Klischees kann man tsch tsch

Was sagt Grillwerbung über unsere Gesellschaft aus? So einiges, weiss Monsieur Tabasco. Und: Er könnte gut darauf verzichten.
Text: Monsieur Tabasco
Veröffentlicht: 12.10.2021

Ein Mitmensch aus Nigeria am Tisch wäre wohl noch zu heikel.

Der «Sommer» 2021 ist überstanden. Starkregen, Feuersbrünste, schwimmende Autos. Funktioniert hat immerhin die Heimlieferung bei den Klimawarnungen. Und der Frischeservice bei Inzidenzen und Massnahmen. Und bei den krass offensichtlichen Lösungen, geliefert von Abermillionen unermüdlicher Amateurexperten mit reichlich Pandemie-Erfahrung. Immerhin: Es war der erste weitgehend trumpfreie Sommer seit Jahren, der erste ohne einen zum «Sommerhit» gehypten idiotischen Song und einer mit dem tiefsten Ausstoss von Fernsehgrillwerbung seit Messbeginn.

Die meisten Werbemenschen haben in den letzten gefühlt 300 Jahren ja schon so ziemlich jedes tumbe Klischee verbraten. Erst haben sie gemerkt, dass es vor allem Männer sind, die Fleisch grillieren. Also haben sie wilde Naturwerbung gemacht, mit Glut und Rauch und echtem Leben. Sowas spricht all die harten Kerle an, die tagaus tagein mit Krawatte in einem Stadtgeländewagen zum Bürojob fahren und am Samstag zur Kompensation den Marlboro-Mann markieren, am High-Tech-Grill in SUV-Grösse.

Irgendwann ist den Werbemenschen aufgefallen, dass es zwar immer noch die Männer sind, die Fleisch grillieren, aber dass doch noch ein anderes Geschlecht existiert, wenn nicht sogar mehrere. Also haben sie auch mal eine/n Nichtmann eingeblendet und dem Drehbuch ein wenig Machismo entzogen. Irgendwer muss dann vernommen haben, dass es immer mehr Vegis gibt, oder den Werbemenschen fiel auf, dass sie selber immer öfter bei Tibits assen. Also musste ein adrettes Gemüsespiessli zwischen die Steaks (hergerichtet garantiert von den Frauen), in der nächsten Werbesaison brauchte es dann bereits zwei. Im Sommer 2021 lief eine Grillwerbung, in der Gurken geschält, Zwiebeln gehackt und Peperoni geschnitten werden, dass die Schwarten krachen. Mittlerweile filmen die Werbemenschen bereits mehr Gemüse als Fleisch. Passt schon. Die Margen von Fleisch und Gemüse unterscheiden sich wohl nicht mehr.

Irgendwann kam dann der Tag, an dem die Werbemenschen nicht nur die Existenz von Frauen, Gemüse und Kindern einräumen mussten, sondern auch jene von Hautfarben. Respektive vom Druck, sie abzubilden. An den Tisch gehört darum seit geraumer Zeit zwingend eine Frau mit wuscheliger Afro-Friese sowie einem breiten, aber trotzdem ungefährlichen Lachen. Die Präsenz von sympathischen hell-dunkelhäutigen Menschen in Werbespots und Modekatalogen ist umgekehrt proportional zu ihrem Anteil an der Bevölkerung in der Schweiz. Und es sind fast immer Frauen. Die machen den Schweizern weniger Angst. Ein Mitmensch aus Nigeria am Tisch wäre wohl noch zu heikel – geschweige denn als Grillchef, so etwas wäre bereits zu viel des Mutes, man möchte schliesslich auch den Rassisten Fleisch und Grill verkaufen, und die fürchten sich halt, ausser vielleicht vor dem Lenzburger Comedian Charles Nguela, der keine Gefahr darstellt, sondern lustig ist. Aber den haben sich ja bereits die Milchbauern als Werbeträger unter die Klauen gerissen.

Immerhin Bell hat im Corona-Jahr 2021 mal was Neues versucht mit dem Spot «Dafür wurde Feuer entdeckt», einer fast schon intellektuellen Mischung von kühl und warm, Nähe trotz Distanz, historischer Bedeutsamkeit und Cervelat am Feuer. «Dafür wurde Feuer entdeckt» korrespondiert vor der Tagesschau zwar nur bedingt mit «Verheerende Brände in Kalifornien weiten sich aus», aber diesen Strick kann man nun nicht auch noch den armen Werbemenschen drehen.

Eine einzige löbliche Ausnahme gibt es, nämlich die allererste Grillitarier-Kampagne der Migros von 2018, welche die Klischees nicht zementiert, sondern mit Selbstironie unterlaufen hat. Dass der Begriff Grillitarier sofort Eingang in den Sprachgebrauch fand und dort zügig vom tumben Klischee zugedeckt wurde, ist das Pech des Glücklichen. Eine Kampagne wie diese zu toppen, ist kaum möglich.

Darum gibts nur eins: Ein paar Sommer ganz ohne Grillwerbung. Ganz. Ohne. Ein Grillwerbungs-Shutdown. Die Zeit, die man einspart, wenn man sich nicht über Grillwerbung ärgern muss, liesse sich nutzen für die Frage, ob es allenfalls auch in der eigenen Werbung für den eigenen Betrieb dümmliche Klischees gibt, die man unbewusst bestätigt, statt sie elegant zu unterlaufen. In der Werbung, in der Gestaltung, im Auftritt, auf der Website.

Darum fordere ich auch: einen Shutdown für die blöden Samichlaus-Mützen, die uns bald wieder auf den Nerv gehen, für den Winterhit «Jingle Bells», das Glockenspielgebimmel und die ewiggleichen rotnasigen Rentiere auf dem Tagesmenü.



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