
«Der Edelkrebs hat diesen unverkennbaren Krebsgeschmack, tritt im Gaumen aber milder auf als Hummer.»
Einst besiedelten Flusskrebse im Alpenraum Weiher, Kanäle, Flüsse und Bäche. Wer kein Geld für Fleisch hatte, sammelte die proteinreichen Krustentiere dort gleich eimerweise. Nebst dem Edelkrebs gehören hierzulande auch der Dohlen- und der Steinkrebs zu den heimischen Flusskrebsarten. Sie alle sind vom Aussterben bedroht und haben in unseren Gewässern reproduktionsfreudigen Exoten Platz gemacht, die unter anderem durch Fischereiimporte eingeschleppt worden und Träger der Krebspest sind. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts rottete diese Pilzkrankheit etliche heimische Flusskrebspopulationen aus, später beschleunigten die Verbauung und die Verschmutzung der Gewässer deren Niedergang zusätzlich.
Im Appenzellerland kämpft einer für die Rückkehr der gefährdeten Panzerträger. Seit 2018 führt Jeannot Müller im ausserrhodischen Bühler eine Aufzuchtstation, die Edel- und Steinkrebsen zur Rückeroberung hiesiger Gefilde verhilft. «Die Gewässer sind heute meist wieder in gutem Zustand», sagt er, «doch oft verunmöglichen bauliche Hindernisse und stark geschrumpfte Restbestände eine Wiederansiedlung auf natürlichem Weg. Hier kommen wir ins Spiel.» Bei Müller verbringen Flusskrebse ihre ersten Lebensmonate in geschützter Umgebung. Die sensible Phase beginnt im Oktober, wenn die Muttertiere nach der Befruchtung ihre Eier ausstossen. Sechs Monate lang tragen sie 80 bis 100 Eier am Körper. Ende Juni schlüpfen die Jungtiere, die sich über den Sommer mehrmals häuten, um wachsen zu können. Dabei müssen sie ihren harten Panzer abstossen und sämtliche Gliedmassen unbeschädigt durch kleinste Öffnungen ziehen. «Das ist der gefährlichste Moment im Leben eines Krebses», sagt Müller. «Kommt es dann zu starken Schwankungen von Wasserwerten oder Temperatur, stirbt er.» Jungkrebse sind in der Regel sechs Monate alt, wenn Müller sie in geeigneten Gewässern aussetzt.
Artenschutz funktioniert nicht nur durch die Auf- und Nachzucht gefährdeter Tiere, sondern, so paradox es zunächst klingen mag, mitunter auch durch ihre Nutzung. «Im Fall des Edelkrebses ist das kein Widerspruch», sagt Müller, der jeweils einen kleinen Teil seiner ausgewachsenen Tiere an Gastronomen verkauft. Auch das Bundesamt für Umwelt hält in seinem «Aktionsplan Flusskrebse» fest, dass das kulinarische Potenzial des Edelkrebses dazu beitragen könne, die Verbreitung der Tiere zu fördern, wenn die Aufzucht im Rahmen einer nachhaltigen Bewirtschaftung erfolge und mit Bemühungen zur Wiederansiedlung verknüpft werde: «Dieses Vorgehen erlaubt gleichzeitig die kommerzielle Nutzung zu gastronomischen Zwecken, einen langfristigen Schutz und eine fortwährende Überwachung dieser Populationen.» Müller beispielsweise finanziert mit dem Verkauf der Edelkrebse auch seine Projekte zur Erhaltung des besonders bedrohten Steinkrebses mit, dessen Fang und Konsum hierzulande streng verboten ist. Ausgewachsene Edelkrebse für Nachzucht und Gastronomie – bis die Tiere Speisegrösse erreicht haben, dauert es mindestens vier Jahre – holt er im deutschen Memmingen, eine Autostunde von Bühler entfernt: «Dort hat ein befreundeter Fischwirt Zugang zu einem Baggersee, der ideale Bedingungen bietet: Er wird vom Grundwasser gespeist, es gibt da weder Raubfische noch Menschen.»