04.06.2025 Salz&Pfeffer 2/25

Präzision und Punch

Text: Florian Schwab – Fotos: z. V. g.
Die Ankunft eines Zwei-Sterne-Meisters in der Schweiz ist ein seltenes Ereignis. Umso neugieriger blickt man nach Ascona, wo seit wenigen Wochen Reto Brändli in der offenen Küche des Ecco wirkt. Ein Besuch, der Eindruck macht.
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Die Languste ist vorbereitet, das Auge des Chefs auf die Glut gerichtet. «Schalentiere schmecken am besten, wenn sie frisch aus dem Meer geholt werden und direkt auf die Holzkohle kommen», sagt Reto Brändli, während er mit einem schnellen Handgriff das Tier wendet. «Mit meinem Gericht will ich das Erlebnis einer frischen Languste irgendwo an einem Strand in Asien auf den Teller bringen.»

Salz & Pfeffer ist nach Ascona gereist, um einen ersten Eindruck vom neuen Chef am Herd zu gewinnen, dem 34 Jahre jungen Shooting Star unter den Schweizer Spitzenköchen: Ausgebildet im Waldhaus Sils, geformt bei Violier, Ranza und Caminada – Reto Brändli hat sich seine Meriten früh an den besten Adressen verdient. Vier Jahre lang war er daraufhin im Restaurant Ecco in Ascona und St. Moritz bei Zwei-Sterne-Koch Rolf Fliegauf tätig. Nach Stationen im Cà d’Oro in St. Moritz und im Berliner Lorenz Adlon Esszimmer, wo er je zwei Michelin-Sterne erkochte, kehrt er nun zurück in die Schweiz.

Seit Mitte April bewirtet Brändli im Sommer die Gäste des Hotel Giardino in Ascona und im Winter des Giardino Mountain in St. Moritz. Zum Zeitpunkt unseres Besuchs ist der neue Chefkoch seit gerade einmal drei Wochen im Amt. Umso gespannter darf man sein: Welche kulinarische Handschrift bietet er seinen Gästen? Wie läuft es mit der Eingewöhnung des Teams?

Die Ouvertüre zum neuesten Akt in der kulinarischen Geschichte des Ecco beobachten wir von einem Logenplatz aus: Vom Chef’s Table, dem Hochtisch, der die Küche vom übrigen Gastraum trennt, wandert der Blick hin und zurück zwischen dem Geschehen am Herd und dem toskanisch inspirierten Interieur.

Dass Brändli erst seit wenigen Wochen die Leitung des Restaurants Ecco im Giardino Ascona übernommen hat, scheint surreal. Die Szenen in der Küche wirken wie bei einer Brigade, die seit Jahren zusammenspielt. Jeder Griff sitzt, kein falscher Blick, kein falscher Ton. Man geht sich gegenseitig zur Hand, wenn es nötig ist. «Ich liebe Struktur in der Küche», sagt der Chef – und meint das wörtlich. Jeder Koch hat seine Station, doch beim Anrichten des Hauptganges stehen fünf Leute Schulter an Schulter. Die Übergänge flüssig, die Ansprache multilingual, die Abläufe: orchestriert.

Mit Origami-Qualitäten: Lachsforelle von Brüggli aus Sattel SZ
Mit Origami-Qualitäten: Lachsforelle von Brüggli aus Sattel SZ
Vom Meer auf die Holzkohle: Languste aus Südafrika
Vom Meer auf die Holzkohle: Languste aus Südafrika
Komposition aus Entenleber und Hummer nach Reto Brändli
Komposition aus Entenleber und Hummer nach Reto Brändli

Sein Menü – zurzeit besteht es aus bis zu sechs Gängen, die auch in veganer Variante erhältlich sind – ist betont klassisch im Aufbau, die einzelnen Gerichte aber umso freier im Ausdruck.

Als erstes Amuse-Bouche erreicht ein Gambero Blanco aus Portugal mit Kardamom und Chili den Gast – ein adäquater Vorgeschmack auf das, was folgen wird. Brändli bringt seltenste, teilweise auch weniger bekannte Produkte höchster Qualität an den Gaumen. Zwar sei der Gambero Rosso sein «liebstes Meerestier», sagt Brändli, aber im Rohzustand sei der weisse Kaltwasserverwandte aus Portugal eben doch aromatisch überlegen. Hierbei muss man ihm Recht geben. Der weisse Gambero präsentiert sich roh eleganter und weniger brachial fischbetont als die gerne verwendete rote Garnele aus Italien. Kardamom und Chili akzentuieren das Aroma gekonnt und steuern ein gut dosiertes Mass an würzigen und scharfen Noten bei.

Das zweite Amuse-Bouche ist nordisch inspiriert: ein Krustengebäck mit Tatar von der alten Kuh, Kaviar von der Meeräsche und gepickelte rote Zwiebel. Als dritter Appetizer folgt eine meisterhafte Neuerfindung des Kaviars. Er kommt als Krönung des Ei Royal daher, in dessen Innerem seine klassischen Begleiter – also Blinis-Croutons, Schnittlauch sowie Eigelb-Crème – untergebracht sind.

Nach dieser Trilogie ist die Messlatte hoch angesetzt für die sechs Gänge des Menüs: Den Auftakt macht eine kunstvoll, fast origami-würdig geformte Rose aus der Lachsforelle, Rettich und Jalapeño auf einer grünen Gazpacho. Dann: Brändlis Signature Dish, der sicherlich mitverantwortlich war für den zweiten Michelin-Stern: Seine Entenleber mit Hummer ist ein Meisterwerk an Temperaturführung und Aromenarchitektur. Brändli hat es geschafft, der klassischerweise mächtig und süss daherkommenden Leber eine frische und neuartige Komplexität einzuhauchen, die brillant ist.

Weiter geht es mit der südafrikanischen Languste, vom Meister persönlich auf der Holzkohle gegart. Angerichtet ist sie auf einem abwechslungsreichen Spiegel: links Kokos-Beurre-Blanc mit Curry, rechts eine Hummer-Bisque. Auf ihr blitzt ein Fächer von der Flugmango. Der Teller knallt – bleibt aber fein. Aromendesign mit Punch.

Nächster Protagonist: der Steinbutt, extra für das Giardino am Fangtag aus Portugal eingeflogen, wird dann fünf Tage lang dry-aged. Er kommt mit grünem Apfel, einer mutigen Dosis Meerrettich und Rindszunge daher. Das Dry Aging verleiht dem Steinbutt mehr Dichte und Textur, er entwickelt fast fleischige Qualitäten.

Es folgt – Stichwort «klassische Menüfolge» – ein Sorbet: Rhabarber und schwarzer Pfeffer wetteifern um die Erfrischung des Gaumens. So vorbereitet, freut man sich auf das Lamm vom Gutshof Poltingen in Niederbayern, bekannt geworden als Spitzenlieferant von Heinz Winkler. Hier wird noch auf dem Hof geschlachtet, was das Fleisch durch seine feine, freundliche Aromatik dankt. Brändli kauft halbe Lämmer und verwertet sie zur Gänze. Als Reminiszenz an diese Nose-to-Tail-Philosophie ist das Gericht von Ravioli garniert, gefüllt mit den Innereien. Auch hier wieder: Punch auf dem Teller.

Den Abschluss, kreiert von der Chef-Patissière, die früher bei Juan Amador in gleicher Funktion wirkte, bildet ein geeistes Joghurt-Mousse mit Pelargonien, Birne und Verjus. Ein zitrischer und keineswegs zu süsser Schlusspunkt, der das Dîner kreativ abrundet.

Als Fazit des Abends bleibt: Die Rückkehr Reto Brändlis in die Schweiz ist ein Glücksfall für die Fine-Dining-Szene. Er bringt interessanteste Zutaten, kreativste Ideen und einen einzigartig selbstbewussten Punch auf den Teller. Ab der Wintersaison in St. Moritz soll die Karte zwei miteinander kombinierbare Menüs umfassen. Beeindruckend ist, wie rasch das kleine Küchenteam unter dem neuen Chef zu alter Hochform aufläuft und mit welcher sichtbaren Freude es sich ins neue Abenteuer stürzt. «Im Giardino habe ich ein Weltklasseteam absoluter Vollprofis angetroffen», sagt Reto Brändli. An seinem vorherigen Wirkungsort habe er für ein Restaurant vergleichbarer Grösse fast doppelt so viele Leute gebraucht.

Hotel Giardino Ascona
Restaurant Ecco
Via del Segnale 10, 6612 Ascona
091 785 88 88
giardinohotels.ch