«Okay, cool!»

Fast hatte sie es nicht gewagt, dann übernahm sie die Aufgabe doch: Im Zürcher Kultur Lokal Rank fungiert die 26-jährige Michaela Frank erstmals als Küchenchefin. Hier feilt sie weiter an ihrem Stil – und ihrer Stimme.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 29.08.2022 | Aus: Salz & Pfeffer 4/2022

«Alles ist schwierig, bevor es einfach wird.»

Ihr Signature Dish ist ein asiatischer Reisbrei, der, so erzählen Sie, viel über Sie aussage. Was denn so?
Michaela Frank: Der Congee ist ein Gericht, das es in meinem Leben schon immer gab. Meine Mutter stammt aus Schanghai und kochte ihn traditionell: zwölf Teile Wasser auf einen Teil Reis, kein Salz. Ich mochte ihn nur in einer Form, mit getrocknetem und geschreddertem Rind- oder Schweinefleisch, wie es in China als Würze erhältlich ist. Im Rank interpretieren wir den Congee natürlich etwas anders, angepasst an die Bedürfnisse von Schweizer Gästen – also zum Beispiel viel weniger flüssig und mit Salz. Ich merkte, dass ich das Gericht nicht nur richtig abschmecken, sondern auch gut erklären muss, damit die Leute es verstehen. Inzwischen klappt das, und der Congee ist für uns eine Leinwand, auf die wir geben können, wonach uns ist und was wir gerade haben. Das passt gut zu mir und zum Rank, weil uns wichtig ist, Foodwaste zu vermeiden. Im Congee lässt sich viel verwerten.

An welchem Punkt in der Kreation eines Gerichts kommt der Gedanke daran zum Tragen?
Ich möchte einen bestimmten Teil des Produkts haben – und überlege dann, was ich mit dem Rest machen kann. Da wir alle Getränke selber produzieren, funktioniert das auch in Kombination mit der Bar. Wenn wir für die Küche Zitronen abzesten, kommt der Saft in die Getränke und entsteht aus den Hülsen selbstgemachte Zitronensäure für Cocktails oder Bitters. Bei grösseren Sachen denken wir sogar betriebsübergreifend: Carlos Navarro ist im Rechberg mein Pendant, und wenn wir ein ganzes Schwein kaufen, sprechen wir uns ab, wer von uns welche Teile nimmt. Zentral ist bei uns auch die Zusammenarbeit mit den Produzentinnen und Produzenten: Sie sagen uns, was sie haben – und wir überlegen, was sich daraus kreieren lässt. Das bedingt mehr vorausschauende Planung und viel Haltbarmachen. Ich finde es aber eine coole Art, ein Menü zu schreiben. Und ein Gericht wie der Congee eignet sich dafür hervorragend. Genau wie der Knödel, den wir in wechselnden Variationen auf der Karte haben. Er hilft uns, das Brot, das insbesondere aus der Toasty-Produktion übrigbleibt, sinnvoll zu verwerten. Das Bäckerhandwerk ist so krass, das müssen wir unbedingt wertschätzen.

Sie sprechen aus Erfahrung.
Ja, ich war im Rahmen meines Uccelin-Stipendiums unter anderem bei Eigenbrötler Daniel Amrein und erlebte, was dahinter- steckt. Wir arbeiten mit so hochwertigen und speziellen Produkten, dass es mir grundsätzlich wichtig ist, deren Wert auch hochzuhalten. Umso mehr freut es mich, wenn Leute vom Gut Rheinau oder von Slow Grow, von denen wir Lebensmittel beziehen, bei uns essen und sagen, dass sie ihre eigenen Produkte hier auf dem Teller besonders pur erleben. Das ist ein sehr schönes Kompliment!

Ihren Kochstil beschreiben Sie als simpel – und nennen ihn die Konsequenz einer Entwicklung. Wie ist das zu verstehen?
Ich bin 26, mein Stil wird sich sicher weiterentwickeln, aber ich finde mich immer mehr. Die Phase, in der ich auf dem Teller hier und da noch ein Tüpfli brauchte, liegt hinter mir. Natürlich entwickeln wir uns alle laufend, aber in der Rank-Küche stehen wir inzwischen an einem Punkt, an dem wir sehr zufrieden sind. Wenn ich heute ans Menü in der Anfangszeit denke...

Dann?
Es war schon cool. Aber alles, was wir machten, hatte viel Erklärungsbedarf. Ich war viel weniger sicher in dem, was ich tat. Nach und nach lernte ich, was es heisst, zu mir zu stehen – und dass ich mich dafür laut machen muss, kann und darf. Klar, es ist unser Ding, wir machen das hier zusammen – aber es ist eben auch meine Küche, meine Meinung ist gefragt und ich gebe das letzte Go.

Die flache Hierarchie ist ja ein tragender Pfeiler des Konzepts im Kultur Lokal Rank.
Das stimmt, wir arbeiten nach New-Work-Ansätzen, mit soziokratischen Ideen. Es gibt zum Beispiel keine Geschäftsleitung, sondern ein Kernteam von vier Personen, die sich die Verantwortung aufteilen. Ich kümmere mich um die Küche, Sophia Ender ums Überbetriebliche und Kulturelle, Thom Kiener um den HR-Bereich und Nicole Rapp um Service sowie Marketing. Dazu kommt eben die Nähe zum Rechberg mit weiteren Leuten und Kompetenzen. Das Konzept hat Vor- und Nachteile.

Beginnen wir mit dem Positiven?
Das Miteinander. Das spielte für mich am Anfang eine enorme Rolle. Egal, wie oft ich fürchtete, ich könne das nicht, kam irgendwer und sagte: Du bist ja nicht allein. Als ich angefragt wurde, ob ich den Posten der Küchenchefin im Rank übernehmen wolle, lehnte ich erst ab. Ich dachte, ich schaffe das nicht. Dann lernte ich die Leute, die dahinterstecken, näher kennen – und spürte, dass ich es probieren möchte. Alles ist schwierig, bevor es einfach wird. Und jetzt beschäftigen mich wieder andere Herausforderungen als zu Beginn.

Lassen Sie uns noch kurz über die Nachteile reden.
Wir verzetteln uns manchmal. In einem so grossen Leitungsteam läuft man Gefahr zu denken, jemand anderes sei zuständig. Das bedingt extrem gute Absprachen und viel Kommunikation. Auch darum musste ich rasch lernen, meine eigene Stimme zu finden, mich richtig mitzuteilen – und eben: lauter zu werden.

Fällt Ihnen das schwer?
Das hängt vom Gegenüber ab. Hier hielt ich mich anfangs zurück, weil ich den Eindruck hatte, mir fehle das Startkapital: Ich stiess spät zum Kernteam, die anderen Mitglieder hatten also etwas Vorsprung. Mir fehlte die Erfahrung aus der Umbauphase. Also blieb ich zu Beginn mehr im Hintergrund.

Congee | Kokosschweineschulter | alles, was der Garten der liefernden Bauern zu bieten hat
Knödel | Mangold von Slowgrow | Zwiebel-Kräutervinaigrette

Wenn man Ihren Werdegang anschaut – mit den vielen Stationen, dem Engagement in der Junioren-Kochnati, dem Durchlaufen des Uccelin-Programms –, könnte man durchaus vermuten, Sie verfügten über ordentlich Durchsetzungsvermögen.
Auf meine eigene Weise vielleicht. Ich glaube, ich bin vor allem gewissenhaft und irgendwie bescheiden. Konstruktives Feedback nehme ich gut an, und ich hatte immer faire Chefs und Chefinnen, die mich gerechtfertigt kritisierten, so dass ich es verstand. Ich erinnere mich aber schon auch daran, wie ich in der Junioren-Kochnati anfangs das Gefühl hatte, ich könne gar nichts. Nach und nach merkte ich: Ich muss einfach meinen Kopf beieinanderhaben und genau das tun, was ich vorher 100-mal geübt habe. Dann ist das Resultat gar nicht mal so schlecht. Wenn ich die Nerven behalte, die Mise en Place stimmt, die Sterne richtig stehen und ich vielleicht nicht gerade meine Tage habe, klappt das: Ich kann alles geben und zeigen, wer ich bin.

Können Sie das auch sagen?
Nicht wirklich, nein. Wobei, es ist lustig: Im Vorfeld dieses Gesprächs wurde ich gefragt, wie ich im Salz & Pfeffer gern beschrieben werden würde.

Und?
(lacht) Ich sagte: dass ich cool bin.

Ein passendes Wort, das Sie selbst oft brauchen. «Okay, cool», das scheint zumindest bei der Arbeit für Sie eine Art Mantra zu sein.
Das ist wahr! Das ist meine Art, etwas abzuhaken, mich dem Nächsten zuzuwenden. Wenn ich das sage, weiss ich, dass eine Aufgabe erledigt ist, dass ich etwas geschafft habe.

Bleiben wir gleich noch einen Moment in der Küche. Wie sind Sie als Chefin?
Grundsätzlich bin ich sehr kooperativ. Ich komme nicht in die Küche und sage: Das ist der Weg. Ich gebe die Richtung vor, aber jede und jeder darf sich dazu äussern. Für bessere Lösungen und Ideen bin ich immer dankbar. Ausserdem bin ich sensibel, was schlechte Stimmung angeht – wir müssen nicht im ersten Moment darüber reden, es muss aber auf jeden Fall früher oder später geklärt werden. Das fordere ich ein, wir sprechen die Sachen hier an. Ich finde, es gehört in der Gastronomie unbedingt dazu, dass wir miteinander reden. Der Druck ist in dieser Branche so hoch, die Versuchung, alles zu unterdrücken, gross. Aber das holt einen ein. Und sonst? Mein Führungsstil ist ehrlich, mich interessieren die Menschen mit ihren Eigenheiten.

Mitarbeiterpflege ist das Thema der Stunde. Wie behalten Sie im Rank Ihre Leute?
Indem wir auf sie eingehen, ihnen ein Ziel und ihrer Arbeit einen Sinn geben. Wir versuchen, Perspektiven zu schaffen, zum Beispiel auch mal eine Stage zu ermöglichen. Ausserdem haben wir mit Thom einen Sozialpädagogen im Team, der sich um die sozialen Belange im Betrieb kümmert. Ganz ehrlich: Seit der Eröffnung gab es wenige Momente, in denen wir keine Herausforderungen mit der mentalen Gesundheit unserer Mitwirkenden gemeinsam zu meistern hatten. Mal beim einen, mal bei der anderen. Und das ist völlig logisch.

Warum?
Weil wir eine Plattform bieten, um solche Themen anzusprechen – dann kommen diese auch zum Vorschein. Zudem wissen alle: Wir geben niemanden auf, sondern suchen Lösungen, um den Menschen zu geben, was sie brauchen, ohne dass der Betrieb darunter leidet. Es entstehen individuelle Arrangements, die eine Entwicklung des Ganzen zulassen. So hat es sich beispielsweise ergeben, dass unser Team in der Küche inzwischen kleiner ist als im Service, dafür übernimmt Letzteres verschiedene Verantwortungen um den Toasty-Imbiss sowie kleine Aufgaben in der Küche. Daran haben alle Freude. Und ich selbst helfe eh auch gern im Gastraum mit – vor allem, wenn es darum geht, den Congee zu servieren.

Zur Person
Michaela Frank wuchs in der Nähe von Baden auf und absolvierte die Lehre zur Köchin im Restaurant Oase am Paul-Scherrer-Institut im aargauischen Villigen. Es folgten diverse Stationen, unter anderem im Waldhaus Flims sowie bei Nenad Mlinarevic im Park Hotel Vitznau, aber auch als Freiberuflerin für verschiedene Pop-ups, im Serviceteam von Elif Oskans Gül in Zürich oder, ebenfalls in der Limmatstadt, als Barista im Kraftwerk. Von 2015 bis 2017 gehörte Frank zur Junioren-Kochnationalmannschaft der Schweiz, mit der sie an der Olympiade in Erfurt drei Goldmedaillen sowie den Vizemeistertitel holte. Ab Herbst 2019 durchlief sie das Förderprogramm der von Andreas und Sarah Caminada gegründeten Fundaziun Uccelin, in dessen Rahmen sie Erfahrungen bei Tanja Grandits in Basel, bei Caminada selbst in Fürstenau, bei Carolina Bazan in Santiago de Chile, bei Maksut Aksar in Istanbul, bei Chocolatier Dominique Persoone in Antwerpen sowie bei Eigentbrötler Daniel Amrein in Wauwil sammelte. Seit der Eröffnung im letzten Oktober verantwortet die 26-Jährige die Küche des Kultur Lokal Rank im Zürcher Niederdorf. Der Partnerbetrieb des Rechberg 1837 wird von einem vierköpfigen Kernteam eigenständig geführt und verbindet Essen mit Livemusik. Zum Konzept gehört zudem ein Take-away-Bereich mit Toasties.

Kultur Lokal Rank, Niederdorfstrasse 60, 8001 Zürich, 044 777 80 01, amrank.ch



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