«Eine Nische, aber wichtig»

Das grosse Potenzial von Hanfsamen als Lebensmittel erkannte Carlo Weber schon vor Jahren. Seither hat sich in der Schweiz – auch dank seinem Start-up – viel getan. Eine Bestandesaufnahme.
Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 15.06.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2021

«Alles, was aus Soja entsteht, wäre auch mit Hanf möglich.»

Ein Start-up zum Erfolg zu führen, ist eine besondere Challenge. Wie gehen Sie mit dem Stress um?
Carlo Weber: Es ist herausfordernd, aber genau, was ich suchte. Bereits als Koch spürte ich, dass mir eine Komponente fehlt, um mich auszuleben. Mit dem Lebensmitteltechnologiestudium suchte ich einen anderen Weg, war in der Forschung und in den Labors tätig. Aber auch das füllte mich nicht komplett aus. Schon im Studium sprach ich davon, einmal etwas Eigenes zu gründen.

Wann kamen Sie zum ersten Mal mit dem Lebensmittel Hanf in Berührung?
Das war an der ZHAW in Wädenswil, so um 2014 herum. Wir forschten damals an alternativen Proteinquellen und wollten wissen, was es neben Fleisch oder Soja sonst noch gibt. Wir untersuchten verschiedene Getreide, Gräser, aber auch Insekten – und Hanfsamen.

Erzählen Sie.
Ich war damals erstaunt, dass der Hanfsamen so reich an Protein und gleichzeitig an Öl ist. Auch dank meiner Kochausbildung realisierte ich, dass diese beiden Eigenschaften sehr viele Anwendungsmöglichkeiten bieten. Die Zusammensetzung und Struktur der Hanfnuss ist vergleichbar mit jener von Soja. Alles, was aus Soja entsteht, wäre auch mit Hanf möglich – mit dem Unterschied, dass Letzterer hier wächst und heimisch ist.

Alpenpionier ist vor vier Jahren angetreten, Hanf als Lebensmittel auf dem Teller zu etablieren. Inwieweit ist Ihnen das gelungen?
Wir hatten zwei Ziele: Einerseits wollten wir Hanf als Nahrungsmittel bekannt machen, andererseits eine Wertschöpfungskette in der Schweiz aufbauen. Beides ist uns gelungen. Die Produktion in Zizers ist ein wichtiger Teil davon. Wir arbeiten mit über 30 Bauern zusammen, die für uns Hanf anbauen. Zudem haben wir viele Verarbeitungspartner, vor allem im Kanton Graubünden. Als Marke haben wir uns etabliert, sind präsent. Allerdings sind mittlerweile auch Mitbewerber aktiv.

In welchen Bereichen hatten Sie bis jetzt besonders viel Erfolg?
Die Produktion von Hanfnüssen haben wir von null auf 40 Tonnen pro Jahr erhöht. So viel verkaufen wir noch nicht, unsere Lager sind deshalb gut gefüllt. 2020 war pandemiebedingt kein besonders gutes Jahr. Aber heuer rechnen wir mit einem Absatz von etwa 30 bis 40 Tonnen. Hanf ist nicht so populär wie Dinkel, er braucht noch Zeit, um stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung zu dringen.

Wie ist die Resonanz in der Gastronomie?
Das ist schwierig zu sagen. Letztes Jahr ging nicht viel. Spitzenköche wie Andreas Caminada, Sven Wassmer oder Sebastian Rösch haben das Potenzial früh erkannt und aufgegriffen. In der breiten Gastronomie sind wir allerdings noch nicht angekommen. Das planten wir, letztes Jahr zu ändern, doch alles kam anders. Jetzt machen wir das 2021. Wir wollen in der Gastronomie Land gewinnen.

Und wie?
Restaurants, die heute keine interessanten vegetarischen oder veganen Gerichte anbieten, sind wahrscheinlich bald weg vom Fenster. Hanf ist eine Zutat, die punkto Ernährung alle Anforderungen erfüllt. Wenn man sie nun mit Gemüsegerichten kombiniert, entstehen daraus vollwertige und spannende Kreationen. Das Potenzial ist wie bei Soja gross. Die geschälte Version kann etwa für Tofu, eine Milch oder eine Art veganen Rahm verwendet werden. Alpenpionier-Mitgründerin Rebecca Clopath hat eine Menge Rezepte mit Hanf entwickelt. Interessierten Gastronomen können wir mit Tipps weiterhelfen.

Solche Produkte haben auch im Detailhandel Potenzial.
Absolut. Daran arbeiten wir auch. Der springende Punkt ist in diesem Fall das Finden des richtigen Partners. Eine UHT-behandelte Hanfmilch kann man zum Beispiel nur in Chargen von über 15000 Litern herstellen. Die muss man dann zuerst einmal verkaufen. In Partnerschaft mit grösseren Verarbeitern und Detaillisten wäre dies machbar.

Gibt es unter den diversen Hanfarten Geschmacksunterschiede?
Wir haben beim Nutzhanf die samenreichen Sorten ausgewählt und dann nochmals die Zusammensetzung der Samen geprüft, primär den Schalenanteil. Es gibt Unterschiede bei der Maserung der Samen sowie beim Ölanteil, der wiederum den Geschmack beeinflusst. Es ist wie überall: Die fetteren Samen schmecken besser. Keinen Einfluss auf den Geschmack hat unseres Wissens der Boden. Hanf wächst auch in hohen Lagen, bis auf über 1400 Metern über Meer, oder auch an sehr trockenen Lagen. Die Pflanze gilt ja eigentlich als Unkraut. Aber für eine gute Ernte ist es von Vorteil, wenn sie genug Wasser und viel Licht hat.

In welchen Teilen der Schweiz wächst eigentlich Ihr Hanf?
50 Prozent kommen aus dem Bündnerland, der Rest aus Liechtenstein, dem St. Galler Rheinland, dem Thurgau und aus Luzern. Wir haben viele Anfragen aus Bern von Bauern, die für uns anpflanzen wollen. Aber das ergibt logistisch für uns noch wenig Sinn und widerspricht unserer Idee der Nachhaltigkeit. Für die Bündner Bergbauern ist der Anbau von Hanf als pflanzliche Kultur für die Bergregion super. In Bern gibt es viele Alternativen.

Alpenpionier hat 17 Teilhaber. Wie funktioniert das?
Wir sind breit aufgestellt und wollen die Leute, die unsere Wertschöpfungskette abdecken, auch an Bord haben. Zum Beispiel Bio-Bauer Andreas Näscher, der für und mit uns bereits viele Versuche gemacht hat. Wir möchten nicht einfach Rohstoffe aufkaufen und daraus ein Produkt herstellen, das wir verkaufen. Nein, die Leute, die für uns anbauen, sollen bis zum Schluss involviert und eben auch interessiert bleiben. Wir leben die austauschende Kooperation.

Wie viele Leute können von Alpenpionier heute leben?
Momentan haben wir fast vier Vollzeitstellen. Wir sind noch immer am Anfang. Die grosse Anstrengung, eine Wertschöpfungskette aufzubauen, haben wir geschafft. Jetzt geht es darum, den Absatz zu steigern, im Detailhandel, in der Gastronomie und in der Industrie.

Wie ist die Lage im Detailhandel?
Es ist generell nicht einfach, im Lebensmittelmarkt mit einem unbekannten Produkt Fuss zu fassen. Eine neue Marke muss sich zuerst beweisen. Vergangenes Jahr war es wegen der Pandemie nochmals schwieriger. Seit Anfang Jahr zieht es ziemlich an. Das spüren wir. Ich habe manchmal das Gefühl, der Konsument braucht ein paar Jahre. Wenn er dann sieht, dass ein Produkt immer noch auf dem Markt ist, schöpft er Vertrauen – einfach weil es noch da ist – und probiert es dann aus.

Pflanzliche Proteine aus heimischem Bio-Anbau sind der Traum eines – veganen – Sportlers.
Diesen Markt peilten wir auch von Anfang an an. Die Entwicklung des Proteinpulvers brauchte allerdings fast zwei Jahre. Im kleineren Massstab war es einfach, aber die Skalierung zu grösseren Mengen war kompliziert. Es brauchte einen Vermahlungsprozess, den es so vorher noch nicht gab. Letztes Jahr kamen dann unsere Snackprodukte dazu. Die Sportlerriegel funktionierten von Beginn an sehr gut. Da kommt bald ein wirklich grosser Sportartikelhändler als Kunde hinzu.

Inwieweit interessiert sich die Industrie für das Lebensmittel Hanf?
Auch da sind wir mit sehr vielen Anbietern im Gespräch, aber es dauert eine Ewigkeit. Ich hoffe, dass wir in der Gastronomie nicht so lange brauchen, um Fuss zu fassen. Aber ich verstehe auch die Seite der grossen Industriebetriebe. Die haben extrem viel auf dem Tisch, zudem sind die Hierarchien starr. Darum laufen die Prozesse langsam, aber alle wissen, dass fleischlose Produkte gross im Kommen sind. Und man sucht eine einheimische Variante, noch dazu in Bio-Qualität. Hanf wird vielleicht noch lange eine Nische bleiben, aber zunehmend eine wichtige. Das ist unsere Pionierarbeit.

Wie haben Sie sich durch das letzte Jahr gekämpft?
In der Direktvermarktung online erlebten wir einen Schub. Und unsere Produkte wurden auch weiterhin in den Läden verkauft. Blöd war, dass all die Gespräche mit möglichen Partnern und Detaillisten, die wir führten, einfach stoppten. Erst im letzten Dezember und im Januar begannen diese Prozesse wieder zu laufen.

Woran arbeiten Sie zurzeit?
In Kürze bringen wir einen Eistee raus. Und wir wollen Gastronominnen und Gastronomen die verschiedenen Anwendungen von Hanfsamen noch klarer aufzeigen. Dafür spannen wir eng mit unseren Teilhabern Reto Frei vom Restaurant Tibits sowie mit Rebecca Clopath zusammen. Dank den beiden erfahren wir viel über die aktuellen Bedürfnisse der Gastronomen und kreieren zusammen Ideen für Rezepte und Produkte.

Wie wärs mit einem kleinen Tipp zum Schluss?
Ganz einfach: Man nehme Hanfsamen, röste sie leicht, versehe sie mit Gewürzen und einer Knoblauchzehe direkt in der Pfanne und schmeisse sie über Salat, Gemüse oder was auch immer. So erhält man auf sehr einfache Weise eine nussige Aromatik sowie eine knackige Komponente. Einfach ausprobieren. En Guete!

Carlo Weber (37) träumte schon früh davon, einmal etwas Eigenes zu gründen. Im basellandschaftlichen Leimental absolvierte der Schwyzer im Sterne-Restaurant von Werner Martin eine Kochlehre. Es folgten Stationen im Hotel Walserhof bei Beat Bolliger (18 Punkte) sowie bei Raphael Tuor im Restaurant Adler in Nebikon (17 Punkte). 2006 holte Weber die Berufsmatura nach, studierte an der ZHAW in Wädenswil Lebensmitteltechnologie und forschte anschliessend für die Industrie an verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten von Lebensmitteln. 2014 erkannte er das Potenzial, das im Hanfsamen schlummert, und gründete 2017 zusammen mit Hanfbauer Emanuel Schütt und anderen Hanfenthusiasten wie etwa Köchin Rebecca Clopath oder Profi-Snowboarder Nicolas Müller das Unternehmen Alpenpionier. Heute zählt das biozertifizierte Start-up 17 Teilhaber, vom Hanfbauer über den Food-Truck-Betreiber bis zum Restaurantbesitzer. Die Produktion befindet sich in Zizers. Das Angebot besteht aus unterschiedlich bearbeiteten Hanfsamen, aber auch Convenienceprodukten wie Proteinpulver, Sportlerriegel, Bier, Mehl, Öl oder Tee.
alpenpionier.ch



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