04.11.2025 SP 4/25

Ein neuer Stern in Biel

Interview: Claudia Salzmann – Fotos: Njazi Nivokazi
Das Du Bourg in Biel wird seit diesem Frühsommer von Manuel Zaugg und seinem Team geführt. Im Interview spricht der Gstaader Koch über Grenzen beim Dessert, Zurückhaltung in anderen Restaurants und über den Empfang in Biel.
2025.09.30 Salz Und Pfeffer O Ton Du Bourg 37
Saibling aus Lüscherz mit gelbem Tomatenschaum und fermentierter Zitrone. Dazu Gersten-Koji, tomatierte Beurre blanc und Basilikumöl.
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Sie haben im Mai in Biel das Restaurant Du Bourg übernommen. Wie wurden Sie empfangen?
Manuel Zaugg: Herzlich und mit Freude. Wir sind richtig angekommen an diesem wunderbaren Ort in der Altstadt. Die Bielerinnen und Bieler sind wirklich herzlich und zeigen auch ihre Freude an einem feinen Restaurant vor Ort. Vielleicht liegt das auch daran, dass es davon hier nicht so viele gibt wie beispielsweise in Bern. Auch online haben wir bisher fast nur positive Rückmeldungen erhalten. Es ist halt wirklich unser Privileg, mit vier Personen zwölf Gäste zu umsorgen. Bei unseren wenigen Tischen kann man sich wichtige Dinge des Gastes merken und auch mal zwei Minuten mit ihm schwatzen. Diese Zeit, die wir uns nehmen, wird unglaublich geschätzt.

Kann sich das denn so überhaupt rechnen?
Hätten wir nicht so viel Liebe zum Kochen, würden wir das nicht tun. Meinen Stundenlohn rechne ich nie aus, solche Gedanken muss man zur Seite schieben. Der Lohn sind die Komplimente der Gäste. Aber klar, am Ende des Monats müssen auch wir Miete und Löhne bezahlen können.

Beschreiben Sie das Du Bourg für Leute, die es nicht kennen!
Das Restaurant liegt an einem grossen Platz in einem denkmalgeschützten Haus. Mal abgesehen von der beschränkten Infrastruktur der kleinen Küche, haben wir hier ein perfektes Restaurant. Den Apéro veranstalten wir im Gewölbekeller und wechseln anschliessend ins Erdgeschoss. Gäste melden uns zurück, dass es wohlig-warm ist und sie sich bei uns daheim fühlen. Selbst wenn der Gastraum voll ist, hat man einen guten Abstand zu den übrigen Gästen. Und ich bin überzeugt, dass der Ort auch mitbestimmt, welches Menü man kocht und welches Geschirr man auswählt.

Ist Ihnen das auch wichtig, wenn Sie irgendwo privat auswärts essen gehen?
Absolut, überhaupt alles Visuelle. Darüber hinaus bin ich vielleicht aber ein atypischer Koch, denn für mich persönlich ist der Service wichtiger als die Küche, wenn ich auswärts essen gehe. Ich weiss oft, dass es nicht das beste Esserlebnis wird, aber wenn der Service motiviert ist, mag ich das sehr. Früher war ich viel kritischer, aber meine Freundin hat mir einmal ganz deutlich gesagt: «Mit dir essen gehen ist anstrengend!» Dies, weil ich mal hier etwas Salz vermisst, mal dort die Sauce bemängelt habe. Solche Kritiken habe ich mir abgewöhnt und sage nicht mehr ständig meine Meinung. Ich bin zur Haltung gekommen: Man muss nicht immer alles hinterfragen.

Haben Ihre Gerichte eine visuelle Linie?
Wir schicken klare, simplistisch-detaillierte Gerichte. Ich mag es nicht, wenn tausend Komponenten auf den Tellern sind. Die Sachen müssen von der Form her zusammenpassen. Und ich schicke nach dem Credo: Weniger ist mehr. Klare Formen und genaue Schnittarten sagen mir sehr zu.

Was zieht sich durchs ganze Menü?
Ich liebe Säure. In all meinen Gerichten ist eine säuerliche Komponente mit drin. Bei der Kohlrabi-Rose sind das beispielsweise verschiedene Essigsorten. Das macht unsere Küche leicht und erfrischend, was den meisten schmeckt. Natürlich nicht allen: Als kürzlich eine schwangere Frau hier war, gab sie uns als Feedback, dass es für sie viel zu sauer sei. Anscheinend sind die Geschmacksknospen bei Schwangeren in ständiger Bewegung und viel sensibler.

Gibt es für Sie einen Moment, in dem ein Teller tatsächlich «vollendet» ist?
Das kommt nur sehr selten vor. Bei manchen Gängen merken wir, auch wenn wir sie wochenlang geschickt haben, dass bis zum Schluss doch noch etwas gefehlt hat. Und viele Komponenten verändern wir ständig, weil sie zu aufwendig sind. Kürzlich haben wir zu einem Zitronentörtchen Nashibirnen in elf perfekte Juliennes geschnitten und sie als akkuraten Fächer angerichtet. Das sieht nur dann schön aus, wenn sie haargenau gelegt sind. Jetzt stechen wir die Birne rund aus und sind deshalb viel schneller und akkurater. Das Gute in einem so kleinen Lokal sind die kurzen Wege, wenn man etwas ändern will. In einem grossen Team würde das eine Woche dauern, wir ändern es einfach mal schnell. So agil sind wir. Ich mag neue Dinge, doch würde ich jede Woche Gerichte wechseln, kämen wir nie auf das Qualitätsniveau, hinter dem wir stehen können.

Auch bei der Arbeit scheinen Sie pflegeleicht zu sein, wie ich von Ihren Teamkollegen höre. Was ist da dran?
Während unsere Gäste vorne sechs bis sieben Gänge geniessen, gibt es bei uns in der Küche oft einfach nur Landjäger. Oder wir tunken Brot in die übrig gebliebene Beurre blanc. Natürlich essen wir auch was Anständiges, am Nachmittag gibt's feines Personalessen, das meistens mein Souschef Finn zubereitet. Aber gegen 19 Uhr meldet sich der Hunger dann wieder. Und nachdem wir unseren Gästen den Hauptgang serviert haben, lieben wir es, Landjäger zu essen. Und um 1 Uhr morgens gibt's dann noch die zweite Runde Landjäger, dieses Mal aber daheim. Landjäger ist das Essen von uns Küchen-Champions.

Wie sehr verändert Instagram Ihr Schaffen?
Schwierige Frage. Es gibt Leute, die das Kochen als Kunst betrachten. Bei manchen steht das Handwerk nicht im Vordergrund, sondern alles dreht sich ums Visuelle. Gerade wegen Instagram wird unser Schaffen immer mehr ins Rampenlicht und damit ins Kunstlicht gerückt. Für mich ist es aber pures Handwerk.

Sellerie-Roulade, Fingerlimetten, Quitte, Shiso-Tempura an einer Madeira-Shiitake-Dashi.
Sellerie-Roulade, Fingerlimetten, Quitte, Shiso-Tempura an einer Madeira-Shiitake-Dashi.
2025.09.30 Salz Und Pfeffer O Ton Du Bourg 35
Manuel Zaugg
Manuel Zaugg
Milchreis mit kandierten Orangen, Sake-Schaum, gepufftem Sesam und Matcha-Hippen, dazu Glace aus geröstetem schwarzem Sesam.
Milchreis mit kandierten Orangen, Sake-Schaum, gepufftem Sesam und Matcha-Hippen, dazu Glace aus geröstetem schwarzem Sesam.
Tartelette mit Gartenbohnen und Liebstöckel, Süsskartoffel-Taco mit geräucherter Bieler Forelle, Mairüben, Praliné mit Spinat, fermentiertem Chili und eingelegter Senfsaat.
Tartelette mit Gartenbohnen und Liebstöckel, Süsskartoffel-Taco mit geräucherter Bieler Forelle, Mairüben, Praliné mit Spinat, fermentiertem Chili und eingelegter Senfsaat.
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Wie stehen Sie zu Fotos, die von Gästen gemacht wurden?
Na ja, nach sechs Gläsern Wein und mit verschmierter Linse bekommt man halt nicht mehr so gute Bilder hin. Geht mir ja selbst auch so. Doch mir geht’s weniger um schöne Bilder als um die Erinnerung. Oft entdecke ich in meiner Cloud im Nachhinein Gerichte, an die ich mich sonst nicht mehr erinnert hätte. Und da ist es eigentlich egal, wenn sie unscharf sind.

Wenn Sie ein Land wählen müssten, in dem Sie bis zum Ende Ihres Lebens bleiben müssten, welches wäre es?
(Denkt lange nach) Japan. Ich sehe mich dort mit 90 Jahren Ramen schlürfen. Und möchte dort leben wegen des Essens, logisch, aber auch wegen der Leute, die als Gemeinschaft etwas vorantreiben wollen. Natürlich existieren auch dort Schattenseiten, ich will nicht alles schönreden. Aber die Arbeitsmoral in Japan gefällt mir sehr.

Der Oktober war aufregend. Von Gault & Millau gab es 15 Punkte, von Michelin einen Stern. Sind Sie zufrieden?
Es ist sehr schön, dass wir so schnell in den Führern aufgenommen wurden. Das bereits nach vier Monaten zu schaffen, ist toll. Seit ich selbstständig bin, habe ich logischerweise einen anderen Druck auf mir. Meine vorherigen Chefs sind immer hingestanden. Das war bei negativem Feedback sehr praktisch, aber bei positivem Feedback standen sie eben auch dort. Hier im Du Bourg stehe ich in der Verantwortung für alles und muss damit leben, wenn ein Gast ein Gericht schlecht findet.

Wie gehen Sie denn mit Kritik um?
Mit viel Wein … (lacht). Nein, im Ernst, es ist eine nimmer endende Geschichte, man muss lernen, seine Gefühle abzustellen. Oder sich überlegen: War die Kritik gerechtfertigt oder hatte der Gast einfach einen schlechten Tag? Doch: Essen ist und bleibt eine objektive Sache. Als wir im Du Bourg übernommen haben, konnten wir uns Fehler eher noch leisten und hatten den Newbie-Bonus. Wer aber auf Spitzenniveau mitspielen will, der muss liefern, schliesslich zahlen die Leute viel Geld dafür.

Sie haben im Ermitage in Gstaad gearbeitet. Woran erinnern Sie sich?
An den riesigen Pass. Und dass wir nie Gäste zu Gesicht bekommen haben. Vielleicht kam einmal die Woche ein knappes Kompliment von einem vorbeieilenden Kellner. Das ist hier im Du Bourg anders: Wenn du das erste Mal ein neues Dessert schickst, stehst du selbst am Tisch und erklärst es. Die Augen der Gäste leuchten, aber du hoffst innerlich einfach, dass sie es auch mögen. Ich gehe gern mit Desserts in den Gastraum, mein Souschef Finn hat etwas weniger Kontakt mit den Gästen. Bei uns spüren Julian und Petra, wie viel man reden kann. Wenn die Blicke abschweifen oder die Gabel sich schon Richtung Teller bewegt, muss man sich mit Erklärungen kurz halten.

Apropos Geschirr: Sie scheinen ein besonderes Auge dafür zu haben?
Das Geschirr bestimmt das Essensgefühl enorm mit. Da reden wir nicht nur von der Form. Wie ist die Unterlage? Wie gut kann ich das Gericht aus dem Teller löffeln? Und dann auch: Wie gut liegt der Löffel in meiner Hand? Das alles macht so viel aus. Der Teller selbst ist genauso wichtig wie das Anrichten darauf. Da kannst du noch den perfektesten Fisch gebraten haben, auf einem weissen Teller kommt der nur 90 Prozent zur Geltung. Oder er kann gar klinisch wirken, weil man bei weissen Komponenten das Gefühl hat, dass sie nach nichts schmecken. Natürlich gibt es Ausnahmen: Im Core in London habe ich ein fast komplett weisses Dessert serviert bekommen. Dabei sieht man – auf den Fotos zumindest – praktisch nichts. Und schon gar nicht, wie viel Handwerk dahintersteckt.

Welcher Gang kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an das beste Essen Ihres Lebens denken?
Den besten Gang meines bisherigen Lebens, der mir jetzt spontan einfällt, hatte ich im Ekstedt in Stockholm: ein Steinpilz-Soufflé aus dem Pizzaofen. Der Patissier hat Blut geschwitzt wegen des offenen Feuers, weil das Soufflé in sich zusammensacken könnte. Ein Patissier würde nie auf diese Idee kommen, das hat sich wohl der Küchenchef ausgedacht.

Sie haben das Du Bourg von Christian Aebi und Fiona Liengme übernommen, die den Ort als Feinschmeckerlokal etabliert haben. Was machen Sie anders?
Wir unterscheiden uns bei den Öffnungszeiten. Ab 15 Uhr bedienen wir die Terrasse. Wir sind ja sowieso vor Ort. Für uns ist das eine Plattform, um neue Gäste zu erreichen, während des Cappuccinos können wir über unser Menü sprechen. Biel ist eine sehr kulturelle Stadt. Wir nehmen beispielsweise am Kulturevent «First Friday» mit einer Bar teil. So werden wir zum Gesprächsstoff und kommen in die Köpfe der Bieler rein.

Sie sind gelernter Koch, aber Ihr Herz schlägt laut für die Patisserie.
Es ist ein Privileg, dass ich in meiner Position in der Patisserie arbeiten kann. Mein Souschef Finn ist nicht der «Süsse», das hat er mir beim allerersten Gespräch klar gesagt. Meine Liebe für die Patisserie machte sich bereits in der Lehre bemerkbar. So kam es nicht von ungefähr, dass ich mit einer zusätzlichen Ausbildung geliebäugelt habe. Doch dann kam das Aufgebot für die Rekrutenschule. Danach ging ich wieder in den Lehrbetrieb Post Hotel Rössli zurück. Heute bin ich froh, dass ich dann doch keine Patissier-Ausbildung zusätzlich gemacht habe, ich wäre heute nicht so weit als Koch. Die Patisserie ist ein kleiner Teil des Menüs, aber nicht zu unterschätzen: Oft ist der Patissier ja der bestbezahlte Mitarbeiter der Küche. Und das Dessert muss zum Gesamtbild passen.

Gibt es Grenzen beim Dessert?
Schokolade geht für mich gar nicht (lacht). Ich rede da nur von meinen Präferenzen. Wenn es sein muss, serviere ich maximal ein Schokoladenküchlein. Auch bei Gemüse in Desserts sind die Grenzen schnell erreicht. Man darf das nur subtil einsetzen, damit das Gesamtbild noch stimmt. Kay Baumgardt servierte mal Blumenkohl, das hat mir gut geschmeckt. Aber er gehört zu den weltbesten Patissiers, er darf das wagen. Beim aktuellen Dessert im Du Bourg servieren wir Apfel mit Wasabi und Mascarpone. Das sind Geschmacksnoten, die alle nachvollziehen können. Der Gast versteht das von alleine, das ist für mich auch eine Grenze.

Restaurant Du Bourg
Burggasse 12
2502 Biel
032 322 26 06
du-bourg.ch

 

Manuel Zaugg (31) absolvierte seine Kochlehre im Restaurant Rössli in Gstaad. Dort produzierte er oft Torten, woran er grossen Gefallen fand. Die Rekrutenschule verhinderte allerdings, dass er nach der Kochlehre eine Patissier-Ausbildung anschloss. Danach geriet er in den Strudel des Arbeitslebens, kehrte in den Lehrbetrieb zurück, weil dort Not am Koch herrschte. Später wechselte er ins Ermitage in Schönried, wo er zum Souschef aufstieg. In Bern arbeitete er bei Markus Arnold in der Steinhalle als Küchenchef, dort lernte er auch seinen aktuellen Souschef Finn Bohnen kennen. Die letzte Station, bevor er sich mit dem Du Bourg selbstständig machte, war das Quartierlokal Olympia in Bern. Dort kochte er mit Simon Apothéloz, der zuvor in der ehemaligen Eisblume in Worb tätig war. Zaugg sagt über sich, dass er ein Ordnungsfanatiker sei. Krümel findet man bei ihm in der Küche bestimmt nicht. Dafür einen Michelin-Stern, den Zaugg seit 20. Oktober sein Eigen nennen darf.

Finn Bohnen (26) hat das beste Gericht seines bisherigen Lebens im Restaurant Moment in Bern gegessen: eine Kohl-Kimchi-Roll, dazu ein Wein mit Anisnote. Der Wein sei gar nicht sein Geschmack gewesen, aber in Kombination mit der Rolle sei das ultralecker gewesen und habe perfekt harmoniert. Der Duisburger erinnert sich daran, wie ihn Manuel Zaugg fragte, ob er denn in der Patisserie des Du Bourg mitmachen wolle. Bohnen sagt: «Ich arbeite lieber mit heissen Gerichten und war sehr froh, dass sich die Arbeitsteilung von selbst arrangierte.»