Verkehrschaos um Bergün

Es war das herzlichste Fotografierverbot weitherum, jenes von Bergün Ende Mai, und die Kunde davon «erreichte potenziell 900 Millionen Menschen in 61 Ländern auf sechs Kontinenten» – was immer «potenziell» und «erreicht» heissen mag.
Text: Monsieur Tabasco
Veröffentlicht: 23.08.2017 | Aus: Salz & Pfeffer 5/2017

«Ein Panoptikum von Menschen, die man nicht als Gast will, aber braucht.»
Die Sendungen und Artikel waren stets illustriert von tollen Aufnahmen von Bergün. Ziel erreicht, so gesehen. Dem Ansturm von Gästen aus Ozeanien ist das Dorf wohl trotzdem gewachsen. Die bleiben rund um Bergün stecken im Verkehrschaos derer, die jetzt «einen Bogen um Bergün!!!» machen. Weil sie die PR-Aktion für bare Münze genommen haben. Und dabei haben die Campaigner der Kommunikationsagentur Jung von Matt/Limmat extra noch ein «herzlich» vor das «Fotografierverbot» gesetzt. Für die Halbgmerkigen. Nicht gereicht hats für die Viertel- und Achtelgmerkigen.

Manchen Vollgmerkigen gefiel die PR-Aktion. Manchen nicht. Jenen ohne Humor. Und jenen, die es halsbrecherisch fanden, ein Negativum wie «Verbot» zu benutzen oder die Ironiefähigkeit und Intelligenz der Zielgruppe zu überschätzen. Der Sprache des Augenzwinkerns sind tatsächlich nicht alle mächtig. Und wer sich als humorlos oder achtelgmerkig blossgestellt sieht, macht nun empört «einen Bogen um Bergün!!!». Oder, wie Harry Beck am 30. Mai um 18.55 Uhr aufs Facebook-Profil des Kurhauses Bergün donnerte: «Soeben zwei Wochen Sommer­ferien für fünf Personen storniert!!!» 

Die Reaktionen auf das herzliche Fotografierverbot sind ein Panoptikum jener, die man als Gast nicht will, aber braucht. Zum Beispiel die Leberwürste: «Ich fotografiere wo und wann ich will, aber von so einem Kaff brauche ich gar keine Fotos.» Und die Scharfdenker: «Wenn 1. April wäre, könnte man dies fast noch glauben.» Und die Verbotsallergiker: «Die Schweiz besteht nur noch aus Verbot und Busse. Krank so etwas!» Und die Geld­seckel: «Bergün sollte per sofort keine Gelder aus dem Finanzausgleich mehr erhalten.» 

Es sotten die Putzverruckten: «Ich werde meinen Anwalt einschalten .. das grenzt an Diktatur!» Und die Lustigen: «Habe sehr viel Humor, kann mich auch tot­lachen! Nur ist dies kein solcher. Es mangelt den Bergünern an niveaureichem Humor.» Und die Differenzierten: «Für mich ist Bergün gestorben! Das ganze Bündnerland ist abzocke pur, unsere Wildtiere wie Bären und Wölfe werden auch abgeschlachtet!!» Und die Dadaisten: «Das wird immer noch eine herte Einbusse geben für Bergün der Schaden ist schon zu Gross. Schade, die Steuerbehörde kann nur noch bis zum Gemeinde Wahl Tag das extra Geld von Bergün verlangen.» Und die Behördenschrecke: «Nebst dem Beschwerdebrief habe ich soeben auch noch vorsorglich eine Aufsichtsbeschwerde gegen die Gemeinde an die Bündner Regierung versandt!»

Entspannter klangen die Schlauberger: «Da ich ein gesetzestreuer CH-Bürger bin, werde ich halt das Dorf einfach filmen statt fotografieren – ganz gesetzeskonform.» Und die Lausbubis: «Ich habe mir vorsorglich schon mal alle Bilder von Bergün und Preda welche es auf Google zu sehen gibt runtergeladen, lach.» Und die Laborratten: «Da frage ich mich aber, wie ein Film entsteht. Dahinter stecken mehrere tausend Bilder.» Und die Korrekten: «Gilt das Verbot erst für Aufnahmen, die am oder nach dem 30.5.2017 aufgenommen wurden?» Und die Geisterfahrer: «Bei der Durchfahrt dieser Gemeinde sind die Augen zu schliessen.»

Es knurrten auch die Besorgten: «Der durchschnittliche Bürger oder chinesische Tourist wissen nicht mehr, welche Gesetze gelten und welche ein Witz sind.» Und die Doktoranden: «Das Verbot ist illegal: Art. 27 Abs. 1 URG. Dies ist ein krasser Missbrauch der direkten Demokratie. An dieser Gemeindeversammlung hat der Souverän einem Gesetz zugestimmt, welches in der Bundesverfassung garantierte Rechte widerspricht.» Und die Müetis: «Die schönsten Erinnerungen bleiben im Kopf gespeichert. Es muss doch nicht immer ständig fotografiert und vermutlich gleich gepostet werden.» Und die Wissenden: «Ich war noch nie in Bergün. Es gibt schönere Orte.»

Zum Glück bekam man in Ozeanien die literarischen Werke der Achtelgmerkigen nicht mit. International sei die Aktion gelobt worden, sagt ein Campaigner, nur in der Schweiz habe man zum Teil Probleme damit, alles positiv ausklingen lassen. «Nebenbei habe ich noch gelernt, wie viele Wutbürger es gibt.» Nachträglich über die eigene Humorlosigkeit zu lachen, ist halt sauschwer.

In Erinnerung bleiben aber auch die Vollgmerkigen, welche die Aktion verstanden und lachten. Die Witzigen. Die Vorwitzigen. Die Bergüner, die sich erstaunlich geschlossen hinter die gewagte Aktion stellten und hinter den Gemeindepräsidenten, der englisch radebrechend und liebenswürdig der Nasa verbot, Bergün aus dem Weltraum zu filmen. Eine so geeinte Destination ist der Traum jedes Tourismusdirektors. 

Christof Steiner vom Kurhaus Bergün trauert dem Harry Beck und seinen stornierten zwei Wochen für fünf Personen!!! übrigens nicht nach, und zwar aus einem einfachen Grund: «Bei uns gabs keine Stornierungen. Weder von einem Harry Beck noch von sonst jemandem.» Das Vorgaukeln von Sanktionen gibt dem Wutbürger wenigstens für einen Augenblick ein kaiserliches Daumen-runter-­Gefühl. Auch die Flut der Bogen-Fahrer dürfte sich in Grenzen halten. Das ist gut so, da kommt man nämlich ohne nennenswerte Verkehrsprobleme ins schöne Bergün. 
 



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