«Die Abläufe sind zentral»

Sie vereint Ästhetik und Funktionalität: Leslie Nader hat sich auf die Inneneinrichtung von Restaurants spezialisiert. Ein Gespräch über das Spannungsfeld von Meinungen, Materialien und Multiplizierbarkeit.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 06.04.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 2/2021

«Einfach ein grosser Raum für alle? Das funktioniert nicht.»

Sie sind Expertin für die Gestaltung von Gastronomiebetrieben. Warum ist das für Sie besonders spannend?
Leslie Nader: Das Schöne daran finde ich, etwas für ein breites Publikum machen zu können – wobei die Herausforderung dann immer ist, ob ein Konzept den Leuten am Ende auch gefällt, ob es funktioniert. Man hat in dieser Dimension natürlich Möglichkeiten, die bei der Gestaltung eines privaten Raums kaum Thema sind.

Zum Beispiel?
Für den Umbau des Restaurants Yalda in Zürich reiste ich effektiv nach Marrakesch, kaufte dort ein und brachte die Ware nach Hause. Wir verwandelten das Lokal komplett in einen orientalischen Raum, konzipierten die ganze Theke neu. Daheim richtet man ja selten einen Raum ausschliesslich nach einem Motto ein.

Was ist denn bei der Einrichtung eines Restaurants elementar?
Es braucht Zonen. Einfach ein grosser Raum für alle? Das funktioniert nicht. Wir arbeiten zum Beispiel mit verschiedenen Sitzhöhen; mit niedrigen Sesseln für die Lounge, einer Zwischenhöhe, Barhockern. Das schafft Abwechslung und sorgt dafür, dass sich die Leute wohlfühlen. Das ist das Hauptthema unserer Arbeit: Der Gast soll sich willkommen und aufgenommen fühlen.

Wobei das zu einem grossen Teil ja in der Verantwortung jener Menschen liegt, die dann mit dem Gast umgehen. Inwiefern kann die Einrichtung da etwas beitragen?
Das geht Hand in Hand. Gastronomie ist die Summe vieler Faktoren, und sicher sind das Angebot und der Service, die Dienstleistung am Gast, wichtige Punkte. Die Einrichtung kann das passende Ambiente schaffen: mit einer Atmosphäre zum Sichwohlfühlen und aber eben auch mit Abläufen, die funktionieren.

Sie sprechen einen wichtigen Aspekt an.
Die Abläufe sind bei der Gestaltung eines Gastronomiebetriebs zentral: Sie müssen stimmen! Oft arbeiten wir dafür mit einem Küchenplaner, der eng mit dem Bauherrn oder dem Küchenchef im Austausch steht. Aber gerade in Neubauten, in denen die Investoren im Vorfeld einfach mal irgendein Gastrokonzept einplanen, um die Fläche zu vermieten oder zu verkaufen, begegnete ich durchaus kniffligen Ausgangslagen. Wenn die Anschlüsse total unpraktisch vorgesehen sind oder die Küche für den Gastronomen, der einziehen will, keinen Sinn ergibt, weil zum Beispiel die Laufwege viel zu lang sind ... Wir mussten schon komplett umplanen.

Wer hat diesbezüglich das Sagen, respektive wie stark können Sie als Expertin auf die Projekte überhaupt Einfluss nehmen?
Am Ende entscheidet der Bauherr, das ist klar und für mich auch kein Problem. Meistens arbeiten wir mit grossartigen Gastronomen als Bauherren zusammen. Die haben oft jahrelange Erfahrung, und dann macht die Zusammenarbeit grossen Spass. Ich finde, dass man das sieht, wenn man sich unsere Projekte anschaut: Wir haben nicht einen Stil, sondern fokussieren uns in jedem Konzept neu auf den Gast, das Produkt und die Geschichte, die im Raum erzählt werden soll.

Und wo passieren in der Innenraumgestaltung besonders oft Fehler?
Neben schlecht geplanten Abläufen vor allem bei der Beleuchtung. Sie entscheidet, ob sich ein Gast am Ende wohlfühlt oder nicht. Wichtig ist, dass nichts blendet und man alles dimmen respektive der Tageszeit anpassen kann. Viele verschiedene Lichtquellen, mit denen zum Beispiel Gegenstände oder Ecken ausgeleuchtet sind, geben dem Gast ein Raumgefühl. Ich persönlich liebe mehrere kleine, feine Lampen, die als Ganzes wirken. Elementar ist auch die Lichtfarbe, gerade im Hinblick darauf, dass das Essen auf dem Teller gut wirkt: Das Licht sollte weder zu warm noch zu kalt sein. Bei grossen Projekten arbeiten wir oft mit Lichtplanern zusammen – das ist aber nicht zwingend einfacher, weil diese auch wieder eigene Vorstellungen mitbringen.

Im Gestaltungsprozess treffen viele Meinungen und Sichtweisen aufeinander.
Ja, und eine Menge Planer. Die Zusammenarbeit ist aber auch sehr spannend; wir machen ja nicht nur einfach die Dekoration in einem Restaurant, sondern begleiten Projekte gestalterisch von A bis Z. Ich arbeitete schon zweieinhalb Jahre an einem Konzept mit, während ein kleinerer Umbau vielleicht nur ein paar Monate dauert. Grundsätzlich muss man sich einfach dessen bewusst sein, dass wir für unsere Arbeit Zeit brauchen, damit wir genau, sauber und effizient planen können. Schliesslich denken wir uns wirklich in ein Lokal hinein, befassen uns mit seiner Umgebung, seiner Geschichte.

Sie arbeiten auch für die Systemgastronomie. Inwiefern unterscheidet sich da die Gestaltung von der eines individuellen Lokals?
Die Multiplizierbarkeit ist dabei spannend. Nehmen wir als Beispiel das Yooji’s an der Zürcher Bahnhofstrasse: Dafür erarbeiteten wir zusammen mit der Firma Two Spice ein Konzept – mit bestimmten Materialien, Bestuhlungen, Bodenbelägen. Diese Parameter wurden auf alle Yooji’s, die folgten, angewendet. Und doch ist jedes Lokal eine eigene Geschichte, weil sich der Grundriss unterscheidet oder an einem Ort nur Take-out angeboten wird, während es an einem anderen doch Sitzgelegenheiten für die Gäste braucht. Was entfällt, ist die Recherche. Es ist von Anfang an klar, welche Materialien sich eignen.

Die Wahl der Materialien ist in der Gastronomie eine spezielle Herausforderung. Warum gerade hier?
Weil die Anforderungen sehr viel höher sind als im privaten Bereich. Zum Beispiel muss alles feuerfest sein, man sollte es leicht reinigen können, und es sollte der starken Abnützung standhalten. Die Zahl der Reglemente wächst ständig, gerade auch im Bereich der Nachhaltigkeit. Holz darf heute nicht mehr einfach irgendwoher importiert werden, wir müssen für unsere Kunden zunehmend Nachweise erbringen. Das hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert.

Nervt es Sie?
Nein, aber es ist aufwendig – und im Honorar oft nicht eingeplant. All diese Nachweise zu erbringen und Zertifikate einzuholen, ist eine echte Zusatzarbeit. Deshalb weisen wir bei unseren Kunden inzwischen klar aus, was in unserem Ansatz inbegriffen ist und was nicht.

Dennoch sei für Sie die Suche nach Materialien etwas vom Schönsten, sagen Sie.
Unbedingt. Wir sind immer auf der Suche nach dem Einzigartigen, das ist unser Firmenmotto. Und ich interessiere mich sehr für Materialien, die ungewöhnlich sind. Ein gutes Beispiel dafür ist das Hardwald Brewhouse in Zürich-Wallisellen. Wir nahmen darin das Thema Brauerei auf, machten etwa einen Abrieb mit Treberputz, verwendeten Jutetapeten und bemalten die Tische mit dunklem Bier.

Wie bitte?
Tatsächlich malten die Leute früher, wenn sie es sich nicht leisten konnten, Nussbaumholzimitationen auf Wände und Möbel, damit diese hochwertiger aussehen. Zum Einsatz kam dabei wirklich Bier oder auch Wein. Daran orientierten wir uns, und es sieht sehr cool aus. Toll war, wie viel wir in diesem Projekt experimentieren konnten.

Und wo finden Sie dann die effektiv neuartigen Materialien?
Normalerweise bin ich viel auf Messen, reise nach Mailand, Paris, einmal im Jahr sicher nach New York, besuche Museen und andere Restaurants. Zurzeit ist das ja nicht möglich und fehlt mir wirklich. Die Recherche im Internet ist schon nicht im gleichen Mass inspirierend.

Apropos Pandemie: Glauben Sie, dass die Erfahrungen, die wir gerade machen, Einfluss auf die künftige Gestaltung von Restaurants haben werden?
Das denke ich. Es wird jetzt kaum alles mit Abstand geplant, aber man wird beim Entwerfen im Hinterkopf haben, was passieren kann. Vielleicht wird man grundsätzlich modularer arbeiten, sodass sich Abstandsregeln einfacher umsetzen lassen oder ein Restaurant unkompliziert zu einem Take-out umfunktioniert werden kann. Oder man wird Vorrichtungen einplanen, um mit simplen Mitteln Trennwände zu installieren, die dann auch schön aussehen. Gespannt bin ich im Hinblick auf die Selbstbedienungsbereiche: Ich kann mir vorstellen, dass das Konzept des Buffets ein Stück weit ausgedient hat.

Abgesehen davon: Welche sonstigen Einrichtungstrends orten Sie im Bereich der Gastronomie aktuell?
Beim Essen dominiert das Thema Nachhaltigkeit, und das zieht sich bis ins Interior Design. In der Verwendung der Materialien, aber auch in der generellen Gestaltung: Die Menschen sind nachdenklicher geworden, besinnen sich aufs Einfache und wollen weniger Pomp als früher. Ich finde das sehr schön.

Zur Person
Geboren und aufgewachsen im aargauischen Rothrist, absolvierte Leslie Nader (59) die Lehre als Schaufensterdekorateurin und studierte anschliessend Interior Architecture in den USA. Zurück in der Schweiz, heuerte sie in Biel bei der Swatch an, die in ihren Kinderschuhen steckte. Nader verantwortete erst den internationalen Markt und wurde nach dreieinhalb Jahren nach New York versetzt. Sie blieb vier Jahre, kehrte der Liebe wegen jedoch erneut heim in die Schweiz, wurde Mutter und machte sich 1995 als Innenarchitektin selbstständig. 2014 gründete sie die Nader Interior GmbH und baute ein Team auf, zu dem aktuell sechs Leute gehören. Die Spezialisierung Naders auf die Gestaltung von Gastrobetrieben fand ihren Anfang 2000 mit dem Bergrestaurant Capalari in Laax. 2013 schaffte sie mit dem Konzept fürs Yooji’s-Flagship-Restaurant an der Zürcher Bahnhofstrasse den Einstieg in die Systemgastronomie. Insgesamt gestaltete Nader bis heute über 40 Restaurants mit, ihr neustes Projekt ist das Bohemia im Basler Hotel Märthof (siehe separate Box).

Nader Interior GmbH, Seefeldstrasse 152, 8008 Zürich, 044 380 88 30, nader-interior.ch

Bohème in Basel
Im Sommer eröffnet das Hotel Märthof in Basel. Das Vier-Sterne-Haus direkt am Marktplatz gehört zur Bâlehotels-Gruppe und umfasst 68 Zimmer, einen Fitnessraum, einen Wellnessbereich, einen Bankettraum und eine Dachterrasse sowie im Erdgeschoss einen Gastronomiebetrieb. Für dessen Gestaltung zeichnet das Team der Nader Interior GmbH verantwortlich. Das neue Restaurant trägt den Namen Bohemia und umfasst, die Terrasse mitgerechnet, 170 Sitzplätze. Die Innenarchitekten hatten unter anderem die Aufgabe, das Lokal in Verbindung zum Hotel sowie zum historischen Gebäude, in dem sich dieses befindet, zu gestalten. Immerhin ist die denkmalgeschützte Neubarockfassade aus dem Jahr 1894, kombiniert mit grosszügigen Fensterfronten, ein prägendes Element des Hotels.

Im Restaurant Bohemia bilden die Bar und die einsehbare Küche das zentrale Element. Sind die Köche bei der Arbeit, sorgt das Spionglas hinter der Bar für spannende Einblicke. Ist die Küche dunkel, spiegelt das Glas in den Raum zurück. Hochwertige Materialien wie grüner Marmor für die Abdeckung des Bartresens, Mosaiksteine für den Boden oder Samt für die Stuhlpolster verleihen dem Raum Exklusivität und sorgen zugleich für Behaglichkeit. Farblich bleibt Nader dezent, setzt eher auf den Kontrast von hell und dunkel sowie auf einzelne Akzente, die dem Gast in Erinnerung bleiben.

hotel-maerthof-basel.ch



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