Kaffee im Fokus

Der Dokumentarfilm Overextracted gibt Einblick in das Herz der Schweizer Baristaszene. Filmemacher Kevin Rechsteiner begleitet darin Aficionados auf ihrer Mission, der Schweiz eine Kaffeekultur zu bescheren.
Text: Virginia Nolan – Fotos: z. V. g.
Veröffentlicht: 15.09.2017
«Kaffee hat als Genussmittel unglaublich viel Potenzial und steht Wein darin in nichts nach», sagt Kevin Rechsteiner.

«Kaffee zu zelebrieren, braucht Zeit und Musse.»

Heute haben Sie Ihren Dokumentarfilm veröffentlicht. Was erwartet die Zuschauer?
Kevin Rechsteiner:
Sie erfahren in 70 Minuten, wer und was in der Schweizer Baristaszene angesagt ist. Der Film gibt einen umfassenden und intimen Einblick in einen Kreis von Aficionados, die sich mit Leib und Seele dem Kaffee verschrieben haben. Wir sehen, wie sie hunderte von Stunden in die Zubereitung des perfekten Kaffees stecken und mit viel Herzblut versuchen, in der Schweiz eine Kaffeekultur zu etablieren. Der Film zeigt ungeschminkte Leidenschaft, mit allen Höhen und Tiefen.

Was hat Sie dazu bewogen, einen Film über Kaffee zu machen?
Meine Frau kommt aus Norwegen, wo ich in den vergangenen Jahren viel Zeit verbracht habe. Ich traf dort auf eine Kaffeekultur, wie ich sie aus der Schweiz nicht kannte: Die Leute fachsimpelten über Herkunft, Zubereitungsart und Röstgrad, bevor sie ihren Kaffee tranken. Das begeisterte mich. Dabei war ich bis dahin nicht einmal Kaffeetrinker gewesen. Wieder daheim, fing ich an zu recherchieren, besuchte Baristakurse. 2013 verbrachte ich viel Zeit in den USA und stellte fest, dass Spezialitätenkaffee auch dort richtiggehend zelebriert wird. Zurück in der Heimat, machte ich mich auf die Suche nach Schweizer Kaffeefreaks – und traf auf Leute, die mit einer unglaublichen Passion am Werk sind. Ich wollte ihr Schaffen dokumentieren.

Im Film greifen Sie die Frage auf, ob dieses Schaffen auch auf Nachfrage stösst. Was sagen Sie dazu?
Für den Normalverbraucher bleibt Kaffee der obligate Muntermacher, eine Selbstverständlichkeit, kein Genussmittel. Wenn Entwicklungen aus der Spezialitäten-Kaffeeszene die breite Masse erreichen, wird daraus oft ein Hype, ohne dass die Leute das Produkt dahinter verstehen. So tranken diesen Sommer alle Cold Brew, einfach, weil es heiss war. Dass Cold Brew mehr ist als einfach nur kalter Kaffee, wissen die wenigsten. Nichtsdestotrotz wächst die Zahl der Kaffeefans, die mehr erfahren wollen. Spezialisierte Kaffeebars wie das Mame oder das Coffee in Zürich stossen auf grosses Interesse. Der Schlüssel zu ihrem Erfolg sind Baristas, die ihre Arbeit mit viel Wissen und Herzblut pflegen. Noch mangelt es der Gastronomie an solchen Leuten.

Hat den Kaffee erst spät für sich entdeckt: Dokumentarfilmer Kevin Rechsteiner

Warum?
Kaffee zu zelebrieren, braucht Zeit und Musse. Die Realität vieler Betriebe sieht aber so aus, dass auch die Bar schmeissen, Cocktails mixen oder Lunch servieren muss, wer den Kaffee macht. Dennoch dürften viele Gastgeber registrieren, dass die Leute sich zunehmend für Spezialitätenkaffee interessieren und entsprechende Konzepte beim Gast gut ankommen. 

Ein Potenzial, das Gastronomen besser nutzen sollten?
Ich weiss nicht, ob ich das so sagen würde. Klar: Kaffee hat als Genussmittel unglaublich viel Potenzial und steht Wein darin in nichts nach. Aber Kaffee, wenn wir bei diesem Vergleich bleiben, ist ungleich komplizierter im Handling – man kann viel falsch machen. Beim Wein muss der Gastgeber, vereinfacht gesagt, die richtige Flasche wählen, den Kaffee muss er selbst zubereiten. Wenn ihm dafür das Wissen fehlt, schmecken die besten Bohnen schlecht. Es ist wie in der Küche: Gute Zutaten bringen nichts, wenn es am Handwerk hapert. Aber es wäre natürlich schön, würden Gastronomen dem Kaffee in Zukunft mehr Aufmerksamkeit schenken – das beginnt damit, zu checken, ob die Bohnen im Behälter auch frisch sind und die Maschine sauber ist.

Zu guter Letzt: Warum trägt Ihr Film den Titel Overextracted?
Namensgeber des Films ist Daniel Hofstetter, ein Freund von mir und amtierender Schweizer Filterkaffeemeister. Overextracted ist ein Begriff aus der Kaffeewelt. Während «unterextrahiert» bedeutet, dass der Kaffee wässrig schmeckt, steht der Begriff «überextrahiert» für einen etwas stark geratenen, sehr dichten Kaffee. Und genauso, befand Daniel, sei mein Film: dicht, weil so vollgepackt mit Infos. Ich nehme mal an, das war als Kompliment gedacht.

Zum Video
Der Dokumentarfilm Overextracted von Kevin Rechsteiner ist auf www.overextracted-film.com zu sehen.

Zur Person
Kevin Rechsteiner ist Mitinhaber einer Kreativagentur im Zürcher Unterland. Seinen Alltag bestreitet er wahlweise als Fotograf, Filmer, Videoblogger, Eventorganisator, Radiomoderator oder Kaffeeliebhaber.
www.kevinrechsteiner.com



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