Ob Chef Vottonen da schon an der Grenze des Machbaren angelangt ist? Ein Restaurant müsse Identität haben, sagt er. Hat es durchaus. Fisch und Meeresfrüchte stehen im Vordergrund. Wer vegetarisch essen will, kann das tun, vegane Menüs serviert man allerdings nicht in jenem Restaurant, das mitsamt Hotel 1952 eröffnete, pünktlich zu den Olympischen Sommerspielen. Die waren für die kleine Hauptstadt dermassen überdimensioniert, dass die Finnen und Finninnen noch heute kaum glauben wollen, dass ihnen das IOC damals die Ehre zugesprochen hat. Viele glaubten auch nicht an die eigene Küche, bevor ein gewisser Hans Välimäki im Jahr 1998 das Chez Dominique eröffnete. Französisch mit finnischem Touch, zwei Sterne, ein Platz auf der sogenannten San-Pellegrino-Liste. Der Vorreiter schloss 2013. Er wolle etwas anderes machen, sagte Välimäki damals. Mag sein, dass der Mann seiner Zeit allzu weit voraus war.
Anders als früher ist inzwischen auch die Lage herausragender Produzentinnen und Produzenten. Das Wagyu, einer der Appetizer im Palace, kommt von hier, der Thunfisch wiederum ist von Balfegó, Kaisergranate und Jakobsmuscheln werden in Norwegen angelandet, der Hiramsasa stammt aus Dänemark. Zu Letzterem serviert die Küche hausgemachten Stachelbeer-Ponzu, reichert das Tatar aus rohen Garnelen mit Sansho an, bringt zum Kaviar Dashi-Butter ins Spiel. Ja, sagt Vottonen, er liebe die japanischen Einflüsse, sei in Asien gereist, verbinde Würze von dort mit dem von hier. Von hier soll bald auch wieder Kaviar geliefert werden, aber da eine Produktionsunterbrechung stattfand und sich das Fischei-Unternehmen neu aufgestellt habe, nutze er gerade die Alternative aus Dänemark. Ist halt noch nicht so einfach, alles zu ergattern, was Spitzenköche so haben wollen. Bei den Jakobsmuscheln von Hitra, einer mittelnorwegischen Insel, läuft die Küche übrigens zur Hochform auf – Ingwer und Pilzconsommé kontrastieren die dezente Süsse des Muschelfleisches. Fast noch besser ist der Steinbutt mit brauner Butter und Lappland-Kartoffeln. Die 30 Euro Zuschlag für den gegrillten Kaisergranat lohnen dagegen kaum; unter der würzigen, mit Krustentierschalen, Chilis und geräucherten Jakobsmuscheln zubereiteten XO-Sauce verblassen die Langostinos.
Lieber die Tranche vom Weisswedelhirsch von umwerfender Textur – Jagen ist wie das Sammeln von Beeren finnischer Volkssport – oder das Dessert mit Umeboshi und Oolong-Tee. Noch ein bisschen mehr Eigenständigkeit, eine Spur mehr Mut, die Gäste mal mit Unerwartetem verblüffen, und die zwei Sterne wären noch mehr gerechtfertigt, als sie es jetzt schon sind.
So oder so sollten die Finnen und Finninnen schlicht noch ein bisschen stolzer sein auf ihre Vorzeigeköchinnen und -köche, sie mehr in den Mittelpunkt stellen, auf dass noch mehr Gourmetourismus aufkomme, von links, aus dem Westen. Die Chefs und Chefinnen wiederum müssten sich mehr zeigen. Vottonen zum Beispiel, der betont, dass er am liebsten für seine Gäste im Palace da sei und sich nur selten für Events und Four-Hands-Dinner zur Verfügung stelle. Und natürlich Puolakka. Ein Buch über ihr Leben habe sie schon geschrieben, sagt sie und grinst, aber bisher habe es niemand verlegen wollen. Vielleicht auch, weil zu viel Ehrliches drinsteht über Gordon Ramsay, Pierre Gagnaire und eine Kochszene, die lange von Männern mit übertriebenem Selbstbewusstsein geprägt wurde.
Restaurant Palace, Eteläranta 10, 00130 Helsinki, +358 50 5020718, palacerestaurant.fi
Restaurant Savoy, Eteläesplanadi 14, 00130 Helsinki, +358 96 1285300, savoyhelsinki.fi