Höchst persönlich

Das Zürcher Restaurant Zur Goldige Guttere ist stark vom Charakter der Pächterinnen geprägt. Küchenchefin Linda Hüsser sagt, wie es trotz klaren Vorstellungen gelingt, Kontrolle abzugeben – und warum das wichtig ist.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Stefan Kaiser
Veröffentlicht: 15.11.2022 | Aus: Salz & Pfeffer 6/2022

«Wir sind mit ganzem Herzen dabei, immer.»

Ihre Pop-ups Iklämmt und Atomic Fritten sorgten in Zürich für Begeisterung, Ihr Restaurant Zur Goldige Guttere ist ständig ausgebucht. Warum funktioniert, was Meret Diener und Sie zusammen anpacken?
Linda Hüsser: Ich glaube, da spielen mehrere Faktoren mit. Ganz sicher, dass wir ein mega gutes Team sind. Wir ergänzen uns, sind unterschiedlich und doch ähnlich, haben andere Fähigkeiten, aber gleiche Werte. Weil wir uns aus der Hotelfachschule kennen, in der wir zig Arbeiten zusammen geschrieben hatten, wussten wir von Anfang an, dass wir harmonieren, unsere Ansätze und unsere Haltung übereinstimmen. Das ist Punkt eins.

Punkt zwei?
Wir stehen auf einem guten Fundament, was die Ausbildung angeht. Während der Studienzeit fragten wir uns, was wir in all diesen Vorlesungen eigentlich lernen, was uns das bringen soll – inzwischen ist es uns klar.

Nämlich?
Ganz banal: Einen Businessplan schütteln wir quasi aus dem Ärmel. Für uns ist sonnenklar, wie das geht und worauf es dabei ankommt. Dann gibt es aber noch einen dritten Punkt, warum unsere Projekte funktionieren: Wir sind mit riesengrosser Leidenschaft dabei. Mit ganzem Herzen, immer.

Die Guttere lebt von Ihnen beiden, Sie sind in vielen Details spür- und sichtbar. Und doch nehmen Sie gern auch mal gleichzeitig frei, verreisen gemeinsam in die Ferien. Wie geht das?
Zu Beginn war das natürlich anders, in den ersten Monaten waren wir ständig da. Aber: Uns ist eine gute Work-Life-Balance sehr wichtig. Wir wollen Lebensqualität – für das ganze Team. Schliesslich haben wir alle im Leben noch anderes zu tun. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang sicher, dass wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vertrauen. Wir sind insgesamt vielleicht zwölf Leute, die meisten arbeiten Teilzeit und es gibt natürlich Wechsel, aber mittlerweile hat sich ein grossartiger Kern entwickelt. Für uns geht es beim Thema Nachhaltigkeit eben auch um den Umgang mit dem Team. Dazu gehört, dass wir bereit sind, Verantwortung abzugeben – auch wenn das manchmal schwierig ist, weil Meret und ich genau wissen, wie wir was haben möchten.

Das klingt nach einem Spagat.
Es ist ein Prozess, der nach wie vor läuft. Für Meret und mich ist vieles selbstverständlich. Das gilt nicht zwingend für den Rest, und deshalb ist eine klare Kommunikation wichtig, das merkten wir rasch. Ich musste zum Beispiel anfangen, meine Gerichte korrekt zu rezeptieren – was mir, wie ich glaube, immer besser gelingt. Und wir schrieben ein Servicehandbuch, in dem detailliert festgehalten ist, wie das Set-up aussehen muss, wie der Dessertwagen aufzufüllen ist oder wie man am Tresen Cocktails mixt. Wir achten ja schon darauf, dass immer alles schön ist.

Sie sind eine Perfektionistin.
Das ist ein schwieriges Wort. Wir wollen hochstehende Gastronomie machen, aber in einem ungezwungenen Setting. Unsere Servietten sind nicht gebügelt, aber sie sind frisch und schön gefaltet. Unsere Teller sind sauber, die Gläser sind poliert, und auch wenn es uns egal ist, ob jemand von links oder von rechts serviert, müssen die Handgriffe sitzen. Abgesehen davon, darf sich jede und jeder bei uns einbringen, entsprechend ist unser Service sehr persönlich.

Bollmehl-Crackers, geräuchertes Linsenpüree, Kürbis-Pickles
Kürbis-Gnocchetti, Sbrinz, Rosmarin – Reh vom Sihlwald – Sanddorn, Chabis, Joghurt
Salat, Merets Sauce – Toast, Chriesibutter – Randen, Oregano, Sonnenblumenkerne
What a mess!: Apfelkaramell, Hafer-Brösmeli-Guetzli, Double Crème, Apfelkompott

Inwiefern gilt das für Ihre Küche?
Meine Gerichte sind ungekünstelt und echt, sie mögen auf den ersten Blick simpel wirken. Aber: Sie sind auf den Punkt zubereitet, auch am Herd müssen die Handgriffe sitzen. Für mich sind meine Gerichte, so wie sie auf den Teller kommen, abgeschlossen – geschmacklich und visuell. Dahinter stehe ich voll und ganz.

Kommt so viel Selbstvertrauen gut an?

Ich glaube, dass unsere Gäste das durchaus schätzen. Wir sind mega gradlinig in dem, was wir tun. Und wer zu uns kommt, muss mitmachen; es gibt, was es gibt. Natürlich kann man immer etwas verbessern, das ist auch gut so, aber wir wollen mit grosser Selbstsicherheit für unsere Sache einstehen und sagen können: Das ist im Moment das Beste! Für uns stimmt das schliesslich.

Sich derart zu exponieren braucht Mut.
Darüber habe ich nie nachgedacht. Wir treffen für uns sinnvolle Entscheidungen, ohne jede davon an die grosse Glocke zu hängen. Dass wir den Fokus auf Gemüse legen und viele unserer Menüs ohne Fleisch auskommen, halten wir für selbstverständlich. Wir leben im Jahr 2022 und ich glaube, wir sehen alle, mit welchen Challenges wir in Zukunft konfrontiert sein werden. Ich weiss ehrlich gesagt nicht, wie man überhaupt noch anders ein Restaurant führen kann.

Bis auf wenige Ausnahmen arbeiten Sie ausschliesslich mit Schweizer Lebensmitteln, zu vielen davon haben Sie sogar einen persönlichen Bezug.
Das stimmt. Wir suchen und finden unsere Produkte gern selbst. Das fing damit an, dass Merets Familie im Fricktal viele Chriesibäume besitzt und wir beschlossen, einen Teil der geernteten Früchte einzumachen, nach dem Motto: Die können wir sicher mal brauchen. Mit der Zeit kamen dann Tomaten hinzu und immer weitere Sachen ... Zuletzt entdeckten wir im Freibad Bitterorangen, die wir pflücken durften. Man findet so viele tolle Lebensmittel vor der Haustür!

Und was macht ein gutes Gericht aus?
Die Balance von Texturen und Aromen ist für mich entscheidend. In meinen Gerichten zählt zudem, dass die Komponenten miteinander harmonieren, dass die Gäste etwas in die Sauce tunken, teilen und mischen können. Das Menü besteht immer aus sieben salzigen Gerichten und einem süssen Abschluss, wobei gewisse Parts wiederkehrend sind – der Toast zur Vorspeise mit einer wechselnden Butter, zum Beispiel. Dann gibt die Saison natürlich den Rahmen vor, plus das, was die Einmachgläser im Keller hergeben. Und die Küche, die ziemlich klein ist und eine gute Planung der Abläufe bedingt.

Inwiefern spielt es eigentlich eine Rolle, dass Sie keine ausgebildete Köchin sind?
Gar nicht, würde ich sagen. Ich stand von klein auf mit in der Küche und veranstaltete schon früh private Supper Clubs, in deren Rahmen ich für viele Leute kochte. Ich bringe also durchaus Know-how mit. Bei uns in der Guttere arbeiten sowohl in der Küche als auch im Service gelernte Fachkräfte und Menschen, die Erfahrung aus anderen Bereichen mitbringen. Ich finde diese Mischung erfrischend. Was uns alle verbindet, ist der Vibe, den wir hier leben.

Klingt super. Wo liegen die Nachteile des Konzepts?
Es fällt etwas mehr Administration an, die Dienstpläne sind eine Herausforderung – und wir müssen die Kommunikation gut pflegen. Gerade was die Planung angeht, haben wir im ersten Jahr eine Menge gelernt. Das ist elementar, weil die Idee schon ist, dass Meret und ich uns hier künftig noch mehr zurücknehmen.

Erzählen Sie!
Noch ist nichts konkret, aber wir haben viele Ideen, würden gern etwas Nächstes aufziehen. Vielleicht ein Hotel oder einen Kiosk? Wir sind auf nichts fixiert, sondern absolut offen und wollen einfach mal schauen, wie sich das, was da ist, umdenken lässt. So haben wir es in der Guttere gemacht. Nun sind die Grundsteine hier gelegt, der Betrieb läuft nachhaltig, auch was die personellen und finanziellen Ressourcen angeht, und wir haben Lust, uns wieder vermehrt kreativ zu betätigen. Warum also nicht etwas Neues machen?

Zur Person
Linda Hüsser wuchs in einer Familie auf, die das Kulinarische in allen Facetten hochhielt, und war vielleicht zehn Jahre alt, als sie beschloss, dereinst an der Hotelfachschule in Lausanne zu studieren. Nach der Matura schnupperte die heute 28-Jährige erstmals Profiküchenluft im The Restaurant in Zürich und lernte im Servicepraktikum im Park Hyatt die Stationen eines Hotels kennen. Erfahrungen in der Patisserie sammelte sie später während einiger Monate im Fünf-Sterne-Haus Le Bristol in Paris. Im Sommer 2019 schloss sie schliesslich die EHL Hospitality Business School in Lausanne ab – zusammen mit Meret Diener, die während der Ausbildung zur Freundin geworden war. Die beiden Frauen vereinbarten: Sollten sie mal zur gleichen Zeit am gleichen Ort sein, würden sie gemeinsame Sache machen. Nach Hüssers beruflichem Abstecher als persönliche Assistentin von Monocle-Chef Tyler Brûlé war es so weit: Im Januar 2021, mitten in der Pandemie, lancierte das Duo das Pop-up Iklämmt und feierte mit durch ein Barfenster gereichten Käsetoasts durchschlagenden Erfolg. Auch das zweite temporäre Projekt Atomic Fritten stiess beim Zürcher Publikum auf viel Gegenliebe. Seit November 2021 führen Diener als Gastgeberin und Hüsser als Küchenchefin das erste eigene Lokal: Im Restaurant Zur Goldige Guttere kommen saisonale Schweizer Produkte in Form einer Tavolata auf den Tisch.

Zur Goldige Guttere, Sihlfeldstrasse 45, 8003 Zürich, zurgoldigeguttere.ch



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