Belagsarbeiten

Auf der Suche nach dem besten belegten Brötchen aus lokalen Zutaten zeigt sich: Das Potenzial ist gross – nicht nur in der Vitrine beim Beck, sondern auch auf dem Teller im Restaurant.
Text: Sarah Kohler – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 15.06.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2021
Ob Knäckebrot mit Geissfrischkäse oder Hausbrot mit Trockenfleisch und Alpsbrinz: Die Canapés von David Zurfluh im Culinarium Alpinum bestehen aus Produkten der Region.

«Es braucht bei der Zubereitung deutlich mehr Kreativität.»

Mani Matter sah es förmlich vor sich: Wer ein Sandwich will, braucht Brot und Fleisch, und zwar in Kombination sowie in der passenden Reihenfolge. Beim Canapé verhält sich die Sache ähnlich: Erst Brot und Belag im Duett machen die Einzelteile eben zum belegten Brötli, wie es im Schweizer Volksmund auch heisst. So weit, so klar. Allerdings ist das Canapé, was die Belegung angeht, hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten zur gar bequemen Chose verkommen (wenn auch nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Möbelstück, dem Sofa).

Fakt ist, dass das belegte Brötchen der Vergangenheit überwiegend so aussah: pampiger Toast mit lampigem Dosenspargel, wahlweise ersetzt durch Industrieei oder Billigschinken, mit Vorliebe überzogen von extra viel Gelee. Dabei wusste bereits Adelrich Furrer, wettkampferprobter und dekorierter Küchenchef aus der Innerschweiz, wie mannigfaltig sich das Canapé umsetzen liesse. In seinem 1936 erstmals und 1949 in zweiter Auflage erschienenen Buch «Belegte Brötchen und Gourmandises» schrieb er: «So sind in der letzten Zeit die belegten Brötchen sozusagen Mode geworden, eine Mode jedoch, die sich das ganze Jahr hindurch zu behaupten weiss, dank der Vielgestaltigkeit der Gaben, die uns die Natur im Wechsel der Jahreszeiten zur Befriedigung der kulinarischen Gelüste beschert.» Auf rund 180 Seiten beschreibt Furrer, was das Canapé kann: Er widmet sich den diversen Formen der Unterlage, benennt mögliche Zutaten für obendrauf (explizit auch vegetarisch!) und umreisst – für die Leserin von heute durchaus amüsant – Anlässe, für die sich Brötchen passend belegen lassen, etwa fürs Treffen des Automobil- oder des Jockeyclubs. Weit weniger aus der Zeit gefallen wirken seine generellen Überlegungen zum Thema. Etwa diese: «Und schliesslich lassen sich nicht zuletzt die brauchbaren, guten Reste im Gardemanger vorteilhaft zu belegten Brötchen verwenden.»

Diesen Ansatz verfolgt heutzutage David Zurfluh, Küchenchef im Culinarium Alpinum in Stans. Das Canapé – «also eine brotähnliche Basis mit Belag», wie er es definiert – hat in seinem Repertoire einen festen Platz, kommt bei der Verpflegung von Seminarteilnehmerinnen oder Kursbesuchern zum Einsatz, steht aber auch im Restaurant des Hauses auf der Karte. Für seine Kreationen verarbeitet er gern, was er ohnehin vorrätig (oder eben übrig) hat. Dabei schaue er insbesondere darauf, dass die Zutaten nicht zu fest saften: «Sonst weicht das Brot schnell durch.» Für die Unterlage greift er oft auf sein Hausbrot, ein Sauerteigbrot mit Biomehl aus der Mühle Alpnach sowie einem Anteil Paniermehl aus eigener Produktion, zurück. «Es ist schön knusprig», schwärmt Zurfluh, «und macht das Canapé zu einer wunderbaren Geschichte.»

Für den Belag kombiniert er beispielsweise einen fünfjährigen Alpsbrinz und Biotrockenfleisch aus Engelberg. Unter die Hauptkomponenten in verschiedenen Konsistenzen kommt eine für die Region typische Birnenweggenmousse, darüber sorgen leicht geröstete Baumnüsse für zusätzlichen Crunch. Et voilà: Nach wenigen Handgriffen liegt das regional inspirierte Canapé auf der Platte. «Ich mag, wenn es simpel ist», sagt Zurfluh. Einfach in der Zubereitung, aber eindrucksvoll im Geschmack ist auch seine Kreation mit Geissfrischkäse und -ziger von Toni Odermatt. Die würzigen Komponenten passen gut aufs Knäckebrot mit Schweizer Sonnenblumen- und Kürbiskernen sowie Leinsamen. Dazu kommen gehackte Wildkräuter und -blumen, hinter dem Haus geerntete Bärlauchkapern und -blüten. Der Stanser Küchenchef ist überzeugt, dass das Canapé in der Schweiz in die Bäckereiauslagen, aber eben auch auf die Teller gehört. «Die Leute mögen es gern», sagt er. «Aber es braucht bei der Zubereitung deutlich mehr Kreativität.»

Mit dieser Meinung ist er im Culinarium Alpinum in bester Gesellschaft. Und so widmet sich der erste Wettbewerb der im September eröffneten Institution auch gleich dem belegten Brötchen. Mitinitiant und Jurymitglied Dominik Flammer erklärt, warum: «Dem Canapé sind in seiner Form und Belegung kaum Grenzen gesetzt, und es ist ein ideales Element, um Saisonalität und Regionalität in ihrer ganzen Vielfalt zu zelebrieren. Wir sind deshalb überzeugt, dass es ein Revival verdient.» Unter dem Motto Das Neue Canapé Suisse rief das Culinarium Alpinum deshalb Berufsleute aus den Sparten Gastronomie, Hotellerie, Bäckerei, Konditorei, Confiserie und Traiteur dazu auf, das belegte Brötchen neu – und regional – zu interpretieren. Die sechs Finalisten, die der Jury in Stans ihre Kreationen präsentieren durften, übertrafen in ihrer Varianz und Breite selbst kühne Erwartungen. «In dieser Extreme hatte ich den regionalen Bezug nicht erwartet», zog etwa Jurymitglied Stefan Beer, Küchenchef im Victoria-Jungfrau in Interlaken, Bilanz. «Wir verarbeiten bei uns im Fine Dining selbst Produkte aus dem Umkreis von 40 Kilometern, und ich weiss, wie schwierig das ist – umso mehr schätze ich, wie viele tolle Produkte die Kandidaten für ihre Canapés aufspürten. Und es freut mich, zu sehen, mit welchem Selbstbewusstsein sie ihre Heimat präsentieren.»

Sie schafften es in der ersten Ausgabe von Das Neue Canapé Suisse aufs Podest (von links): Adrian Strub, Hansjörg Ladurner, Patrick Beereuter und Andreas Dossenbach.
Spargel-Eis am Sti(e)l – Patrick Beereuter, Confiserie Honold, Zürich
Schwarzes Alpenschwein & Rauchkastanie – Hansjörg Ladurner, Scalottas, Lenzerheide
Auf dem Wasserbüffel durch den Aargau – Adrian Strub, Pfändler's Gasthof zum Bären, Birmenstorf
Engelberger Forellen-Sbrinz-Canapé 2.0 – Andreas Dossenbach, Bäckerei Dossenbach, Engelberg

Besonders raffiniert fand die Jury die Umsetzung der Aufgabe von Patrick Beereuter, der mit seiner Kreation Spargel-Eis am Sti(e)l den ersten Platz holte. Der Abteilungsleiter Konditorei der Confiserie Honold interpretierte das belegte Brötli formal bemerkenswert frei, bei der Auswahl der Zutaten aber steckte er die Grenzen klar ab. Auf der Suche nach den Rohstoffen für sein Neues Canapé Suisse hatte er den Blick vom Aussichtsturm oberhalb von Buch am Irchel hinab aufs Zürcher Weinland gerichtet – und hier innovative Produzentinnen und Produzenten gefunden, die ihm lieferten, was er für seine Kreation brauchte. Diese setzte sich zusammen aus Sauerteigbrot mit Bärlauch, Spargel-Pannacotta, pinkem, weissem und grünem Spargel, Randengelee und Nussbutter-Mayonnaise. Sogar das Stäbchen für sein Canapé am Stiel war aus lokalem Buchenholz gefertigt. «Schlicht eine grossartige Geschichte», befand Culinarium-Alpinum-Kurator Flammer.

Beereuter, der sein Canapé Suisse ursprünglich in einer klassischen Form konzipiert hatte, liess sich von seiner Vorliebe für Glace inspirieren und spiesste sein Spargelbrötli kurzerhand auf. Im Hinblick auf den Take-away-Trend allenfalls ein zusätzlicher Vorteil: «Das Canapé lässt sich auch unterwegs geniessen.» Ob es sein Werk am Ende tatsächlich in die Theken der Honold-Filialen schafft, wird sich zeigen. «Der regionale Bezug ist super», sagt Beereuter, räumt aber ein, dass seine Kreation «preislich eine Herausforderung» darstellt. Zehn, vielleicht 15 Franken brauche man für das Spargel-Eis am Sti(e)l, dessen Zutaten alle aus der Schweiz stammen, wohl schon, mutmasst er. Potenzial sieht Beereuter beim Canapé generell aber auch in der Gastronomie. Für ihn, selbst einige Jahre als Koch tätig, ist dabei die Grösse ausschlaggebend: «Je nachdem, wie diese ausfällt, eignet sich das Spargel-Eis am Sti(e)l auch als Vorspeise.»

Die Praxistauglichkeit der Canapés beschäftigte im Culinarium Alpinum auch die Jury immer wieder. Eine Kreation, die in Bezug darauf positiv auffiel, hievte das Gremium auf den zweiten Platz. Mit Schwarzes Alpenschwein & Rauchkastanie präsentierte Hansjörg Ladurner vom zum Schweizerhof Lenzerheide gehörigen Restaurant Scalottas eine Version des belegten Brötchens, die sich in dieser Form sowohl beim Beck in der Vitrine wie auch im Restaurant prima verkaufen liesse. «Das Canapé ist im Prinzip ja sehr simpel», so der gebürtige Südtiroler, «aber mit dem regionalen Bezug ist es eine echt coole Sache.» Er hatte aus dem Bündnerland jede Menge spannender Zutaten in die Stanser Kursküche getragen und diese dort zu einem recht unscheinbaren, in seiner Kombination aber überaus stimmigen Canapé kombiniert. Auf einem sensationellen Rauchkastanienbrot, das auch anspruchsvolle Gaumen wie jenen von Juror Peter Kasimow, seines Zeichens erster Brotsommelier der Schweiz, begeisterte, vermählte er Speck vom Schwarzen Alpenschwein, Brotkleebutter, Apfel-Chutney und den Käse Andeerer Granit.

Schlagkräftige Argumente gab es aber auch für die Kreationen aller anderen Finalisten. Und so entpuppte sich die Besetzung des dritten Platzes als kniffligste Aufgabe für die Jury. Es entspann sich eine lebhafte Diskussion über die Gewichtung der Kriterien – mit dem Resultat, dass sich den untersten Podestplatz zwei Gewinner teilen. Andreas Dossenbach, Geschäftsführer der Bäckerei Dossenbach, überzeugte mit seinem Engelberger Forellen-Sbrinz-Canapé 2.0, auf dem er Fisch und Käse meisterlich auf Titlisbrot vereinte, genauso wie Adrian Strub mit seiner Kreation Auf dem Wasserbüffel durch den Aargau. Der Souschef von Pfändler’s Gasthof zum Bären in Birmenstorf belegte sein Rüebli-Hanf-Brot mit Wasserbüffel-Pastrami und einer Reihe weiterer Zutaten, die er im Wasserschloss der Schweiz zusammengetragen hatte.

Fast schon symbolisch stehen die Drittplatzierten für ein Phänomen der Gegenwart, das sowohl Köche als auch Bäckerinnen dazu bewegen könnte, dem Canapé (mehr) Beachtung zu schenken: Ihre Berufsfelder rücken thematisch immer näher zusammen. Denn während beim Beck gern auch mal ein ganzes Mittagsmenü zur Auswahl steht, kommt in Restaurants immer öfter hausgebackenes (Sauerteig-)Brot auf den Tisch. Da bietet sich ein belegtes Brötchen eigentlich geradezu an: Es vereint Komponenten aus beiden Welten – einfach und raffiniert zugleich.

Schweizer Klassiker im Visier
Unter dem Motto Das Neue Canapé Suisse lancierte das Culinarium Alpinum in Stans seinen ersten Wettbewerb für Berufsleute aus den Bereichen Gastronomie, Hotellerie, Bäckerei, Konditorei, Confiserie und Traiteur. Die Aufgabe war es, dem Schnittchen aus gummigem Weissbrot, Dosenspargel, Billigschinken, Industrieei und Gelee den Kampf anzusagen und eine Neuinterpretation des belegten Brötli mit einem klaren regionalen Bezug zu kreieren. Eingegangen waren über 20 Dossiers, aus denen die Fachjury – bestehend aus Ernährungsforscher Dominik Flammer, dem ersten Schweizer Brotsommelier Peter Kasimow, Richemont-Direktor Reto Fries, den beiden Küchenchefs Stefan Beer (Victoria-Jungfrau, Interlaken) und David Zurfluh (Culinarium Alpinum, Stans) sowie Salz & Pfeffer-Chefredaktorin Sarah Kohler – sechs Finalisten kürte. Diese präsentierten ihre Kreationen am 10. Mai vor dem Gremium in Stans.
culinarium-alpinum.com



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