Auf der Schoggiseite

Die Zürcher Slow-Food-Gastronomin Laura Schälchli ist unter die Chocolatiers gegangen. Ihre Manufaktur La Flor hat dieser Tage den Betrieb aufgenommen.
Text: Virginia Nolan – Fotos: Lukas Lienhard, Nom Nom
Veröffentlicht: 16.03.2018
Schokolade könne es in Sachen geschmacklicher Komplexität durchaus mit Wein aufnehmen, sagt Laura Schälchli, Geschäftsführerin von La Flor.

«Kakao hat 600 verschiedene Aromakomponenten.»

Mit sich herumgetragen hatte sie den Wunsch schon lange. Laura Schälchli war noch Studentin an der Universität für gastronomische Wissenschaften im norditalienischen Bra, als sie erstmals Kontakt mit lokalen Schokoladenmanufakturen hatte – und in ihrem Kopf die Idee reifte, das Metier dieser handwerklichen Kleinproduzenten dereinst selbst aufzunehmen. Fast ein Jahrzehnt später hat Schälchli Nägel mit Köpfen gemacht: Die Zürcher Slow-Food-Gastronomin, bekannt für ihre Pop-up-Projekte und die kulinarische Plattform Sobre Mesa, ist unter die Schokoladenproduzenten gegangen. La Flor, ihre Schokoladenmanufaktur im Zürcher Binz-Quartier, hat diese Woche offiziell den Betrieb aufgenommen. Zum Gründerteam gehören nebst Schälchli die Grafikerin Zelia Zadra, Heini Schwarzenbach vom gleichnamigen Zürcher Kolonialwarengeschäft sowie Gastronom Ivo Müller, Mitinhaber des Restaurants Rosso und der Bar Basso in Zürich. Als Fachmann für die Produktion hat das Quartett Finn Ramseier verpflichtet. Zu den beruflichen Stationen des jungen Lebensmitteltechnologen gehören etwa die Cioccolateria Casa Nobile sowie Felchlin, die auf Grand-Cru-Schokolade spezialisierte Manufaktur in Schwyz.

In der ehemaligen Backstube der Bäckerei Buchmann wird nun in die Tat umgesetzt, was in über zweijähriger Tüftelei erprobt wurde: die Produktion einer Schokolade mit unverfälschtem Kakaogeschmack. «Eine gute Schokolade», sagt Schälchli, «braucht nicht mehr als Kakaobohnen, Zucker und etwas Kakaobutter.» Letztere schenkt der Schokolade ihren unverkennbaren, cremigen Schmelz. Um dieses Mundgefühl zu verstärken, setzt die Industrie auf den Emulgator Lecithin. Bei La Flor verzichtet man darauf, ebenso wie auf Vanille oder Vanillin, die synthetische Form des Gewürzes. Solche Beigaben dienten nicht dazu, Schokolade zu veredeln, sagt Schälchli, sondern kompensierten mangelhaftes Aroma minderwertiger Bohnen.

Und bei La Flor gibt es freilich nichts zu übertünchen. «Wir arbeiten mit Kleinproduzenten, die wir persönlich kennen», sagt Schälchli. Die Bohnen liefern drei Kakaobauern aus Ecuador, Brasilien und Venezuela. Einer davon ist Roland Müller, der Vater von La-Flor-Mitgründer und Gastronom Ivo Müller. Zusammen mit seiner Partnerin Jennifer Tibbaut betreibt er im brasilianischen Bahia eine bio-zertifizierte Hazienda, die Kakao nach traditionellen Methoden und als Teil der natürlichen Flora und Fauna in Mischkultur anbaut. Auch in Ecuador sind mit Auslandschweizer Samuel von Rütte und seiner Frau Anita Basurto Battalas erfahrene Agronomen am Werk, während La Flor in Venezuela mit einem Jungunternehmer zusammenarbeitet, der das Handwerk seines Vaters fortführt.

 

Die junge Zürcher Schokoladenmanufaktur hat in den ehemaligen Produktionsräumen der Bäckerei Baumann im Binz-Quartier ein temporäres Zuhause gefunden. Ende Jahr läuft die Zwischennutzung aus.
Das Team hinter La Flor (v. l. n. r.): Slow-Food-Aktivistin Laura Schälchli, Gastronom Ivo Müller, Lebensmittelingenieur Finn Ramseier, Feinkosthändler Heini Schwarzenbach und Grafikerin Zelia Zadra.
Die Früchte der Hacienda Limón in Ecuador gedeihen auf nährstoffreichem Boden vulkanischen Ursprungs. Die Kakaobohnen schmecken auf der Zunge nussig und erinnern im lang anhaltenden Abgang an dunkle Beeren.
Die zerbröselten und geschälten Kakaobohnen werden im Kombisteamer geröstet. Minimale Veränderungen bei Zeit und Temperatur schlagen sich sofort im Aroma nieder.

Weg vom uniformen Massenprodukt, hin zum Unikat: La Flor will für Schokolade mit Charakter stehen. Ecken und Kanten soll sie haben – und sich im Gaumen dennoch als runde Sache präsentieren. Das ist nicht minder kompliziert, als es klingt. Besonders anspruchsvoll sei das Rösten, sagt Produktionsleiter Finn Ramseier: «Minimale Veränderungen bei Temperatur und Zeit können das Aroma verändern und im schlimmsten Fall verderben.» Nach dem Rösten kommen die geschälten Kakaobohnen in den Mélangeur, in dem sie während rund 70 Stunden zwischen Steinplatten gerieben werden. Der Clou des sogenannten Conchierens, sagt Ramseier, liege im langen Rühren der Schokoladenmasse: Das bewirke eine gute Durchlüftung, dank der sich unerwünschte Bitterstoffe verflüchtigten. Die beim Reiben entstehende Wärme intensiviere die Aromen und mache die Masse cremig.

Schokolade könne es, was ihre geschmackliche Komplexität betreffe, durchaus mit Wein aufnehmen, sagt Schälchli: «Kakao hat 600 verschiedene Aromakomponenten.» Eine Ahnung dieser Vielfalt vermitteln bereits die drei Sorten, die Schälchli verarbeitet. Bei den violett-weissen Bohnen aus Venezuela registriert die Nase eine rauchige Note, im Gaumen schmecken sie nach Zimt, Kardamom und Pfeffer. Nussig kommt die Schokolade aus Ecuador auf der Zunge daher; im Abgang, der sich erst nach einer Weile einstellt und lange anhält, erinnert sie an dunkle Beeren. Fruchtig, aber von vergleichsweise intensiver Säure ist die brasilianische Variante. Solche Nuancen seien in der Schokolade der Industrie, die Bohnen eher nach Ertrag denn Qualität beurteile und beliebige Sorten vermenge, nicht mehr wahrnehmbar, sagt Schälchli: «Es ist, als würde man unterschiedliche Weine einfach zusammenschütten.»

90 Kilogramm Schokolade produziert La Flor in einer Woche, rund sechs Tonnen pro Jahr sollen es dereinst werden. Derzeit sind die Tafeln zum Preis von 5.40 Franken (40 Gramm) bis 9.50 Franken (70 Gramm) an drei Zürcher Verkaufsstellen erhältlich: Der Bachser Märt Kalkbreite, der Marktladen Berg und Tal sowie das Kolonialwarengeschäft Schwarzenbach führen sie. Der Gastronomie seine Schokolade schmackhaft zu machen, ist der nächste Schritt des Jungunternehmens, das ausserdem nach einem definitiven Produktionsstandort Ausschau halten muss. Die Zwischennutzung des Gewerbehauses in der Binz läuft per Ende Jahr aus. Bis dahin hofft Schälchli, einen neuen Standort gefunden und ihre Schokoladenfabrik um ein kleines Café ergänzt zu haben.

Mehr Informationen zu La Flor gibts hier.

Bean to Bar
Von der Bohne bis zur fertigen Tafel, so lautet der Trend der Stunde, der die USA oder Belgien lange vor der Schokoladenhochburg Schweiz erfasst hat. Er bezeichnet eine handwerkliche Machart, die den ganzen Herstellungsprozess der Schokolade unter einem Dach vereint. Nebst La Flor gibt es auch andere Produzenten, die sich in diesem Bereich hervortun. Zum Beispiel Kay Keusen von Taucherli, der für seine neuen limitierten «Bean to Bar»-Editionen einen veritablen Maschinenfuhrpark anschaffte, um «wirklich alles» selber machen zu können: vom Sieben der Bohnen übers Rösten, Brechen und Schälen, das Melangieren und Conchieren bis hin zum Giessen der Tafel, dem Kühlen, Ausformen und Einpacken. Ebenfalls in Zürich beheimatet ist die Manufaktur Garçoa, die sortenreine Tafeln aus fair gehandeltem Kakao herstellt. Fabian Rimann, ehemaliger Chefpatissier im Zürcher Hotel Baur au Lac, führt in Wettingen eine Schokoladen-Boutique und wurde für seine handgemachten Kreationen mehrfach ausgezeichnet. Derweil produziert der Zürcher Sänger und Unternehmer Dieter Meier kalt gepresste Schokolade. Auf Hitze verzichtet auch Naturkostbar: Die Manufaktur aus dem bernischen Steffisburg ist auf Rohkost spezialisiert und stellt Schokolade aus nicht gerösteten Kakaobohnen her. Als der Mann für ungewöhnliche Geschmackskombinationen gilt Fabian Rehmann aus Basel: So vermählt er Schokolade etwa mit Olivenöl oder Aceto Balsamico.



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