Gastfreundschaft in Zeiten wie diesen

Wenn sich das Schweizer Volk mit den Menschen in und aus der Ukraine solidarisiert, kommt der Gastronomie eine besondere Rolle zu. Eine unvollständige Übersicht des Engagements hiesiger Gastgeberinnen und Gastgeber gleich nach Ausbruch des Kriegs.
Text: Monsieur Tabasco
Veröffentlicht: 05.04.2022 | Aus: Salz & Pfeffer 2/2022

Er rechnet mit einem gespaltenen Westen, stattdessen schweisst er ihn zusammen.

Im Jahr 1915 versenkt ein deutsches U-Boot mit einem selten dämlichen Kapitän das Passagierschiff Lusitania. Von den 1200 Toten sind 128 US-Bürgerinnen und -Bürger, und in den Vereinigten Staaten ist es endgültig nicht mehr chic, von deutscher Herkunft zu sein. Die deutsche Sprache verschwindet aus den Strassen sowie aus dem Sieben-Zimmer-Haus an der Jamaica Avenue in Queens, dem kleinen Fred Trump kommt darum seine Muttersprache abhanden, und sein Enkel, ein selten dämlicher Kapitän, wird noch 70 Jahre später lügen, er stamme aus Karlstadt in Schweden statt aus Kallstadt in der Pfalz. Und noch etwas passiert in jenem Krieg: Der deutsche Beethoven wird aus den amerikanischen Konzertsälen verbannt, und auf den Speisekarten der USA gibts anstelle von Sauerkraut «Freiheitskohl». «Kraut» assoziiert Deutschland, und Deutschland ist out.

2022 überfällt ein selten dämlicher Kapitän aus dem Kreml ein Nachbarland. Er rechnet mit einem gespaltenen Westen, stattdessen schweisst er ihn zusammen. Wer sich mit Speichelleckern umgibt, macht sich anfällig für Fehleinschätzungen. Russland ist out, und für die ukrainischen Flüchtenden öffnet selbst die Schweiz ihre Türen wie 1965 für die Menschen aus Ungarn oder 1968 für jene aus der Tschechoslowakei oder 1962 für jene aus Tibet, für welche die Appenzellerinnen und Appenzeller bei der Ankunft ein Willkommensessen mitsamt Tracht und Talerschwingen organisierten. Wenn ein Goliath auf einen David schiesst, solidarisiert sich das Schweizer Volk mit dem David, und wenn die Regierung auf ihr Volk hört, transformiert sie die Solidarisierung in Gastfreundschaft. Und wie siehts bei den Gastfreundinnen und Gastfreunden ihrerseits aus?

Eine unvollständige Übersicht, Stand bei Redaktionsschluss am 8. März. Die Krone in Lommis serviert zwei Tage lang Borschtsch und schickt einen Fünfliber pro Suppe in die Ukraine. Das Weiss Restaurant in Bregenz schliesst sich einer Wiener Aktion an mit einem Fine Dine for Ukraine, unter den sechs Gastköchinnen und -köchen sind drei aus der Stadt Zürich (namentlich David Heimer vom Josef, Elif Oskan vom Gül und Markus Stöckle vom Rosi). Die Einnahmen gehen an die Caritas. Die Spiisbeiz Aberen in Stäfa bringt in leeren Personalzimmern Geflüchtete unter. Und die Organisation Cuisine sans frontières sammelt für einen bekannten rumänischen Koch, der mit seinem Team an der Grenze zur Ukraine Essen ausgibt.

Hotelleriesuisse.ch bietet alle Infos zur Unterbringung von Flüchtenden, zu Visa, Aufenthalt und weiteren migrationsrechtlichen Fragen. Uber und Uber eats bieten den Geflüchteten kostenlose Fahrten und Mahlzeiten. Booking.com zieht sich aus Russland zurück. Bei Airbnb haben über 60000 Menschen Unterkünfte in der Ukraine gebucht, ohne diese zu nutzen, und so die Anbieterinnen und Anbieter unterstützt. Airbnb ruft Gastgeberinnen und Gastgeber in Europa auf, ihre Logis Flüchtenden zur Verfügung zu stellen, für die Finanzierung von 100000 Personen will die Firma selber aufkommen.

Guy Ravet, verheiratet mit einer Ukrainerin, postet in den sozialen Medien ein Foto von sich mit Anti-Putin-Transparent an einer Demo und sammelt bei der Ermitage in Vufflens Hilfsgüter für die Ukraine, organisiert von der Genfer Detinow.ch (IBAN CH41 0900 0000 1417 9526 9). Auf Instagram fährt Michel Péclard dem Möchtegern-Zaren an den Karren, gibt an der Kundgebung in Zürich beim Münsterhöfli Glühwein und Wienerli aus und spendet beispielsweise an den Schweiz-Polen Marek Wnuk, der in Polen mit dem Verein Kiev Kids etwas aufbaut (IBAN CH32 0900 0000 3017 6967 4).

Man helfe einfach, wo man könne, sagt dazu Gastronom Péclard. «Letztlich muss halt jede und jeder in der Branche selbst wissen, was sie oder er tun kann. Und vielleicht nützt es ja, wenn unsere Hoteliers und Spitzengastronominnen ihren einflussreichen Russengästen ins Gewissen reden. Entweder sind die für die Freiheit, wie wir sie verstehen, und handeln danach. Oder aber sie machen sich zu Komplizinnen und Komplizen von Krieg und Wahnsinn und haben jegliches Gastrecht verwirkt.»

Alles ist politisch, selbst Sauerkraut. Eine Gastgeberin wie die halbgare Scheissgreta-Wirtin schiesst sich mit destruktiven Dummheiten ins eigene Knie, während ein Gastgeber mit konstruktiven Positionsbezügen die Stimmung seiner Gäste aufhellt und etwas für die Gesellschaft tut. Viele Gastgeberinnen und Gastgeber haben das schon in Friedenszeiten begriffen, Betriebe, in denen selbstverständlich Menschen mit Handycap arbeiten, oder die, wie etwa das Hiltl in Zürich, ihr ganzes Konzept auf einer gesellschaftspolitischen Haltung aufbauen.

Wenn die Gaschtig spürt, dass der Gastgeber oder die Gastgeberin das aufrichtig macht – und die Gaschtig spürt sowas schnell –, dann ist ein Kollateralnutzen in Form eines Imagegewinns auch nicht zu verachten. Deshalb sehen nebst vielen Branchen und Ländern auch viele Schweizer Gastgeberinnen und Gastgeber dem Putin-Krieg nicht teilnahmslos zu. Vermutlich, denken sie sich, hat eine Überdosis Botox die Schädelwand des Möchtegern-Zaren durchdrungen. Hoffentlich, denken sie sich, erlebt die Schädelwand bald einen weiteren Durchbruch.



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