Mehr als ein Traum

Die Ideen gehen ihm definitiv nicht aus: Im Restaurant Magdalena in Rickenbach ist Dominik Hartmann mit sehr viel Talent und fast noch mehr Elan am Werk. Und mit den richtigen Menschen an seiner Seite, die dafür sorgen, dass das gut geht.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 12.10.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 5/2021

«Inzwischen glaube ich, dass wir auch hier tun können, was wir wollen.» 

Sie haben Ihre beruflichen Stationen vor der Selbstständigkeit ziemlich zielgerichtet ausgewählt. Sind Sie ein Planungsmensch?
Dominik Hartmann:
Das würde ich so nicht sagen. Aber meine Karriere kommt tatsächlich recht strukturiert daher. Ich hatte einfach einen Traum, auf den ich hinarbeitete. Marco Appert und ich kennen uns seit der Primarschule und wollten schon immer ein Restaurant zusammen eröffnen. Wir machten nicht nur die Kochlehre gleichzeitig, sondern auch die Zusatzlehre zum Confiseur / Konditor. Dann ging er an die Hotelfachschule in Luzern und ich sammelte bei Andreas Caminada auf Schloss Schauenstein meine Erfahrungen. Dabei wussten wir stets: Eines Tages führen wir ein Restaurant. Als dieser Plan gemeinsam mit meiner Frau Adriana konkreter wurde, war mir klar, dass ich in der warmen Küche mehr Routine brauche – deshalb ging ich nach Zürich zu Fabian Fuchs ins Equitable. Und als es hier im Magdalena schliesslich losgehen sollte, kam der erste Lockdown.

Ein ungünstiger Moment für den Start – wobei es dann doch fulminant losging. Sie erhielten auf Anhieb zwei Sterne.
Verrückt, ja! Wir hatten eigentlich die Vorstellung, uns so in fünf Jahren einen Stern und 16 Punkte zu erarbeiten. Der Plan ging im positiven Sinn nicht auf. Ich sehe das aber locker und sage mir: So wie wir es anfangs machten, erhielten wir zwei Sterne – also versuchen wir jetzt nicht, uns gross zu verändern. Wobei wir natürlich immer besser werden wollen.

Ihre Küche sei im Vergleich zum Anfang komplexer, also reduzierter geworden, sagen Sie. Wie meinen Sie das?
Wir betreiben im Hinblick auf den Geschmack mehr Aufwand: Wir fermentieren viel, setzen jede Sauce zweimal an und so weiter. Auf dem Teller hingegen versuchen wir, weniger zu machen. Purer, cleaner zu sein. Nicht noch da ein Pünktchen und dort eins.

Wie einfach ist es denn, nach zwei Jahren bei Andreas Caminada eine eigene Handschrift zu entwickeln?
Das ist relativ schwer. Die Zeit bei Andreas prägt einen, er ist eine grosse Inspiration. Man sieht jeden Tag, was er macht – und findet das schon cool.

Was zeichnet denn nun aber Ihre eigenen Gerichte aus?
Der Fokus aufs Gemüse auch in den Hauptgängen. Er hat uns von Anfang an bekannt gemacht. Ich finde es einfach spannender, mit Gemüse einen Hauptgang zu kreieren als mit Fleisch. Es ist allerdings auch aufwendiger. Manchmal fragen uns Gäste, warum ein Gemüse-Gericht so viel kostet, dann erklären wir es: Da steckt in der Regel mehr Arbeit drin als in einem Gang mit einem Stück Fleisch.

Und warum verzichten Sie nicht gleich ganz darauf?
Anfangs hatten wir Bedenken, hielten ein rein vegetarisches Restaurant in der Region für zu mutig. In Zürich hätte sich die Frage nicht gestellt, aber in Rickenbach… Inzwischen glaube ich, dass wir auch hier tun können, was wir wollen. Und dazu gehört manchmal auch Fleisch. Wir haben zudem einen Fisch-Gang, den ich persönlich sehr mag – auch weil wir mit den Brüggli-Forellen vom Sattel zum Beispiel sehr regional sein können. Wir knüpfen zunehmend Kontakte zu Produzenten rundherum. Zum Beispiel zum Biobauern gleich auf der anderen Strassenseite: Zu Beginn konnten wir bei ihm kein Gemüse beziehen, weil er alles bei Privatkunden absetzte. Inzwischen pflegen wir eine Zusammenarbeit und können den Gästen auch mal sagen: Der Fenchel da auf dem Teller wuchs gleich dort drüben und wurde von uns zu Fuss abgeholt. Näher gehts kaum.Sie träumten stets vom eigenen Restaurant.

Ist es denn heute so, wie Sie sich das vorgestellt haben?
Durchaus. Ich war realistisch genug, um zu wissen, dass es streng wird. Aber vorher arbeitete ich auf dem Schloss und im Equitable: Viele Stunden in der Küche sind da völlig normal. Und was den Druck angeht, der mit der Selbstständigkeit hinzukommt: Wir sind ein wirklich gutes Team und die Verantwortung lastet auf den Schultern von uns allen. Wenn wir am Morgen ins Res-taurant kommen, wissen wir, was zu tun ist und dass das Essen am Abend gut rausgeht. Dieses Selbstvertrauen pflegen wir hier: Jeder kann es. Verglichen mit dem Start haben wir personell zudem recht aufgestockt: Heute stehen wir nicht mehr zu dritt, sondern zu sechst in der Küche.

Was muss für Sie unbedingt stimmen, damit Sie mit Leuten zusammenarbeiten können?
In erster Linie das Zwischenmenschliche: Dass ich jemanden cool und spannend finde und Lust habe, mit ihm zusammen auch mal einen Kaffee zu trinken. Erfahrung ist natürlich auch wichtig, aber die kann man aufbauen – und wir sind ja alle noch sehr jung, maximal 30.

Würde Ihrer Crew jemand Älteres guttun?
Nicht unbedingt, denke ich. Unser Team lebt ein Stück weit davon, dass wir alle jung und motiviert sind. Das überträgt sich auf die Stimmung im Restaurant: Es geht hier nicht steif zu und her. Wir arbeiten locker – wenn auch durchaus hart und professionell.

Rüebli, Sanddorn, Chicorée rosso
Ein Team an allen Fronten: Dominik und Adriana Hartmann haben nicht nur ein Restaurant, sondern auch zwei kleine Kinder – den zweijährigen Ameo und die vier Monate alte Yua.
Schwyzer Rezent mit schwarzer Baumnuss und Kirschen
Dehydriertes Randentatar mit Salzzitrone und fermentierten Blaubeeren
Das passt auch auf der menschlichen Ebene: Mit Souschef Noah Bachofen tauscht sich Dominik Hartmann stetig aus.

Bei der Gestaltung des Restaurants Magdalena durften Sie mitreden. Wie lief das?
Marco, Adriana und ich erfuhren 2016, dass das Lokal, das hier früher stand, abgerissen wird und eine neue Überbauung geplant ist, in der es laut Testament allerdings wieder ein Restaurant geben muss. Wir meldeten bei der Erbengemeinschaft gleich Interesse an. Ein Jahr später sollten wir dann einen Businessplan schreiben. Davon hatten wir überhaupt keine Ahnung, aber glücklicherweise unterstützten uns Andreas und Sarah Caminada dabei sehr. Als klar war, dass wir das Restaurant übernehmen werden, durften wir in Sitzungen mit den Architekten oder dem Küchenbauer unsere Ideen einbringen, was wahnsinnig wertvoll war. Wobei es natürlich auch Grenzen gab: Ich hätte mir im Magdalena zum Beispiel mehr Beton gewünscht, das stiess aber auf wenig Gegenliebe.

Welchen Rat gab Ihnen Andreas Caminada denn im Hinblick auf die bevorstehende Selbstständigkeit?
Er sagte, wir sollen mit einem umfassenden Angebot starten, dann schauen, was geht und funktioniert – und schliesslich das Konzept anpassen respektive reduzieren, wenn es nötig ist. So machten wir es. Am Anfang öffneten wir das Magdalena jeden Tag auch mittags, am Wochenende boten wir zusätzlich Kaffee und Kuchen an. Wir merkten bald, dass das für uns nicht passt, aber es war super, dass wir es ausprobiert hatten.

Worum kümmern Sie sich in der Küche hauptsächlich?
Die Patisserie musste ich abgeben, obwohl ich anfangs dachte, ich könnte die auch noch übernehmen. Aber ich mache schon all die Saucen und das Fleisch … und das Brot. Das ist mein Baby.Apropos: Sie haben parallel zum Restaurant auch eine Familie mit zwei kleinen Kindern gegründet.

Wie bringen Sie das unter einen Hut?
Es ist streng, aber es läuft. Wir wohnen über dem Restaurant, was hilft. Und ich versuche, den Tag aufzuteilen. Den Morgen verbringe ich mit der Familie, in der Küche starte ich so um elf, zwölf. Und wenn Adriana und die Kinder vorbeikommen, nehme ich mir kurz Zeit – das ist mir wichtig. Dann muss man einfach sehen: Ohne Adriana ginge es nicht, sie ist eine riesige Stütze. Nach der Geburt von Yua im Mai hat sie sich von der Front etwas zurückgezogen und die Gastgeberrolle weitgehend an Marco abgetreten. Nach wie vor bestimmt sie in allen Bereichen mit, sie ist momentan aber nur einen Tag pro Woche im Restaurant tätig und kümmert sich vorwiegend ums Administrative.

Nun haben Sie also eine Familie und ein eigenes Restaurant, bevor Sie 30 geworden sind. Ist das jetzt Ihr Lebenswerk?
Ich denke schon. Wir können mit dem Magdalena ja expandieren.

Aha?
Ich sehe durchaus Konzepte, mit denen wir das Restaurant erweitern können, etwa mit einer Bar, einer Weinbar oder einer Bäckerei. Dafür gibts tatsächlich einen konkreten Plan – nach dem Vorbild der Collective Bakery in Zürich. Wir eröffnen Mitte November eine Pop-up-Bäckerei in einem Café in Schwyz, das morgens jeweils geschlossen ist. Dann übernehmen wir und bieten sieben Tage die Woche unser beliebtes Magdi-Brot, das wir im Restaurant servieren, weitere Brotsorten, einen Gipfel und einen Schoggigipfel. Das Sortiment wird eher klein ausfallen, dafür setzen wir auf beste Zutaten. Es wird toll.

Sie denken schon eher gross im Leben.
Das ist wohl so. Sonst wird es irgendwann ja langweilig! Wobei Adriana schon sagt, sie müsse mich ständig bremsen.

Das Gleiche meint auch Ihr Souschef Noah Bachofen.
Ich habe halt viele Ideen und starte gern drauflos, bis es vielleicht zu viel ist. Deshalb bin ich froh, dass mich Menschen umgeben, die mich in die richtigen Bahnen lenken. Ich neige dazu, zu viel zu wollen.

Woher kommt denn diese ganze Kreativität?
Schwer zu sagen. Die meisten Ideen habe ich, wenn ich mich nach der Arbeit ins Bett lege und zu aufgekratzt bin, um zu schlafen. Dann notiere ich, was mir durch den Kopf geht, und wenn wir das später in der Küche ausprobieren, passt es in der Regel schon ziemlich gut. Vielleicht klingt das jetzt blöd, aber bereits mein Lehrmeister sagte mir, dass ich, was das Zusammenspiel von Aromen angeht, ein gewisses Talent habe. Das liegt mir einfach.

Als Kind half Dominik Hartmann (29) der Mutter viel in der Küche und kümmerte sich, wenn ein Fest anstand, mit Vorliebe ums Dessert. So war denn auch nach einem Schnuppertag klar, dass der im schwyzerischen Rickenbach aufgewachsene Bub Koch werden würde. Die Lehre absolvierte er im Restaurant Kaiserstock in Schwyz, in dem er das Handwerk von der Pike auf erlernte. Es folgten eine Saison auf der Patisserie im Tschuggen Grand Hotel in Arosa, die Rekrutenschule und schliesslich die Zusatzlehre als Konditor / Confiseur. Anschliessend zog Hartmann für zwei Jahre ins Bündnerland zu Andreas Caminada: Auf Schloss Schauenstein startete er als Commis und wurde nach einem Jahr zum Chefpatissier befördert. Mit seiner heutigen Frau Adriana (30), in Schwyz aufgewachsen und in der Kunst zu Hause, ging Hartmann auf Reisen – wobei der Plan, gemeinsam mit ihr und Kindheitsfreund Marco Appert (29) dereinst das Restaurant in Rickenbach zu übernehmen, bereits bestand. Als Hartmann nach seiner Rückkehr in die Schweiz bei Fabian Fuchs im Zürcher Equitable anheuerte, ging es ihm mitunter darum, seine Routine in der warmen Küche im Hinblick auf die Selbstständigkeit auszubauen. Dann überschlugen sich die Ereignisse für die junge Familie Hartmann: Im November 2019 kam Sohn Ameo zur Welt, im Februar darauf sollte das Restaurant Magdalena eröffnen, was pandemiebedingt allerdings warten musste. Der verschobene Start tat dem Erfolg keinerlei Abbruch: Für seine gemüsefokussierte Küche erhielt Hartmann von Michelin auf Anhieb zwei Sterne, von Gault & Millau neben 15 Punkten die Auszeichnung Entdeckung des Jahres. Seit Mai komplettiert Töchterchen Yua die Familie, die eine Etage über dem Restaurant lebt.

Restaurant Magdalena, Rickenbachstrasse 127, 6432 Rickenbach, 041 810 06 06, restaurant-magdalena.ch



Seite teilen

Bleiben Sie auf dem Laufenden – mit dem kostenlosen Newsletter aus der Salz & Pfeffer-Redaktion.

Salz & Pfeffer cigar gourmesse