«Dass sich die Lotrekkies um jegliche Floskel foutieren, weckt auch kochtechnisch Hoffnung.»
Der Besuch im Tulus Lotrek macht Spass, bevor wir da sind. Die Küchencrew bestehe aus «gesamthaft unspontanen Kontrollfreaks», steht in der E-Mail, mit der man uns die Tischreservation bestätigt, verbunden mit der charmanten Bitte: «Würden Sies uns sagen, falls wir uns souverän um Allergien und Unverträglichkeiten herumkochen sollen?» Dass sich die Lotrekkies – so nennen sich die Mitglieder der unkonventionellen Berliner Truppe – um jegliche Floskel foutieren, weckt auch kochtechnisch Hoffnung: auf spannende Ansätze fernab der kulinarischen Konvention. Und natürlich, das geben wir unumwunden zu: Es ist relativ leicht, Sprachfetischisten, wie es Journalisten nun mal gerne sind, mit ein paar gut gebauten Sätzen und raffiniertem Wortwitz zu bezirzen.
Da reizt ja nur schon der Name des Speiselokals, das Koch Max(imilian) Strohe zusammen mit seiner Partnerin und Gastgeberin Ilona Scholl im November 2015 eröffnete: Tulus Lotrek ist die lautmalerische Hommage an Henri de Toulouse-Lautrec, den Bohemien, den man hauptsächlich als Maler und Grafiker der französischen Belle Époque kennt, der aber auch ein grosser Fresser gewesen sein soll und eben darum zum Namenspaten des gastronomischen Konzepts erkoren wurde. Weil er Dinnerparties für die Pariser Halbwelt schmiss und das obligatorische Einstecktuch im Sakko durch eine Muskatnussreibe ersetzte, wie wir den Erläuterungen auf der Speisekarte entnehmen, «um die vier bis zwölf Gläser Port, die er am Tag benötigte, um auf Betriebstemperatur zu bleiben, jederzeit aromatisieren zu können».
Mit der «falschen» Schreibweise bezwecken die Lotrekkies indes vor allem eins: dass sie keiner auf die klassisch französische Küche behaften kann. Das würde Küchenchef Strohe bloss einschränken. Der Mittdreissiger, der von den Berliner Meisterköchen zum Aufsteiger des Jahres 2016 gekürt wurde, macht mit handwerklichem Können von sich reden, vor allem aber mit seinem kulinarischen Freigeist, seiner lustvollen Kreativität und seinem Mut, auf kräftige Aromen und intensive Geschmäcker zu setzen. Hier liebt man buttrige Saucen und lässt den Wein fliessen: Gemüsepuristen und Moralapostel können draussen bleiben – das schlechte Gewissen auch. Es überrascht also kaum, dass das Tulus Lotrek unter Kennern aktuell als eine der spannenderen Adressen in der deutschen Hauptstadt gehandelt wird. Die Macher charakterisieren ihr Publikum wie folgt: militante Bacchanten, Sich-das-Brett-Geber mit Fettleber, Gürtelweiterschnaller, Korkenknaller, Alleswoller und Nichtsbereuer. Wir fühlen uns angesprochen.
Und wir fühlen uns wohl. Die unkomplizierte Art, die sich vor unserem Besuch abzeichnete, finden wir auf Anhieb wieder. Gastgeberin Scholl (in einem zur Wandtapete mit Dschungelmotiv passenden Kleid) sorgt für einen charmanten Empfang und tänzelt leichtfüssig auf dem schmalen Grat, der zwischen sprachlicher Altmode und erfrischendem Vorwitz liegt. Der Kellner, der uns hauptsächlich durch den Abend geleitet (und der Chefin beim Outfit in Farbenfreude und Mustermut in nichts nachsteht), entpuppt sich als kompetenter, unaufdringlicher Berater mit einem feinen Gespür für den einzelnen Gast. Seine Begeisterung für jedes Gericht, das er aufträgt, und seine Lust, Teil dieses eigenwilligen Konzepts zu sein, sind offenkundig – und überhaupt ein augenfälliges Merkmal im Tulus Lotrek. Hier durchquert der Service die beiden Gasträume beschwingten Schrittes und scheint nicht müde zu werden, zu erklären, was da auf den Tellern liegt und warum und wieso.