Der Dirigent

Laurent Eperon steht schon sein halbes Leben im Pavillon des Zürcher Hotels Baur au Lac am Herd. Von Langeweile keine Spur.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 29.05.2017 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2017

«Ich mag Pop-Art. Manchmal sieht man das auf meinen Tellern.»
Starten wir am Anfang: Warum sind Sie Koch geworden?
Laurent Eperon:
Das ist eine gute Frage. Weil es ein Beruf ist, in dem man etwas von A bis Z macht, glaube ich, weil man mit einem Produkt beginnt, es verarbeitet, entwickelt, verkauft – und das Resultat am Ende direkt vor dem Gast sieht. Als ich klein war, wollte ich aber eigentlich Dirigent werden.

Wieso das?
(Lacht) Nun ja, ich dirigiere heute ja schon auch – meine Brigade. Ich erinnere mich, wie ich als Kind ans Konservatorium ging, um ein Instrument zu lernen. Nach zwei Jahren hörte ich damit zwar wieder auf. Aber Musik mag ich nach wie vor, sie ist sehr wichtig, für die Kreativität, die Freude. Für alles. 

Dann läuft in Ihrer Küche immer Musik?
Im Gegenteil: nie. Das gibt bloss Ärger, wenn etwa nicht alle Mitarbeiter den gleichen Stil mögen. Ausserdem müssen wir uns konzentrieren: Jeder Service ist wie ein olympischer Wettkampf, und jeder Service ist anders. An manchen Tagen funktioniert nicht alles, wie es sollte, und um dann Fehler zu minimieren, müssen wir zu 150 Prozent konzentriert sein – damit am Ende mindestens 100 Prozent auf dem Teller liegen.

Wie gehen Sie damit um, wenn einer mal einen schlechten Tag hat?
Ich versuche, meine Leute zu motivieren. Wir kennen uns und unsere verschiedenen Charaktere, das hilft. Mein Souschef, mein Patissier, mein Chef Tournant, die sind schon jahrelang bei mir. Die Commis kommen und gehen, das ist klar und auch gut: Sie sind jung, bleiben zwei, drei Jahre und ziehen weiter, um mehr von der Welt zu sehen. 

Sie machten das etwas anders. Mit 40 feiern Sie im Baur au Lac heuer Ihr 20-Jahr-Jubiläum.
Stimmt, ich reiste allerdings immer, war viel draussen in der Welt, um mich kulinarisch zu entwickeln. Bloss gefiels mir hier von Anfang an, ich fühlte mich gleich wohl.

Ihre Vorbilder sind Frédy Girardet und Joël Robuchon, sagen Sie. Warum?
Ich sehe sie als Mentoren, an denen ich mich orientiere; sie sind bodenständig und sehr konzentriert auf den Beruf. Als ich die Kochlehre bestanden hatte, fragte mein Vater, wo ich das feiern wolle: Wir assen bei Girardet, das vergesse ich nie. Es gab Foie gras mit Sellerie und Reh ... super. Aber das Essen der beiden möchte ich nicht kopieren. Mir gehts um ihre Haltung, ihre Denkweise und Philosophie und erst danach um ihren Kochstil und darum, was sie auf den Teller bringen. Die französische Esskultur passt einfach zu mir.

Sie mögen es klassisch?
Nicht unbedingt. Ich arbeite durchaus zeitgemäss. Aber mir ist es wichtig, den Geschmack anzuerkennen. Die französische Küche stammt aus einer Zeit der Könige, in der man die Welt bereiste, um übers Essen herauszufinden, was es herauszufinden gibt. Auf diesen Erfahrungen und Erkenntnissen kann man meiner Meinung nach aufbauen: Dass es Kombinationen gibt, die nicht funktionieren, Aromen, die nicht zusammenpassen – das weiss man bereits und muss man heute nicht unbedingt erneut ausprobieren. Ich versuche, das alte Wissen auf die Gegenwart anzuwenden.

Machen Sie dafür doch bitte ein Beispiel.
Ich nehme nicht nur eine gute Karotte, sondern eine gute Karotte aus dem Thurgau. Weil der Fokus auf Regionalität heute wichtiger ist als früher. Wobei die Schweiz natürlich klein ist und sich die Frage stellt, wie man dieGrenzen zieht. Vielleicht ist auch Frankreich noch regional – weil da erst die nächsten Küsten liegen.

Das kann man wohl ziemlich unterschiedlich sehen.
Ich finde, da braucht es eine gewisse Flexibilität.

Die ist sicher auch im Umgang mit Ihren Gästen angebracht, die per se hohe Erwartungen haben – und vermutlich den einen oder anderen Extrawunsch.
Tatsächlich wissen meine Gäste ziemlich genau, was sie wollen. Zum Glück mögen sie aber grundsätzlich auch, was ich koche, und essen gern, was ich empfehle.

Wie würden Sie Ihre Küche selber beschreiben?
Pop-Art.

Wirklich?
Ja. Ich mag Pop-Art, und ich verehre Andy Warhol. Manchmal sieht man das auf meinen Tellern wirklich. Wenn man zum Beispiel an Andy Warhols Marylin Monroe in verschiedenen Farben denkt, passt dazu vielleicht eine Artischocke, die ich in unterschiedlichen Zubereitungen auf den Teller bringe. Man könnte das eine Symphonie nennen, eine Variation. Oder eben Pop-Art. 

Sehr schön. Verstehen Sie sich als Künstler oder als Handwerker?
Ein Künstler bin ich nicht, ich kreiere ja nichts. Im Französischen kann man das mit dem Wort «artisan» besser ausdrücken, auf Deutsch nennt man das vielleicht Kunsthandwerker.

Aber dass Sie nichts kreieren, stimmt natürlich trotzdem nicht ganz.
Dennoch wäre es zu arrogant, mich selbst einen Künstler zu nennen. Darunter verstehe ich einen, der komplett etwas Neues schafft. Der Kochberuf hingegen ist ein Handwerk – mit zur Kunst tendierenden Finessen.

Taschenkrebs N. R.-H.: Das Lieblingsgericht eines Stammgasts hat Laurent Eperon als Hommage an eben diesen auf die Karte genommen.
«St. Peterfisch ‹petites pêches› – Ingwer – Petersilie»
Während der Servicezeiten verlangt Laurent Eperon volle Konzentration. Er kann aber auch lustig – hier mit Souschef Maximilian Müller.

«Die Uniform ist auch eine Referenz an die Väter der französischen Küche.»
Sie haben das Metier von der Pike auf gelernt. Finden Sie heute noch Leute, die Ihrem Anspruch diesbezüglich gerecht werden?
Das wird in der Tat immer schwieriger; weil sich die Ausbildung verändert hat, aber auch, weil junge Menschen heute mehr Wert auf ihre Work-Life-Balance legen. Sie wollen am Wochenende frei haben und abends mit Freunden ausgehen können.

Worauf achten Sie denn, wenn Sie einen Mitarbeiter einstellen?
Dass er bleibt. (Lacht) Im Ernst: Ich mache eine Art mündlichen Vertrag. Natürlich kann ich keinen zwingen, sich für zwei oder drei Jahre zu verpflichten, aber ich sage: Junge, wenn du nicht planst, zwei oder drei Jahre bei mir zu bleiben, musst du gar nicht erst anfangen. Das meine ich schon verbindlich. Ausserdem achte ich darauf, dass auch die jungen Leute, die bei mir anheuern, Erfahrung in der Sterne-Gastronomie mitbringen. Das ist wichtig, weil der Druck hoch ist und alle wissen müssen, wie es läuft. Manchmal arbeitet man einfach von früher bis später.

Wichtig sind Ihnen auch saubere Schuhe.
Die sind eine Frage des Respekts, ja.

Wieso?
Manche Kleidervorschriften in der Küche sind einfach sinnvoll, saubere Schuhe gehören dazu. Wie eine weisse Bluse: Sie steht für Sauberkeit; nicht nur, weil man jeden Fleck sieht, sondern auch, weil man sie bei 90 Grad Celsius waschen kann – während eine schwarze Bluse nach einer Kochwäsche nur noch grau wirkt. Dann die Toque: Sie ist schlicht hygienisch. Und auch die Funktion des Halstuchs lässt sich leicht erklären: Es schützt den Koch, der zwischen Herd und Kühlraum grossen Temperaturunterschieden ausgesetzt ist. Natürlich ist die Uniform aber auch eine Referenz an die Väter der französischen Küche.

Sie haben klare Vorstellungen, auch in Bezug auf die Arbeitsweise Ihrer Mitarbeiter.
Das stimmt, wobei es mir stets darum geht, den Stress während der hektischen Servicezeiten zu minimieren. Unsere Gäste haben verschiedenste Wünsche, die wir, wann immer möglich, erfüllen. Das ist ein Grundsatz des Hauses. Und da hilft die japanische Mise en place.

Was ist das?
Kürzlich war ich als Gastkoch im Palace in Tokyo und sah, wie da gearbeitet wird: sehr, sehr genau. Als wir am späten Nachmittag ankamen, war die ganze Mise en place schon gemacht. Einer der Souschefs fragte, wie gross der Schnittlauch denn sein müsse. Ich sagte: drei Zentimeter. Also nahm der Souschef einen Massstab und schnitt damit jedes einzelne Stück.

Ganz ehrlich: Macht das einen Teller besser?
Das spielt überhaupt keine Rolle. Es geht um den Gedanken, der dahintersteckt, um diese Genauigkeit und um die Vorbereitung, die dazu führt, dass später kein Stress aufkommt. 

Perfektion ist auch für Sie ein grosses Thema. Sie streben nach dem zweiten Michelin-Stern.
Er ist ein erklärtes Ziel, ja, aber nicht nur von mir, sondern von meiner ganzen Brigade und in Absprache mit der Direktion. Daran arbeiten wir alle. Es ist ein Projekt.

Aktuell sind Sie einer der beiden Deutschschweizer Aufsteiger des Jahres von Gault & Millau. Wie hat das Ihre Arbeit verändert?
Ich empfange mehr Medien (lacht). Die Auszeichnung ist eine grosse Bestätigung für mich und meine Arbeit. 

Gibt es eigentlich ein Produkt, mit dem Sie sich momentan besonders beschäftigen?
Was ich immer gern mag, sind Raritätenkäse. Wenn ich da was entdecke, was mir gefällt, flippe ich aus wie ein kleines Kind. Zurzeit liebe ich den Bleu de Termignon, den ich auf dem Käsewagen anbiete und mit dem ich auf der Winterkarte arbeiten werde. Vielleicht kombiniere ich ihn mit Reh und Haselnuss und Topinambur. Ach, Produkte sind wirklich unglaublich wichtig! Was soll ein Goldschmied machen, wenn man ihm das Gold wegnimmt? Und was ein Koch ohne gute Lebensmittel? Man kann das natürlich auch als Herausforderung sehen. Gut möglich, dass es eines Tages keine Seezunge mehr gibt – darauf bereite ich mich durchaus vor, indem ich schon heute nach Alternativen suche, die sich für meine Arbeit eignen.

Wie kreieren Sie ein Gericht?
Die Idee entsteht im Kopf, diese Ahnung, was miteinander gut schmecken kann. Vermutlich ist das die wirklich künstlerische Komponente meines Schaffens. Wobei ich glaube, dass sie nur auf der Basis des Handwerks möglich ist – und wenn man eine gute Erziehung genossen hat.

Eine gute Erziehung?
Ja, ich bin überzeugt, dass man Kinder stets dazu anhalten soll, alles zu probieren, damit sie lernen, wie die Welt schmeckt. Wenn einer mit 20 erst anfängt, die Vielfalt der Aromen zu entdecken, ist es zu spät. In Bezug darauf bin ich meiner Familie wirklich dankbar. 

Dann vermute ich jetzt einfach mal, dass Sie als Kind gut gegessen haben.
Oh ja, ja, ja. Daheim kochte meine Mutter, wir assen den ganzen Sommer hindurch Gemüse und Früchte aus dem eigenen Garten. Meine Grossmutter in Lausanne war ebenfalls eine sehr gute Köchin, bei meinen Grosseltern in Rougement erlebte ich als Kind, wie man schlachtet. Und ich erfuhr, wie es ist, von einem Huhn gepickt zu werden, weil man sein Ei im Stall holt. An den Lebensmitteln war ich wirklich nah dran – und zwar von Anfang an.

 

Für Laurent Eperon ist es ein doppeltes Jubiläumsjahr: Der gebürtige Waadtländer kocht seit 20 Jahren im Restaurant Pavillon des Zürcher Hotels Baur au Lac – und amtet hier seit zehn Jahren als Küchenchef. Die Lehre absolvierte der quirlige 40-Jährige in der mit 16 Gault-Millau-Punkten dotierten Küche des Hotels Elite in Biel, anschliessend heuerte er im The Dolder Grand in Zürich als Commis an. Zwei Jahre später wechselte er ins Baur au Lac und sammelte in der Küche in allen Bereichen und auf allen Posten Erfahrung. Dabei blieb er nie stehen, belegte früh zusätzliche Kurse, nahm erfolgreich an Wettbewerben teil und bildete sich auf Reisen weiter, unter anderem an den Wirkungsstätten der renommierten Kollegen Daniel Humm in New York oder Anatoly Komm in Moskau. Eperon selbst führt heute eine zehnköpfige Brigade, hält einen Michelin-Stern sowie 18 Punkte von Gault & Millau. Dieser verlieh ihm für die aktuelle Ausgabe überdies den Titel des Aufsteigers des Jahres.

Restaurant Pavillon, Hotel Baur au Lac, Talstrasse 1, 8001 Zürich, 044 220 50 22, www.aupavillon.ch



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