Lieber im Hintergrund

Antonino Alampi stand im Laufe seiner Karriere schon an so manchem Herd – und entpuppte sich gerade in seiner zurückhaltenden Art als Schlüsselfigur. Das ist er heute auch an der Seite seines bekannten Chefs.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 23.02.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 1/2021

«Eigentlich bin ich eher der Typ, der gern lang an einem Ort bleibt.»

Othmar Schlegel, unter dem Sie als junger Koch im Castello del Sole anheuerten, habe Sie besonders stark geprägt, sagen Sie. Warum gerade er?
Antonino Alampi: Für mich ist Schlegel einer der absolut Besten: Ich lernte so viel von ihm, auf allen Ebenen, beruflich wie menschlich. Das Castello war meine erste Station auf diesem Niveau. Ein Fünf-Sterne-Haus mit einer 16- oder 17-Punkte-Küche. Ich dachte, ich kehre zurück ins Tessin in meine Heimat. Tatsächlich war ich in der Küche aber der Einzige, der italienisch sprach. Ich startete als Commis Entremetier. Am dritten Tag kam Schlegel zu mir und fand: Antonino, einen Teller Pasta musst künftig du machen und deinem Chef zeigen, wie das richtig geht – auch wenn du Commis bleibst. In meiner zweiten Saison machte er mich zum Chef Entremetier.

Danach wechselten Sie nach Küsnacht, zu Edgar Bovier ins Ermitage. Wie war er als Chef?
Schlegel und Bovier sind beide hervorragende Küchenchefs: Sie gehören zur alten Schule, denken aber modern. Mein Start im Ermitage war eine lustige Geschichte.

Inwiefern?
Meine Mutter erhielt damals den Rückruf, mit dem ich vom Ermitage zum Vorstellungsgespräch aufgeboten wurde. Nur: Sie verstand ja kaum Deutsch oder Französisch. Das Einzige, was sie mitbekam, war der Tag, an dem ich dort auftauchen sollte. Ich fragte: Aber Mamma, um welche Zeit? Sie war nicht sicher. Vielleicht elf Uhr? Also war ich dann da. Der Termin wäre um neun oder zehn Uhr gewesen. Schrecklich! Ich kam da also rein, entschuldigte mich. Bovier fand, das sei kein Problem. Er könne mich in der Küche momentan allerdings nicht anstellen, ich solle mich doch in drei oder vier Monaten wieder melden. Am Ende kümmerte er sich sogar persönlich um eine Zwischenlösung für mich und schickte mich ins Gütsch nach Luzern, bevor ich bei ihm anfangen konnte. Bei Bovier blieb ich fast vier Jahre. Ich lernte das Handwerk von A bis Z. Enten rupfen, Lämmer zerlegen. Es war sehr streng, mit langen Arbeitszeiten für damals 3000 Franken brutto. Aber es war auch eine fantastische, lehrreiche Zeit.

Ihr Werdegang ist gespickt mit Stationen. Warum wechselten Sie so oft?
Am Anfang der Karriere gehts als Koch doch darum, viel kennen zu lernen, auszuprobieren und den Rucksack mit Erfahrungen zu füllen. Damals zog ich weiter, weil ich das so wollte. Aber eigentlich bin ich eher der Typ, der gern lang an einem Ort bleibt. Im Wolfbach in Zürich war ich sechs Jahre. Im Il Casale in Wetzikon blieb ich vier Jahre – bis die Inhaber plötzlich entschieden, ein neues Konzept fahren zu wollen. Und auch im Gustav waren es die Besitzer, die beschlossen, das Lokal zuzumachen, obwohl wir gut gearbeitet hatten. Wirklich sehr schade.

Ein positiver Effekt dürfte sein, dass Sie inzwischen genau wissen, was ein Betrieb braucht, damit er zu Ihnen passt.
Das stimmt. Nach bald 30 Jahren in der Küche brauche ich gewisse Freiheiten und schätze das Vertrauen der Besitzer. Kann ich meine Kreativität nicht ausleben, macht es mir keinen Spass. Und dann ist es einfach wichtig, die richtigen Leute zu finden: Man braucht ein Team und einen Chef, die zu einem passen. Schliesslich ist man viele Stunden am Tag zusammen und verbringt mehr Zeit gemeinsam als mit der eigenen Frau.

An der Seite von Antonio Colaianni stehen Sie seit bald fünf Jahren. Von aussen wirkt es allerdings so, als seien Sie seit einer Ewigkeit ein Gespann.
Tatsächlich kennen wir uns schon länger. Das erste Mal traf ich Antonio, als ich mit einem Freund bei ihm im Schloss Rapperswil ass. Danach trafen wir uns im Ausgang in Zürich, es entwickelte sich eine freundschaftliche Beziehung. Aber zusammengearbeitet haben wir erstmals im Gustav. Das war ein Wagnis: Ich kannte Antonio privat, aber nicht in der Küche.

Und?
Es funktionierte gut. Antonio war früher in der Küche eher dominant, aber er ist ruhiger geworden. Es hat für beide Platz. Ich war im Gustav und bin im Ornellaia der Küchenchef, aber es war klar, dass auch Antonio in die Küche muss. Im Gustav hätten wir es von der Grösse des Betriebs her gar nicht ohne ihn geschafft. Heute ist Antonio im Ornellaia der Geschäftsführer, aber auch ein Küchenchef. Das ist kein Problem, wir verstehen uns bestens.

Sie ergänzen sich?
Genau. Den Job, den Antonio macht, kann und möchte ich nicht übernehmen: das Administrative und Organisatorische. Darin ist er sehr stark und erfahren. Ich bin eher der manuelle Typ, der Handwerker. Ich wirke lieber im Hintergrund und stehe in der Küche. Über eine Auszeichnung von Michelin oder Gault & Millau freue ich mich natürlich riesig, aber das Rampenlicht reizt mich nicht.

Tortelli, Kürbis, Tonkabohne, Salbeibutter
Pulpo, Kartoffelcrème, Peperonicrème, Peperonata, Aioli mit schwarzem Knoblauch
Heilbutt, Barba di frate, Trevisano tardivo, Rande, Bouillabaisse-Sauce

Da bewegt sich Antonio Colaianni routiniert.
Er ist eine sehr starke Persönlichkeit. Die Gäste kommen oft wegen ihm, das ist einfach so – und auch gut so. Wir sind unterschiedliche Charaktere, und deswegen funktionieren wir miteinander. In der Küche ist es generell so: Das Team zählt.

Apropos: Sie starteten im Ornellaia mit einer bewährten Besetzung.
Richtig. Ein Glücksfall ist, dass unsere Patissière aus dem Gustav, Felicia Ludwig, nach einem kurzen Gastspiel auswärts wieder bei uns ist. Auch sonst kennen wir fast alle länger. Der Saucier, der Gardemanger und der Souschef standen bereits in der Gustav-Küche, der Entremetier gehörte zum vorherigen Ornellaia-Team unter Giuseppe d’Errico. Das ist das Beste, was uns passieren konnte, und eine Bestätigung dafür, dass wir uns den Mitarbeitern gegenüber korrekt verhalten. Wir schätzen diese sehr.

Mit so vielen guten Leuten in der Küche: Wie schreiben Sie das Menü?
Antonio fragt alle nach Ideen. Wir besprechen und probieren viel. Natürlich gibt es Klassiker wie die Raviolone mit Eigelb oder die Bouillabaisse von Antonio, die wir nicht von der Karte nehmen können, weil die Gäste explizit ihretwegen kommen. Und im Ornellaia stehen wir ziemlich am Anfang, hatten also noch gar nicht die Zeit, um alles zu erneuern. Ausserdem kam die Pandemie dazwischen. Aber einige Sachen haben wir bereits neu entwickelt: zum Beispiel unsere Randen-Bresaola für Vegetarier. Die Idee stammt von unserem Souschef.

Die Schweizer Gastronomie ist in der Zwangspause. Wie erleben Sie den Lockdown?
Schwierig. Im ersten Lockdown war ich nach der intensiven Zeit im Gustav sehr erschöpft und nutzte die Zeit, um mich zu erholen. Ich genoss die Zeit mit meiner Frau und meinem Hund, probierte neue Rezepte aus und buk auch mal ein Brot. Diesmal ist es seltsamer: Die Zukunft ist ungewiss, es trifft uns alle.

Was erwarten Sie von diesem Jahr?
Ich hoffe, dass ich bald wieder unsere Gäste bekochen und verwöhnen darf, wir wieder ohne Maske arbeiten können und sich die Leute nach dem Lockdown umso mehr darauf freuen, im Restaurant zu essen. Es stimmt mich traurig, dass ich einmal mehr in einem Lokal angefangen habe, das wir schliessen mussten, sobald es zu laufen anfing.

Könnten Sie sich denn vorstellen, den Beruf zu wechseln?
Im ersten Lockdown dachte ich darüber nach. Schwierig! Ich liebe diesen Job zu sehr – auch wenn man auf viel verzichten muss und die Tage lang sind. Kochen ist das, was ich machen will.

Das Licht der Welt erblickt Antonino Alampi im März 1975 in Airolo. Seine Mutter stammt aus der Nähe von Neapel («da, wo der echte Mozzarella di Bufala herkommt»), sein Vater aus Kalabrien. Schon als Kind spielt Alampi ständig mit Pfannen und weiss früh, dass er Koch werden will. Die Lehre absolviert er in einem Familienbetrieb in Faido. Anschliessend zieht es ihn in den Kanton Zürich in ein italienisches Restaurant. Es folgt rund ein Jahr im Zürcher Carlton und eine Saison im Arosa Kulm Hotel, bevor der junge Koch ins Tessin zurückkehrt: ins Castello del Sole nach Ascona. Bei Grossmeister Othmar Schlegel lernt Alampi zwei Jahre. Nach einem Zwischenhalt im Gütsch in Luzern heuert er bei Sterne-Koch Edgar Bovier im Ermitage in Küsnacht an. Hier bleibt er fast vier Jahre. Nach einem viermonatigen Aufenthalt in Neuseeland lässt er sich erneut in Zürich nieder: Im Barometer in der Altstadt amtet er erstmals als Küchenchef. Zwei Jahre später übernimmt er mit einem Geschäftspartner das Ristorante Wolfbach in Zürich. Hier fungiert er sechs Jahre als Küchenchef und Teilhaber, bevor er weitertourt: erst ins Equitable (damals unter der Ägide von Tobias Buholzer), dann nach Wetzikon ins Il Casale, in dem er Antonio Colaianni 2011 als Küchenchef beerbt und sich seinen ersten Stern erkocht. Dreieinhalb Jahre später beschliessen die Inhaber, das Konzept des Lokals zu vereinfachen. Alampi nimmt sich eine Auszeit – bis der Anruf von Colaianni kommt: Er brauche einen Küchenchef fürs Zürcher Restaurant Gustav, das er auf Vordermann bringen soll. Alampi übernimmt den Posten im Sommer 2016 für dreieinhalb Jahre. Dann entscheiden die Besitzer, das Lokal zu schliessen. Seit August 2020 hat Alampi, erneut an der Seite von Gastgeber und Geschäftsführer Colaianni, im zu Bindella gehörigen Zürcher Ristorante Ornellaia eine neue berufliche Heimat.

Ristorante Ornellaia
St. Annagasse 2, 8001 Zürich
044 212 00 22
ristorante-ornellaia.ch



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