Datteln und Ducasse

Nach Doha fliegt niemand des Essens wegen. Oder vielleicht doch? Kurz vor der Fussball-WM denken die Katarer darüber nach, wer sie sind und wie sie ihre Küche präsentieren wollen. Auch mit Hilfestellung internationaler Experten.
Text: Wolfgang Fassbender – Fotos: z. V. g., Victor Bellot – Qatar Tourism
Veröffentlicht: 29.08.2022 | Aus: Salz & Pfeffer 4/2022
Restaurant Jiwan, Doha

Satt wird man in der bebauten Wüste allemal.

Masaharu Morimoto ist selbst da. Was nun alles andere als selbst­ verständlich ist, denn der aus Fernsehen und realer Fusion-­Gastronomie bekannte Japaner verfügt über ein ganzes Imperium von Restaurants. Hawaii, New York, Mexiko City. Oder Doha. Also jene Hauptstadt, die sich binnen weniger Jahr­ zehnte vom Perlenfischerdorf zur Metro­pole entwickelt hat. So schnell, dass selbst die lizensierten Guides nicht mehr hinter­herkommen. Hier, sagt die Touristen­führerin, sei bis vor zwei Jahren nur Wüste gewesen. Und dort, ergänzt sie, entstehe gerade das allerriesigste Einkaufszentrum des ganzen Landes. Noch nicht fertig, aber bis zur Fussball­-Weltmeisterschaft müsse alles parat sein. (Wird es, darauf kann man wetten.) Irrwitzig war das Tempo, in dem Katars Herrscher ihre Wüstenei entwi­ckelten, immer schon. Aber nachdem Joseph Blatter vor ein paar Jahren die freu­dige Nachricht aus dem Umschlag ge­zogen hatte, steigerte sich alles ins Unermessliche. Nicht nur Stadien entstanden, auch Hotels, Einkaufszentren, Wohn­blöcke. Nicht zu vergessen: Restaurants. Burger gibt es, Italienisches ist beliebt, und selbst in der grellsten Junihitze brau­sen Mofas durch die Strassen, um für ra­sche Auslieferung der Pizzen zu sorgen. Abkühlen können die, das steht fest, nicht so schnell.

Satt wird man in der bebauten Wüste al­lemal, doch an guten Restaurants herrscht Mangel. Zumal niemand sagen kann, was gut ist und was nicht. Beim Nachbarn in Dubai kann man nun, nachdem die erste Ausgabe des Guide Michelin erschienen ist, quasi offiziell nach dem Rechten sehen. In Doha muss man auf Mund­-zu-Mund­-Propaganda setzen – und die ist mit Vorsicht zu geniessen. Man solle in die B­ Lounge gehen, raunt man dem aus der Schweiz angereisten Rechercheur zu. Schön, also hin. Ein feines Restaurant im Ritz-­Carlton, gleich am Meer. Hier wer­ den Berge an Sushi, Gyozas und andere Standards der asiatischen Küchen auf Platten gehäuft. Die Qualität ist gut, der Service herzlich, die Mengen sind un­beschreiblich. Viel zu servieren, viel zu essen, viel mitzunehmen sind die drei Grundregeln der katarischen Gastro­nomie. Aber B­-Lounge-­Essen kann man auch anderswo finden, selbst in der Schweiz, und dort wäre das Glas Weiss­wein sicher billiger.

Wer Wein trinkt in Doha, ist freilich selbst schuld. Die aus Zitrusfrüchten oder Gra­natäpfeln hergestellten Drinks ohne Alko­hol sind so kalt und so frisch, dass man nichts vermisst. Dazu Mezze zu bestellen, die im gesamten arabischen Raum gelieb­ten Vorspeisenvariationen, ist anzuraten; Hauptgänge kann man sich geflissentlich sparen. Unaufgefordert packen die Kell­ner später Säcke mit Baba Ganoush, Hum­mus, Brot und Salaten zum Mitnehmen. Aber ist das alles, was Doha kulinarisch zu bieten hat?

Also doch zu Morimoto ins Hotel Mon­drian. Immer mal wieder komme er vor­ bei, sagt der freundliche Herr von fast 70 Jahren, mit den passenden kulina­rischen Vorsichtsmassnahmen. «Im Flugzeug esse ich nie etwas.» Einmal angekom­men, spreche er mit dem Team, setze seine Standards durch, lasse den einzelnen Res­taurants aber auch Freiheiten. «In Doha sehe ich viel Potenzial», sagt Morimoto.

Masaharu Morimoto
Morgan Perrigaud
Restaurant Morimoto, Hotel Mondrian, Doha

Muss ja auch, nach der WM, irgendwie weitergehen. Die Hotels sind vorhanden, das Tourismusmanagement weiss, dass ab dem 19. Dezember viele Betten mit Nichtfussballtouristen gefüllt werden müssen. Auch mit Gourmets. Morimoto hat für sie Sake ausgewählt, einen Chef ’s Table etabliert, die Cocktailauswahl ist nicht schlechter als in vergleichbaren Eta­blissements in den USA oder London. Dazu Garnelen, Hummer, Tajima Beef aus der japanischen Präfektur Hyogo und schicke Models, die auf der Facebook­-Seite posieren. Ob das die Zukunft der katarischen Gastronomie ist? Kaliforniens Starkoch Wolfgang Puck verfügt über ein Outlet, Gordon Ramsay ist im noblen St. Regis untergebracht, wo der Blick noch mehr auf Wasser und Strände und weniger auf Schnellstrassen fällt als vom Mondrian aus. Essen kann man da bestimmt gut, und weilt der berühmteste Pöbler der Küche vor Ort, ist für Glamour-Factor gesorgt.

Aber ob das reicht, um kulinarische Iden­tität zu schaffen? Vielleicht findet man selbige eher anderswo in Doha. Im Souq Waqif zum Beispiel, im Zentrum der alten Stadt, in dem die Kataris neben Gastarbei­tern und Touristinnen sitzen, man ein Pfund feinste getrocknete Peperoni für umgerechnet zehn Franken kaufen kann und die Beizen angenehm rustikal ausse­hen. Im Viertel Musherib dagegen dürfte die Küche von morgen nicht zu finden sein. Der zentrale Platz des historischen, aber von Grund auf renovierten Quartiers wirkt am Mittag wie ausgestorben, und die Restaurants sind im doppelten Sinne so kühl, dass keine Stimmung aufkommt. An die Differenz zwischen knackigen 17 Grad drinnen und im Sommer deutlich über 40 draussen muss (und kann) man sich gewöhnen, an architektonische Be­liebigkeit nicht.

Also auf ins Nationalmuseum, in dem sich Katars Vergangenheit zeigt, die Zukunft auch. Dass sie was tun müssen, bei den Frauenrechten, den Gastarbeiterrechten, den Menschenrechten, haben sie gemerkt; die Sheika, Katars First Lady, spricht im Video von Entwicklungen, die notwendig waren und seien. Über die Küche des Lan­ des erfährt man in den Ausstellungsräu­men allerdings wenig. Halt, im Museums­shop liegt ein in Folie eingeschweisstes Kochbuch. Tastes of Qatar, umgerechnet fast 80 Franken.

Mit dem Koch zu sprechen gelingt auch im vierten Stock des Museums nicht, in dem das Restaurant Jiwan Katars Natio­nalstolz auf essbare Weise umsetzen soll. An diesem Mittag sind nur wenige Gäste in jenem luftigen, mit Dachterrasse aus­ gestatteten Lokal, für dessen Küche nie­mand Geringeres als Alain Ducasse ver­antwortlich zeichnet. Der neue Chef de Cuisine vor Ort, der Franzose Morgan Perrigaud, scheint noch nicht da zu sein, sein Vorgänger schon weg – und der Wild Snapper ist aus. Warum und wie man hier kocht, erführe man gern, und was den Unterschied zwischen der katarischen Küche ausmacht und zwischen der, wie sie in anderen Teilen der arabischen Halbinsel gepflegt wird. Doch dass man Speisen erklärt, dass der Koch zu den Gästen geht, hat keine Tradition in Katar.

Dass Speisen dermassen auf den Punkt ge­würzt sind, wie das im Jiwan der Fall ist, allerdings auch nicht. Tatsächlich ist hier manches schon auf Ein­-Stern-­Niveau an­gesiedelt. Die Auberginen mit Joghurt und Arganöl sind so präzise abgeschmeckt, das Fladenbrot so fein mit Zitrone ange­reichert, das Labneh so animierend, dass man auf den ersten Bissen die Unterschie­de zur Feld­-, Wald-­ und Wüstenküche in Downtown Doha bemerkt. Safranreis zum Hammour, einer Barschart, ist eine Attraktion, weil perfekt gegart und mit hauchdünnen Scheiben frischer Kokos­nuss serviert. Das Dessert aus Griess, Rahm und Nüssen wirkt eher libanesisch als katarisch, aber sind nicht auch viele Schweizer Nachspeisen von der franzö­sischen Küche geprägt? Schliesslich das weltbeste Baklava, Dattelkekse und Ka­rak, ein mit Kardamom und Zucker ver­feinerter Tee. Wein und Schnaps fehlen im Jiwan, ist ja kein Hotel. Da sind sie streng, die Katarer. Obwohl: Ein paar Restau­rants gebe es mittlerweile, die eine Alko­hollizenz erworben hätten, verrät der Guide. Offiziell spricht man nicht drüber. Noch nicht.

Morimoto, Mondrian Doha West Bay Lagoon Doha, Katar +974 4045 5999, sbe.com

Jiwan, Nationalmuseum Museum Park Street Doha, Katar, +974 4452 5725, jiwan.qa



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