», sagt Fachdozent Pfefferle dazu. Allzu oft, bemängelt er, sei der Handschuh eine Alibiübung; dann nicht nur nutzlos, sondern auch schädlich. Das weiss auch Manuela Stockmeyer von der SV Group. Nichtsdestotrotz seien Handschuhe aus Sicht des Gastes Symbol für sauberes Arbeiten. Das Branchengewicht der Gemeinschaftsverpflegung rät seinen Köchen deshalb, sie dort anzuziehen, wo der Gast Einblick hat, etwa beim Front-Cooking. «Generell empfehlen wir das Tragen von Handschuhen aber nur für kurze Arbeitsschritte, etwa zum Marinieren von Fleisch oder für die Zubereitung von Speisen, die danach nicht mehr erhitzt werden», sagt Stockmeyer. Auch im Umgang mit geruchsintensiven oder abfärbenden Lebensmitteln sei es ratsam. Schliesslich, sagt Stockmeyer, dienten Handschuhe nicht nur dem Schutz des Produktes, sondern auch der Haut.

Spitzenkoch Stefan Heilemann, der im Restaurant Ecco des Zürcher Hotels Atlantis by Giardino das Zepter führt, greift ebenfalls auf Handschuhe zurück, wenn er es mit Chili, Knoblauch und Co. zu tun hat. «Ich trage sie auch im Umgang mit Meeresfrüchten oder Poulet», sagt er. Auch Basil Nufer, Küchenchef im Restaurant Spitz im Landesmuseum Zürich, verwendet Handschuhe, um sich vor starken Gerüchen oder Säuren zu schützen. Für alles andere brauche er keine: «Handschuhe schränken mein Fingerspitzengefühl ein.» Das sei nicht nur handwerklich, sondern auch für die Hygiene ein ausschlaggebender Punkt, sagt Christian Rausser, Geschäftsführer der gleichnamigen Handelsfirma, die unter anderem Arbeits- und Einwegbekleidung für Gastronomie und Lebensmittelindustrie vertreibt. «Mit blossen Händen spüren wir, wenn wir etwas an den Fingern haben», sagt Rausser. «Es fühlt sich nass, klebrig oder eben einfach schmutzig an. Mit Handschuhen funktioniert dieses Sensorium nicht.» Rausser, der auch davon lebt, seine Handschuhe an den Mann zu bringen, rät nichtsdestotrotz dazu, sie mit Bedacht einzusetzen: «Der Handschuh hat seine Berechtigung, aber man muss sich etwas überlegen dabei.» Was er auf Betriebsbesuchen erlebe, sei mitunter «der Wahnsinn», so trage einer schon mal drei Stunden lang dieselben Handschuhe. «Da haben Sie nachher ein Biotop an Mikroorganismen auf den Händen», sagt Rausser. Auch er empfiehlt Handschuhe nur für kurze und bestimmte Arbeitsvorgänge; wer es richtig machen wolle, ziehe sie nach einer halben Stunde wieder aus oder streife sich zumindest ein neues Exemplar über.

Einmalhandschuhe für die Küche gibt es aus Latex sowie in den Kunststoffvarianten Vinyl und Nitril. Latex, das traditionell aus der Kautschukpflanze kommt, wird heute auch synthetisch hergestellt. Es hat den höchsten Tragekomfort, aber eben auch den Nachteil, dass es beim Träger Allergien auslösen kann. Nicht ganz so elastisch und dünn wie Latex, aber auf bestem Weg dahin sei die neuste Generation von Nitril-Handschuhen, sagt Rausser: «Sie sind mittlerweile fast so bequem wie Latex – und allergenfrei.» Hundert Paar Einmalhandschuhe aus Latex kosten durchschnittlich fünf Franken, das Pendant aus Nitril sechs bis sieben Franken. Die billigste Variante für rund vier Franken pro Hunderterbox sind Vinylhandschuhe. Das Material steht allerdings unter Verdacht, gesundheitsschädigend zu sein, weil es Weichmacher enthält, sogenannte Phthalate, die auf den menschlichen Organismus eine hormonähnliche Wirkung haben. Phthalate seien fettlöslich, sagt Lebensmittelchemikerin Wolf, die Gefahr, dass sie auf Lebensmittel übergingen, sei gerade im Umgang mit fetthaltigen Rohstoffen wie Öl, Käse oder Fleisch gegeben. «Wir wissen zwar nicht genau, ab welcher Menge es problematisch wird», sagt Wolf, «aber Vinyl ist für den Umgang mit Lebensmitteln nicht empfehlenswert.» Auch Handschuh-Vertreiber Rausser legt seinen Kunden aus der Branche ans Herz, darauf zu verzichten. «Mit unterschiedlichem Erfolg», wie er sagt. Ob Handschuhe für den Umgang mit Lebensmitteln geeignet seien, stehe im Idealfall auf der Packung, erklärt Lebensmittelchemikerin Wolf. Sie rät ausserdem von gepuderten Exemplaren ab: Der Puder aus Maisstärke sei zwar nicht giftig, aber unhygienisch, wenn er auf Speisen gelange.

Die SV Group setzt laut Sprecherin Stockmeyer auf Latexhandschuhe, für Allergiker stünden Alternativen aus Vinyl zur Verfügung. Man verlasse sich dabei auf den Lieferanten, der auf Anfrage mitgeteilt habe, dass besagte Vinyl-Handschuhe nur unbedenkliche Weichmacher enthielten – welche genau, sei kurzfristig nicht in Erfahrung zu bringen. Koch Heilemann weiss nicht, aus welchem Material seine Handschuhe sind: «Ich nehme, was bestellt wird.» Das gelte im Übrigen auch für die Farbe. Schwarz gelte im Moment als hip, «aber den Trend», schmunzelt Heilemann, «muss ich nicht mitmachen.»



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