Was mit Porzellanabfällen geschieht, wusste Nicole Lehner. Ist Keramik einmal ausgehärtet respektive gebrannt, schmilzt sie nicht mehr, nicht einmal in der Kehrichtverbrennungsanlage. Sie landet darum auf dem Bauschutt. Wie aber geht es danach weiter? Diese Frage sollte der Startschuss zu einem Recyclingprojekt werden, das derzeit im Bieler Restaurant Ecluse seine zweite Testphase durchläuft. Aber beginnen wir von vorn: Nachhaltigkeit spielt im Schaffen von Nicole Lehner seit jeher eine wichtige Rolle. Als Industrie- und Produktdesignerin kombiniert sie die Materialien immer so, dass sie sich am Ende des Produktlebens problemlos voneinander trennen und separat recyceln lassen. Auch das Handwerk an sich und der Fokus auf eine Produktion in der Schweiz sind zwei Konstanten im Berufsleben der Buchserin. Dabei zeigt sie keine Scheu vor neuen Techniken. So wird sie zum Beispiel kurzerhand selbst aktiv, als sie niemanden für die Produktion ihrer Keramikelemente findet, und arbeitet seither regelmässig mit Porzellan. Inzwischen gibt sie sogar Porzellankurse – und gelangt so irgendwann zur am Anfang dieses Textes gestellten Frage: Was passiert mit all den Porzellanabfällen, nachdem sie auf dem Bauschutt gelandet sind?
Wertvolle Ressource statt Abfall
«Meine Recherche hat rasch gezeigt, dass alles in den Boden gelangt, weil Bauschutt vergraben wird.» Eine Tatsache, an der sich Lehner aus zweierlei Gründen stört: «Erstens machen wir unsere Böden damit langfristig kaputt. Zweitens werfen wir wertvolles Material weg, aus dem sich, so haben die vergangenen drei Jahre gezeigt, durchaus noch sehr viel machen liesse.» Ihr Ehrgeiz ist geweckt, bevor sie weiss, ob ihr Vorhaben gelingt: Statt Keramik aus neuen Rohstoffen herzustellen, will sie solche mit einem möglichst hohen Recyclinganteil fertigen. «In Zeiten von Ressourcenknappheit und Umweltverschmutzung können wir es uns schlicht nicht mehr leisten, derart hochwertiges Material einfach zu verschwenden. Vielmehr müssen wir Systeme schaffen, die den heutigen Abfall als die wertvolle Ressource nutzen, die er in vielen Fällen ist.»
Stichwort Kreislaufwirtschaft. In einem ersten Test verwendet sie hochgebrannte, aber unglasierte Porzellanabfälle aus ihrer eigenen Produktion. Dazu zerkleinert sie die Keramikscherben in einer Stein- und einer Schlagkreuzmühle, mischt sie mit neuer Porzellanmasse und giesst den Schlickerguss in Gipsformen. In zahlreichen Tests spürt sie auf, mit welcher Korngrösse und welchem Recyclinganteil das Material am stabilsten und dichtesten wird, und spart am Ende 50 Prozent Primärrohstoffe ein.
Perfekte Scherbenquelle
Weil die Resultate vom Ausgangsmaterial abhängen, will sie weitere Tests mit möglichst verschiedenen Keramikscherben angehen. Reine Keramiksammelstellen indes gibt es in der Schweiz nicht. Also überlegt sie, wo am meisten Scherben anfallen, und landet alsbald in der Gastronomie. Sie schreibt verschiedene Restaurants an, vornehmlich kleinere Betriebe mit einer nachhaltigen Philosophie, «weil ein Grundinteresse am Thema gegeben sein muss», so Lehner. «Mein Vorhaben ist auch für die Betriebe mit Aufwand verbunden und bedingt darum schon eine gewisse Offenheit.» Beim Ecluse Biel ist davon jede Menge vorhanden. Laura und Sandro Bianchin verschreiben sich hier seit 2021 lokalen Produkten und dem Grundsatz, möglichst alles davon zu verwenden. So werden schon mal Glaces aus Nussschalen aufgetischt, die Haut von Schweinsköpfen zu Tacos umfunktioniert und Rinderlungen zu Amuse-Bouches gemacht.
«Unser Interesse war folglich sofort geweckt, als Nicole sich bei uns gemeldet hat», so Sandro Bianchin. «Solches Geschirr passt perfekt zu unserer Philosophie. Für uns war darum klar: Sind die Teller und Schalen funktionstüchtig, praktisch und finanzierbar, sind wir dabei.» Für die entsprechenden Tests experimentiert Lehner einerseits mit Ausgangsmaterialien, andererseits mit Glasurzusammensetzungen. Auch hier möchte sie so weit möglich mit Reststoffen arbeiten und nimmt dafür nach einem Besuch im Ecluse Nussschalen und Kartoffelschalen mit ins Atelier.