«Wir müssen noch viel Überzeugungsarbeit leisten.»
1300000000 Liter Molke fallen in der Schweizer Käsebranche jährlich an. Um sich diese 1,3 Milliarden Liter vorstellen zu können, hilft ein Vergleich: Im Braujahr 2020 / 21 wurden in der Schweiz insgesamt 441 Millionen Liter Bier getrunken – was in etwa einem Drittel der jährlich anfallenden Molke entspricht. Damit führt diese die Rangliste im Bereich der Verschwendung von in der Schweiz produzierten Lebensmitteln bei weitem an. Kein Wunder also, dass die Forschung und die Milchverbände hier ein enormes Reduktionspotenzial sehen – grösser als in vielen anderen Bereichen des sogenannten Foodwaste.
Diesem Potenzial widmet sich seit 2017 die Firma Wheycation aus Rapperswil, ein Start-up-Unternehmen, das die Lebensmittelingenieurin Doris Erne gemeinsam mit ihrem Partner Christian Studer gegründet hat. Kein leichtes Unterfangen in Bezug auf ein Lebensmittel, dem der Ruf eines Abfallprodukts anhaftet. Eines, das man gerade noch an die Schweine verfüttern kann, die dann als Molkensäuli vermarktet werden – obschon die Molke für die Schweine allenfalls ein ergänzendes Nahrungsmittel ist. Sie vermag beileibe nicht die hunderten von Tonnen Importkraftfutter zu ersetzen, die für die Aufzucht der Tiere benötigt werden. Und doch fliesst rund die Hälfte der anfallenden Schweizer Molke in die Futtertröge der Tierzucht. Mit sinkender Tendenz – da damit zunehmend Biogasanlagen beliefert werden.
Auf die Molke gekommen ist Erne über den Sport: «Als leidenschaftliche Cross-Fitterin stolperte ich vor einigen Jahren über den Trend hin zu proteinreicher Nahrung und stiess so auch auf die zahlreichen Proteinergänzungsmittel, die den Markt seit einiger Zeit förmlich überschwemmen», erzählt die Ostschweizerin, die im Rheintaler Städtchen Buchs aufgewachsen ist. «Nur waren diese Produkte überhaupt nicht transparent, allesamt importiert und kaum bei einem wurde deklariert, woher die Proteine stammen.»
Als leidenschaftliche Köchin und Verfechterin der Regionalität war für Erne bald klar, dass dies ihr künftiges Betätigungsfeld sein sollte. Industrielle Erfahrungen hatte sie bereits bei der Migros-Grossbäckerei Jowa gesammelt, bei der sie einige Jahre in der Produktion und dann in der Entwicklung arbeitete. Schon während ihrer Zeit bei der Migros absolvierte sie ein Nachdiplomstudium mit den Schwerpunkten Management und Innovation, mit dem klaren Ziel, dereinst selbst unternehmerisch tätig zu sein. «Für das Thema Molke erhielt ich sofort Unterstützung, insbesondere für mein Forschungsprojekt, das ich zusammen mit der Berner Fachhochschule und Agroscope vorantreiben durfte», erzählt Erne.
Entstanden sind daraus nicht nur Projektideen, sondern auch konkrete Produkte wie die beiden aus Schwyzer Bio-Molke hergestellten Shakes mit Beeren oder Mango, die heute in drei Genossenschaften der Migros zu finden sind. Um dem Geschmack der Mehrheit gerecht zu werden, reichert Wheycation die Molke mit zusätzlichen Molkenproteinen an und verändert mit Hilfe von Joghurtfermenten auch ihre Konsistenz und ihren Geschmack so, dass sie sich durchaus mit frischen Joghurtgetränken vergleichen lässt. Mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass sie erst noch länger haltbar sind, sowie dem grossen Vorteil, dass die vom Schwyzer Milchhuus produzierten Molke-Shakes durch die Fermentation keine Laktose mehr enthalten – wodurch sie sehr bekömmlich sind. Ebenfalls im Angebot hat Wheycation die sogenannten Recovery Shake Powders, aromatisierte Molkenproteinpulver als Nahrungsergänzungsmittel für Sportler, die ihre Shakes gern selber anrühren.