Kirsch-Bananen-Trinkmüsli

Für Chäshörnli nahm ich ja früher immer rezenten Appenzeller von der Silvia. Und ordli Schmalz für die gerösteten Zwiebeln. Die Mayonnaise machte ich mit Schweizer Raps, das Brot holte ich aus Chriges Holzofen, Pia brachte Biovollmilch frisch ab Veronika, die wir auch nach fünf Tagen bedenkenlos roh trinken konnten, nachdem wir im Rahmbecki unseren wöchentlichen Halbliter Vollrahm geerntet hatten.
Text: Monsieur Tabasco
Veröffentlicht: 20.11.2016 | Aus: Salz & Pfeffer 2/2016

Stets hielt ich sechs, sieben Käse unter der Käsehaube und niemals fehlten die preisgekrönt guten Cervelats vom Peter, für die er keine Edelstücke benötigt, keine Regenwälder abholzt, keine Meere überfischt und keine Crevettenfischer ausbeutet, kurzum: Als Ernährer meiner Familie war ich der Traum aller Schweizer Bauern.

Doch diese Zeiten sind vorbei, denn in unserem Haushalt hat am Geburtstag meiner Jüngsten ein neues Gerät seine menschenverachtende Schreckensherrschaft angetreten.

Ein «Food-Processor».

Ein Food-Processor, der Name sagt es, macht mit dem Food kurzen Prozess. Er zerstört es. Die sterblichen Überreste nennt man «Smoothie». Und der Food- Processor ist mehr als ein Mixer, es ist ein ganzer verdammter Maschinenpark, eine «Powerbase» mit diversen Klingenaufsätzen und Bechern und Frischhalte- und Streudeckeln und Entsafter und Stopfer. Jetzt schleppen meine strahlenden Frauen sackweise frischen Blattspinat an, Avocado, Salat, Stangensellerie, Kiwi, Kresse, Gurken, Kokosmilch, Zitronenmelisse, Bananen, Datteln.

Ich habe meine Kochlehre mit einer 5,5 abgeschlossen, aber mein Herd wird jetzt von meinen drei Liebsten benützt als Unterlage fürs iPad während fröhlicher Rezept-Recherchen, und nur mal so um die Relationen aufzuzeigen: Meine Lieblingssuchmaschine swisscows.ch findet «Käsehörnli» 7200 Mal, «Chratzete » 4200 Mal, «Smoothie» 73 Millionen Mal. Weisser-Tee-Smoothie mit Karambole und Cherimoya, Sanddorn- Kefir-Drink mit Honig und Weizenkleie, Brunnenkresse-Gurken-Shake, Aronia-Kokos-Shake.

Klammer. Das «Kirsch-Bananen-Trinkmüsli» läuft unter «Kindersnack (7–9 Jahre)», ein Prosit auf lebenstüchtige Kinder für die Welt von Morgen, die brauchen dann mit 20 einen Vollbart und Basejumping, um ihre Trinkmüslikindheit zu kompensieren, und meinereins fragt sich, wieso wohl gewisse Kulturen auf diesem Planeten über den Westen lachen. Klammer geschlossen.

«Die sterblichen Überreste nennt man Smoothie.»

Ist das richtige Rezept gefunden, wird gekocht: Food waschen, rüsten, Processor auf, Messer und Food rein, Deckel drauf und processieren. Die Powerbase mit ihren 400 Watt kreischt so nervzerfetzend wie Vaters Holzfräse, wenn er Buchenspälten eingeschoben hat. «Durch das Mixen», steht im Internet, «durch das Mixen wird die Zellstruktur des Blattgrüns aufgebrochen und wir kommen so an die guten Sachen, die beim unzulänglichen Kauen nicht geknackt werden und für unseren Organismus dann verloren sind.»

«Unzulängliches Kauen» also. Wer sowas schreibt, hat einen Knick in der Fichte. «Auch entlastet das Mixen unsere Verdauung.» Ja sicher, offenbar kriegen Zähne und Magen auch in enger Zusammenarbeit die Zellstruktur nichtklein. «Das Ergebnis ist ein schmackhafter Imbiss mit Nährstoffpower, wie du sie sonst nicht bekommst.» Eine zahnprothesenkompatible Dickflüssigkeit läuft also unter Imbiss. Wieso hat Mutter Natur unseren Mund eigentlich mit einem Satz unzulänglicher Zähne bestückt statt mit einer 400-Watt-Powerbase mit Edelstahlkreuzklingenaufsatz?

Naja, wir haben das Glück ja nun gefunden – in Form von essentiellen Aminosäuren, Vitaminen, Spurenelementen, Mineralien und Antioxidantien, die «den Körper basisch machen und das Immunsystem stärken», und das ist noch nicht alles, denn «das Chlorophyll wirkt gegen Giftstoffe im Körper und reinigt den Darm». Offenbar wirkt es nicht gegen Verkäufer-Bullshit. Wir hätten ja eigentlich ein hocheffizientes körpereigenes Darmreinigungssystem, das bei «Giftstoffen» einen zügigen Entschlackungsprozess einsetzt. Man nennt es Durchfall. Wobei, gut, die Betrachtung eines grünen Smoothies kann tatsächlich die Darmreinigung aktivieren. Lass den Smoothie ein paar Stunden stehen und er sieht aus wie ein vergessen gegangenes Klärbecken.

Nun ja, ich will nicht dramatisieren. Meine Frauen processieren, weil es ihnen schmeckt, nicht wegen dem Chlorophyll, und das kann ich als Motiv gelten lassen. Solange sie an ihrem aktuellen Green-Smoothie-Challenge Spass haben und ich bei meinen Chäshörnli bleiben kann, okay. Und das Triumphieren werde ich mir verkneifen, wenn in drei Jahren erste Studien warnen vor Kaumuskulaturverkümmerung, Magenschrumpfung und Darmschäden, verursacht durch konstante Unterbelastung aufgrund einseitiger Nahrungsmittelkonsistenz, gefolgt von der BAG-Kampagne «Lieber kauen und verdauen!»

Der Food-Processor wird in den Haushalten des Abendlandes bestimmt seinen Platz finden, im Keller bei Waffeleisen, Joghurt-Maschinen, Pastamakern, Brotbackautomaten und Kräutermühlen.

Letzte Woche sah ich im Städtli, dass man in jenem Lokal, in dem schon Gastgeber aller möglichen Provenienzen ihr Geld verbrannten, jetzt vegetarisch, vegan, bio, glutenfrei, laktosefrei und fairtrade geniessen kann, nämlich «Powerkörner», Quinoa, Amaranth, Wraps, biologische Pukka-Tees, Chai mit Kuhmilch, Hafermilch oder Wasser und viele, viele, viele leckere Smoothies. Abwarten und Tee trinken. Ich formuliere schon mal die Grabrede.



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