Wichtig ist das Einfache

Nik Gygax ist ein gastronomisches Urgestein, ein grosser Koch, Enthusiast und Tüftler, der auch nach 30 Jahren versucht, jeden Tag besser zu werden, ohne dabei die Freude am Kochen zu verlieren.
Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 07.11.2017 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2016
Seespinne, Herzmuschel und Kaviar

«Jawohl, und es hat mich gottlos angegurkt.»

Wie ist es, zu den dienstältesten Gourmetköchen der Schweiz zu gehören? 
Nik Gygax: Man merkt, dass man älter, ein alter Sack geworden ist. Man muss im Kopf jung bleiben. Ich habe immer noch Freude am Beruf. Letztes Jahr war ich oft krank, ich musste sieben Mal ins Spital. Das hat die Krankenkasse Unmengen Geld gekostet. Aber ich merkte, dass mir das Kochen, die Beiz und das ganze Zeugs eben doch noch Spass machen. Man muss den Plausch daran haben und sonst sofort aufhören.

Im März feierten Sie im «Löwen» Ihr 30-Jahr-Jubiläum.
Ich war im Spital und musste fünf Stunden auf dem Rücken liegen. Da wird es einem schaurig langweilig. Als ich dann die Nachrichten auf dem Handy checkte, las ich, dass Gammacatering ein Firmenjubiläum feiert. Ich überlegte ein bisschen rum, schaute die Decke an und realisierte, dass ich meinem Vater den «Löwen» vor 30 Jahren abgekauft hatte. Ich habe noch nie einen Geburtstag gefeiert, aber dieses Mal hatte ich Lust dazu.

Wie feiert Nik Gygax so was?
Mit einem kleinen Fischbuffet, so wie früher André Jaeger. Das hatte ich schon seit Jahren vor, traute mich aber nie. Ich habe wirklich «gueti Giele» in der Küche. Ich sagte ihnen, dass sie Gas geben müssen, dass ich nicht wisse, wie es der André Jaeger jeweils gemacht hat, aber dass wir es jetzt einfach so tun, wie ich es will. Es gab 30 verschiedene Gerichte in kleinen Schalen, vier Suppen, 20 angerichtete Fische und am Schluss noch einen Steinbutt aus dem Ofen. Die Leute sind fast ausgeflippt.

Sie lernten das Kochhandwerk noch unter anderen Voraussetzungen.
Ich arbeitete vor allem in den Grand Hotels. Bei den alten Küchenchefs lernte man noch die klassische Küche, so wie man eigentlich kochen sollte. Heute ist halt alles etwas modern geworden.

Was hat sich verändert?
Ich hatte diesbezüglich ein einschneidendes Erlebnis, vor 40 Jahren, im «Palace» in Gstaad. Es war im Winter; ich ging da nur im Winter hin, im Sommer hatte ich keine Lust. Ich hatte einen Vertrag als Chef irgendwas, Tournant war es, glaub ich. Item, als ich dort oben ankam, hing eine Liste in der Küche mit den Posten. Bei mir stand: Chef Entremetier Gygax. Ich ging sofort zum Küchenchef Peter Wyss und sagte ihm, dass er sich jemand anders suchen könne, der das Gemüse rüstet, den Mist mache ich nicht, das sei doch die traurigste Arbeit überhaupt. Wyss war damals ganz neu als Küchenchef, er meinte, ich solle nicht so tun, die Saison beginne doch schon am nächsten Tag.

Und Sie rüsteten eine Saison lang Gemüse?
Jawohl, und es hat mich gottlos angegurkt. Aber in dieser Zeit, das muss ich ehrlich sagen, lernte ich zu kochen. Fleisch in die Pfanne knallen, das kann doch jeder. Wenn das Fleisch gut ist, kann man nicht viel falsch machen. Aber ein gutes Gemüse kochen, das bringt heute fast keiner mehr fertig.

Jetzt übertreiben Sie.
Das glaube ich nicht. Heute wird doch alles in den Steamer geschmissen. Das grüne Gemüse wird entweder braun, oder es war vorher tiefgefroren. Wenn man es richtig macht, also blanchiert und abkühlt, ist es halt mühsam. Und ob dann noch viele Vitamine drin sind, sei dahingestellt, spielt aber auch keine grosse Rolle. Das Essen in einem Restaurant sollte schon gesund sein, aber nicht nur. Es muss einfach gut sein.

Sie halten seit 20 Jahren 18 Punkte im Gault & Millau.
Ich habe mich nie verrückt machen lassen wegen der Punkte. Auf dem Land bringen diese Vor- und Nachteile. Viele kommen nicht ins Restaurant, weil sie sagen, wir seien zu teuer, dafür reisen Auswärtige extra deswegen an. Silvio Rizzi, der ehemalige Chefredakteur von Gault & Millau, wollte immer, dass ich das Haus in ein Speiserestaurant umbaue. Ich sagte ihm, das komme nicht in Frage, das ist eine Dorfbeiz, die gebe ich nicht her.

Und was ist aus der Dorfbeiz geworden?
Heute wird im Bistroteil mehr gegessen als im Gourmetbereich. Früher war das umgekehrt. Aber da konnte man noch rauchen und da sass das «Dorf» im Bistro. Mit dem Rauchverbot und der tieferen Promillegrenze hat sich das total verändert. Ich habe es immer noch schaurig gerne, wenn die vom Dorf zu mir kommen. Ich bin hier aufgewachsen. Aber ich forciere es nicht. Es traut sich ja auch fast niemand mehr, abends auswärts zwei Bier zu trinken.

Sie lebten ja nicht immer nur gesund. Befällt einen nicht die Angst, wenn man plötzlich so oft ins Spital muss?
Nein, das ist noch komisch. Ich fühlte mich im Inselspital einfach gut aufgehoben. Dabei waren die Probleme schon ziemlich massiv. Ich wollte auf keinen Fall operiert werden.

Weshalb?
Vor 20 Jahren wurde ich in Zürich am Herzen operiert und mein Vater einen Tag nach mir in Bern, ebenfalls am Herzen. Bei mir ging es gut, bei meinem Vater wurde eine zweite Operation nötig, während der er starb. So etwas bleibt einem einfach im Gedächtnis. Aber am Ende haben sie mich dann doch operiert. Angst hatte ich aber wirklich keine. Letztes Jahr musste ich auch etwa vier Herzkatheter machen lassen, ich weiss mittlerweile, wie das funktioniert. Es ist nicht so, dass man abstumpft, aber ich nehme es mit Humor und sage mireinfach: Wenn es so weit ist, dann ist es halt so.

Das Restaurant blieb in der Zwischenzeit immer offen.
Die Beiz war das grössere Problem. Nicht alle, aber viele Gäste kommen wegen mir, und wenn man nicht da ist, geht der Umsatz zurück. Gleichzeitig brauchte ich einen zusätzlichen Koch. Das gab mir mehr zu denken als meine gesundheitliche Situation.

Vor drei Jahren schrieben die Zeitungen: Nik Gygax steht vor dem Konkurs.
Das Problem war, dass die Bank ihr Geld, das sie im Restaurant hatte, zurückhaben wollte. Ich musste einen neuen Investor suchen, dem ich einen Zins zahle, so wie vorher der Bank auch. Die Geschichte wäre eigentlich nicht der Rede wert gewesen, aber leider kam es in der Zeitung und wurde in der Region diskutiert.

Seeigelmousse, bretonischer Hummer und Kaviar
Getrüffelte Bresse-Poulardenbrust mit Frühlingsgemüse
Hummerlasagne mit frischen Morcheln und Erbsen
Schweinefuss mit Spargel und den letzten Trüffeln der Saison

Was treibt Sie eigentlich an?
Die Neugierde. Ich probiere in der Küche sehr viel aus und versuche immer, besser zu werden. Darum ist es auch schwierig, mit mir zusammenzuarbeiten.

Wie muss man sich das vorstellen?
Ich schreibe zum Beispiel eine neue Speisekarte und nach zwei Tagen sage ich mir: Du hättest etwas viel Besseres machen können. Dann baue ich die neuen Ideen in die Menüs ein und finde, die Karte brauche es eigentlich gar nicht. Ich halte drum gewisse Dinge im Menü eher vage, sodass die Gäste gar nicht wissen, was da eigentlich kommt. Das lernte ich von den Küchenchefs in den Grandhotels. Wenn ich auf dem Markt etwas Gutes sehe, können wir das leichter einbauen. Das ist das Interessante am Kochen, es kommt immer etwas Neues, und arbeiten muss man sowieso.

Was macht einen guten Koch aus?
Talent allein reicht nicht. Man muss es wollen, so wie die zwei jungen Köche, die ich zurzeit bei mir habe. Es gibt viele, die gut sind, aber dann machen sie den Diätkoch und haben das Gefühl, sie müssten in einem Altersheim arbeiten oder die Hotelfachschule absolvieren. Das ist doch Blödsinn.

Wie halten Sie es mit der Pensionierung?
Irgendwann schon, oder vielleicht auch nicht. Ich sehe das Ganze seit dem letzten Jahr etwas lockerer. Wenn es ums Kochen geht, bin ich streng, ein «blöder Siech», das weiss ich. Aber früher war ich noch viel verbissener. Es ist nicht so, dass mir heute alles egal ist, auf keinen Fall. Aber man schaut die Dinge von einer anderen Seite an, regt sich nicht mehr so fest auf.

Haben Restaurants wie der «Löwen» überhaupt eine Zukunft?
Es wird wohl noch ein paar Spinner geben, wie ich es bin. Aber schon heute muss man Enthusiast sein dafür. Ohne Geldgeber im Rücken kann man solche Restaurants irgendwann wohl gar nicht mehr betreiben. Ich habe mich manchmal gefragt, für wen ich das hier alles mache.

Und?
Für mich selbst ein Stück weit. Ein Haufen Geld ist damit nicht zu verdienen. Aber es steckt viel Herzblut in diesem Haus. Und es ist in der Gastronomie schon auch speziell, wenn Gäste zu dir essen kommen, relativ viel Geld dafür ausgeben und beim Hinausgehen noch Danke sagen. Eigentlich muss ich mich bei den Gästen bedanken.

Sie kochen nach alter Schule, mit einer jungen Brigade. Was geben Sie der nächsten Generation mit?
Das Einfache ist mir wichtig. Das kriegen meine Köche auch immer zu hören. Die sind nämlich Weltmeister, wenn es darum geht, Foie gras oder einen Hummer zu kochen. Aber irgendetwas Normales so zu machen, dass man es essen kann, das bringen sie dann nicht fertig. Das ist die Schule, die ich hier vertrete. Ein junger Koch will heute doch keine Berner Platte mehr machen. Zu banal. Ich sage, es kommt darauf an, was man auf die Platte legt.

In Ihrer Küche stehen weder ein Steamer noch ein Wasserbad, wie halten Sie es mit moderner Küchentechnik?
Für mich ist Niedertemperaturgaren absolut das Letzte, was es gibt. Die Struktur des Fleisches wird komisch, es ist wie verkocht, behält aber noch die Farbe. Ich finde, das muss man klassisch, mit Krustengeschmack machen, aber da gehen die Meinungen auseinander. Herkömmlich zu kochen ist schwieriger, dafür braucht man ein Gespür. Ich habe die Kurse auch gemacht, als die Steamer und die Sous-vide-Technik aufkamen. Aber ich finde, es schmeckt nachher alles gleich, nach sous-vide. Die Technik hat aber auch Vorteile: Je mehr Köche so kochen, desto mehr Gäste freuen sich, wenn die Dinge bei uns anders schmecken.

Gehen Sie bei anderen Spitzenköchen essen?
Sehr selten, auch weil ich an meinem freien Tag nicht drei Stunden in einem Restaurant sitzen will. Aber wenn ich gehe, wundere ich mich meist über die Grösse der Portionen. Ich erinnere mich gut an die Nouvelle Cuisine. Im Vergleich zu heute waren die Portionen damals aber um einiges grösser. Irgendwann während der zehn Gänge will man doch auch etwas essen.

Restaurant Löwen
Langenthalstrasse 1, 3367 Thörigen
062 961 21 07
www.nikgygax.ch

Nik Gygax (59) wuchs in Thörigen auf. Seine Eltern betrieben einen Bauernhof sowie das Restaurant Löwen. Nach einer Kochlehre bei Seppi Hunkeler im Restaurant Adler Nebikon arbeitete er in zahlreichen renommierten Häusern, etwa im Hotel Baur au Lac in Zürich, im «Palace» in Gstaad, im Hotel Schweizerhof in Bern oder bei Hans Stucki im Restaurant Bruderholz in Basel. Vor fast genau 30 Jahren kaufte Gygax seinem Vater den «Löwen» ab. Die Küche des ambitionierten Kochs fand rasch Erwähnung in den Gourmetführern. 1985 erhielt Gygax erstmals 15 Punkte von Gault & Millau. Seit 1996 hält er ohne Unterbrechung ein Niveau von 18 Gault-Millau-Punkten. Gygax ist Gründungsmitglied der Koch-Vereinigungen «Jeunes Restaurateurs» sowie der «Les Grandes Tables de Suisse» und gehört zu den dienstältesten Gourmetköchen der Schweiz. Er hat einen Sohn und eine Tochter.



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