Schinken in Schwarz-Weiss

Ein Stück spanische Esskultur am Neuenburgersee: In der Manufaktur Jural wird das Fleisch einer alten portugiesischen Rasse zur Pata Negra veredelt – und jenes von Schweizer Schweinen zur Pata Blanca.
Text: Dominik Flammer – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 15.11.2022 | Aus: Salz & Pfeffer 6/2022
Den Begriff der Pata Blanca kreierten die Alcala-Brüder in Abgrenzung zur weltberühmten Pata Negra.

Die Eltern selbst blieben tief mit ihrer Herkunft und auch mit ihren kulinarischen Gewohnheiten verbunden.

Prallvoll sind die Feigenbäume im Garten, aus dem verfallenen Glashaus wachsen üppige Bananenstauden, der Blick schweift hinauf zum prächtigen Château Vaumarcus, das die Gegend überragt. Hinter dem Haus donnern im Zehnminutenrhythmus die Neigezüge dem Jurasüdfuss entlang. Und nicht nur der verwilderte und üppige Garten erinnert daran, dass hier einst eine Gärtnerei zu Hause war, auch das Schild an der verwitterten Hausfassade: Horticulteur A. Fruttiger. In dem historischen Häuschen, das einst der lokalen Gendarmerie als Wachposten diente und das noch früher eine Poststation beherbergt hatte, veredeln die Brüder Tomas und Eleuterio Alcala seit bald zehn Jahren bestes Schweinefleisch zu einer aussergewöhnlichen Delikatesse.

Geschichtsträchtig ist nicht nur das Haus, das die beiden für ihre Leidenschaft entdeckt haben, sondern ebenso der Weg, der sie zum Schinken führte. Ihre aus dem spanischen Süden stammenden Eltern kamen in den Sechzigerjahren auf der Suche nach einer Anstellung in die Schweiz und arbeiteten schon kurz darauf in der Kantine der Schuhfabrik Bally. Wenige Jahre später zogen sie nach Neuenburg, wo sie Arbeit in einer Zigarettenfabrik fanden – sowie eine neue Heimat für ihre zwei Söhne. Die Eltern selbst blieben tief mit ihrer Herkunft und auch mit ihren kulinarischen Gewohnheiten verbunden. Nur leider fanden sie in der Schweiz keinen Schinken, wie sie ihn aus der spanischen Kultur mit der lange gereiften Pata Negra kannten, da diese zu jener Zeit aus seuchenpolizeilichen Gründen nicht importiert werden durfte. Vater Alcala kaufte kurzerhand beim lokalen Metzger eine Handvoll Schweinekeulen, leerte das Salzregal im dörflichen Usego-Laden und begann damit, zu Hause den eigenen Schinken herzustellen.

Keine Pata Negra zwar, weil die schwarz-klauigen Schweine Spaniens in der Schweiz nicht zu haben waren, sondern eine Pata Blanca, wie Alcalas Söhne diesen Schinken später taufen sollten. Als die Eltern Mitte der Neunzigerjahre entschieden, nach Spanien zurückzukehren, standen ihre beiden Söhne bereits mitten im Berufsleben. Tomas Alcala hatte eine Lehre als Elektromechaniker hinter sich und einen Fachhochschulabschluss, der acht Jahre jüngere Eleuterio ein Diplom als Betriebswirtschafter an der Universität Neuenburg. Die Rückkehr ihrer Eltern nach Spanien stellte die beiden vor ein Problem: Woher den Schinken nehmen, den ihr Vater über fast drei Jahrzehnte hinweg zu Hause veredelt hatte?

Beide begannen in ihren Häusern, es ihrem Vater gleichzutun, mit dem Schinken der damals jüngst in der Schweiz angesiedelten ungarischen Wollschweine – auch Mangalitza genannt. Vorerst jedoch nur für den Eigenbedarf und für enge Freundinnen und Bekannte. Tomas Alcala verfolgte seine Karriere bei einem französischen Elektrokonzern, sein Bruder war als Manager bei zahlreichen internationalen Firmen tätig. Ihre Schinken machten die Runde, irgendwann begannen die Leute im Umfeld, mehr davon nachzufragen, und eines Tages klingelte bei Tomas Alcala das Telefon: Georges Wenger, der legendäre Koch aus dem jurassischen Le Noirmont, lud ihn zu sich ein, nachdem ihm ein Freund der Familie von diesem Schinken erzählt hatte.

Tomas Alcala strahlt vor Leidenschaft, wenn er die Geschichte davon erzählt, wie er und sein Bruder im Jahr 2009 damit begannen, überhaupt erst Schinken zu verkaufen. Beide blieben noch einige Zeit ihren Arbeitgebern treu, bevor sie den Schritt wagten, ganz auf die Schinkenveredelung umzusatteln. Am 11. Februar 2012 liessen die Alcalas ihre Firma unter dem Namen Jural im Handelsregister des Kantons Neuenburg eintragen. Mit viel Umsicht und noch mehr Eigenleistung restaurierten sie das neu erworbene Haus, kachelten die Arbeitsräume, beschafften sich im Second-Hand-Handel die eine oder andere Maschine und eröffneten im Erdgeschoss einen kleinen Laden, in dem sich heute alles um den Schinken und mittlerweile auch um zahlreiche andere spanisch angehauchte Produkte der beiden innovativen Brüder dreht.

Tomas Alcala hat, wie auch sein Bruder Eleuterio, seinen angestammten Beruf verlassen und ganz auf die Fleischveredelung gesetzt.
Die mehrfach ausgezeichneten Schinken aus Vaumarcus sind fein geschnitten auch in kleinen Mengen erhältlich.

Längst hatten sie auch begonnen, sich nach spanischen Schweinen umzuschauen, fanden diese aber nicht in der gewünschten Qualität. Über eine Waadtländer Freundin, Besitzerin eines grossen Anwesens im südportugiesischen Alentejo, begannen die Alcalas, ihre eigene Herde mit einer alten portugiesischen Schweinerasse, dem Porco Preto Alentejano, aufzubauen. Schweine, die ganzjährig im Freien leben und sich in der weitläufigen Landschaft schwergewichtig von Eicheln ernähren. Obwohl die Brüder auch heute noch eine Handvoll Schinken von Wollschweinen und einige Handvoll Schinken von spanischen Wildschweinen veredeln, sind die portugiesischen Schweine zu ihrem Hauptgeschäft geworden.

Jährlich werden hier die Schinken von weit über 100 Tieren gereift, die alle erst im Alter von gut eineinhalb Jahren geschlachtet werden. Und um der Geschichte von Vater Alcala treu zu bleiben, nach wie vor auch etwa 400 Schinken von Schweizer Edelschweinen. «Dies unter anderem deshalb, weil zahlreiche unserer Kundinnen und Kunden den helleren und deutlich magereren Pata-Blanca-Schinken der heimischen Schweine bevorzugen,» erzählt Tomas Alcala.

Inzwischen haben er und sein Bruder Eleuterio mit ihren Schinken nicht nur zahlreiche und namhafte Preise gewonnen, sondern sich auch zu gefragten Lieferanten für Gastronomiebetriebe und Gourmets gleichermassen gemausert. Nicht zuletzt dank ihrer Offenheit und der Transparenz ihrer Manufaktur: Die beiden Brüder führen ihre Kundschaft zum Beispiel hinauf in den Estrich, in dem die Schinken den Sommer über in der Wärme vor sich hinreifen, bevor sie im Herbst unter kühleren Bedingungen im Keller langsam, aber stetig ihren ausgeprägten Geschmack entwickeln.

Bis zu 36 Monate – und vereinzelt sogar noch länger – bleiben die besten Schinken hier unten. Das hat am Ende zwar seinen Preis, über 800 Franken kostet ein acht bis zwölf Kilogramm schwerer Pata-Negra- Schinken. «Fein geschnitten kann man bei uns aber auch kleine Mengen davon kaufen, so wie das in Spanien üblich ist. Denn diese Delikatesse ist nichts Alltägliches und kommt nur zu speziellen Gelegenheiten auf den Tisch», erläutert Tomas Alcala. Etwas günstiger ist die Pata Blanca. Ihren Namen verdankt sie übrigens einem Spontaneinfall der Brüder, die in der Anfangszeit ihren Kundinnen und Kunden zu oft erklären mussten, dass es sich dabei nicht um den klassischen spanischen Schinken handle. «Erst dieser neu kreierte Begriff der Pata Blanca ermöglichte es uns, unsere ganze Geschichte zu erzählen.», so Tomas Alcala.

Jural, Gebrüder Alcala, Petit-Clos 1, 2028 Vaumarcus, 032 535 63 03, jural.ch



Seite teilen

Bleiben Sie auf dem Laufenden – mit dem kostenlosen Newsletter aus der Salz & Pfeffer-Redaktion.

Salz & Pfeffer cigar gourmesse