06.08.2019 Salz & Pfeffer 5/2019

Süsswasserperlen

Text: Virginia Nolan – Fotos: Njazi Nivokazi
Vieles, was wir aus dem Meer kennen, gibt es auch in Schweizer Seen: Algen und Muscheln zum Beispiel. Erst wenige Köche experimentieren damit.
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«Es gibt viel Luft nach oben, wenn es darum geht, das kulinarische Potenzial unserer Seen auszuschöpfen.» 

Es war ein Zufallsfund: Auf einem Stück Holz, das vom Fischerboot ins Wasser baumelte, entdeckte Manuel Vock eine Muschel. Sie war klein, gelbbraun und erinnerte der Form nach an eine Venusmuschel. Beim Einholen des Bootes war das Holzstück durch den sandigen Boden der Uferzone gezogen worden. Irgendwo dort, schloss Vock daraus, musste die Muschel hängengeblieben sein. Er holte Schnorchel und Badehose, tauchte ab, grub im Sandboden – und fand weitere Exemplare, die er im Zürichsee nie zuvor gesehen hatte.

Das Schalentier war dem Richtigen ins Netz gegangen: Vock ist Mitgründer des Zürcher Start-ups Umami. Das Kerngeschäft der Jungunternehmer sind Microgreens, Gemüse- und Kräuterkeimlinge, mit denen sie Küchenchefs beliefern. Das begehrte Grünzeug gedeiht in einem geschlossenen Wasserkreislauf, bei dem Fische und Pflanzen in Symbiose leben. Vock, im Start-up für Forschung und Entwicklung zuständig, hat die Anlage selbst konzipiert. Seine Recherche zur Zürichsee-Muschel ergab indes, dass es sich um die asiatische Körbchenmuschel handelt, eine nichtheimische und fortpflanzungsfreudige Art, von der jedes erwachsene Tier rund 8000 Larven pro Jahr absetzt. In Schweizer Gewässern war die Muschel in den Siebzigerjahren erstmals aufgetaucht, vermutlich eingeschleppt über den Rhein. Wenige Zentimeter tief eingegraben, lebt sie an sandigen Stellen in Ufernähe. Es gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob sie heimischen Arten schadet. Aber gute Gründe, ihr kulinarisches Potenzial auszuloten, findet Vock: «Die reproduktionsfreudige Art bietet eine echte Alternative zu Meeresmuscheln. Sie wächst direkt vor unseren Füssen, und das erst noch das ganze Jahr.»

Der erste Koch, dem Vock eine Kiste Muscheln brachte, war Frank Widmer, Executive Chef im Zürcher Fünf-Sterne-Hotel Park Hyatt. Widmer greift wo immer möglich auf lokale Produzenten zurück und steuert viel Selbstgesammeltes von Wald und Wiese bei. Bei ihm haben die Zürichsee-Muscheln ihre kulinarische Feuerprobe bestanden, rund ein bis vier Kilogramm verarbeitet Widmer pro Woche. Er reicht sie als Amuse-Bouche auf Toast oder in der Zürichsee-Bouillabaisse aus lokalen Fischen und Krebsen. «Hauptgang-Potenzial haben sie nicht», sagt er, «dafür sind sie viel zu klein.»

Für die neue Karte hat Tarik Lange, Widmers Küchenchef im Hotelrestaurant Parkhuus, zwei weitere Gerichte mit Zürcher Muscheln entwickelt. Einmal werden sie von Bernbieter Quinoa, Artischockencrème, Federkohl und gerösteten Linsen begleitet, anschliessend giesst Lange etwas Gazpacho an, «grün wie der Seeboden». Für das zweite Gericht dünstet er die heimischen Muscheln mit Zwiebeln sowie Knoblauch an und arrangiert sie auf schwarzer Gerste. Hinzu kommen eine gegrillte Babykarotte, Brokkoli, Saiblingsrogen und Sauce Rouille.

Manuel Vock vom Start-up Umami holt pro Woche rund 15 Kilogramm Muscheln aus dem Zürichsee.
Manuel Vock vom Start-up Umami holt pro Woche rund 15 Kilogramm Muscheln aus dem Zürichsee.
Macht sich gut auf dem Teller: Zürichsee-Muscheln, Bernbieter Quinoa, Artischockencrème, Federkohl, geröstete Linsen und Gazpacho
Macht sich gut auf dem Teller: Zürichsee-Muscheln, Bernbieter Quinoa, Artischockencrème, Federkohl, geröstete Linsen und Gazpacho
Farbenfroh: Körbchenmuscheln mit schwarzer Gerste, gegrillter Babykarotte, zweierlei Brokkoli, Saiblingsrogen und Sauce Rouille
Farbenfroh: Körbchenmuscheln mit schwarzer Gerste, gegrillter Babykarotte, zweierlei Brokkoli, Saiblingsrogen und Sauce Rouille
Frank Widmer, Executive Chef im Park Hyatt Zürich, verarbeitet pro Woche ein bis vier Kilogramm heimische Muscheln.
Frank Widmer, Executive Chef im Park Hyatt Zürich, verarbeitet pro Woche ein bis vier Kilogramm heimische Muscheln.

Abgesehen von der Optik habe das Schalentier aus dem Zürichsee mit Meeresmuscheln nichts gemeinsam, sagt Widmer: «Geschmacklich gibt die Muschel nicht viel her. Da braucht es viel Beiwerk, um Spannung aufzubauen. Für uns ist sie interessant, weil sie aus dem Zürichsee kommt. Das ist eine ungewöhnliche Geschichte, die zu unserer Philosophie passt und den Gast interessiert.» Mit der Zürichsee-Muschel, die Umami neuerdings über Bianchi vertreibt, beschäftigt sich laut Vock noch keine Handvoll Köche. Zu ihnen gehört Markus Burkhard vom Restaurant Jakob in Rapperswil. «Es gibt viel Luft nach oben, wenn es darum geht, das kulinarische Potenzial unserer Seen auszuschöpfen», glaubt er. «Die asiatische Körbchenmuschel eröffnet uns da ein neues Spektrum. Ob wir längerfristig am Produkt festhalten, wird sich zeigen.»

Im Gegensatz zu Widmer vom Park Hyatt verzichtet Burkhard auf Beiwerk und versucht, der Essenz der Muschel auf die Spur zu kommen. Etwa mit einer Mayonnaise auf der Basis von Muschelprotein statt Eiern. «Durch die Nase können wir den See riechen», sagt er, «diesen feinen, manchmal kaum wahrnehmbaren Duft, der sich je nach Wetter verändert, tragen auch die Muscheln in sich. Mir gefällt die Idee, dieses Aroma dem Gaumen zugänglich zu machen.»

Gegenstand weiterer Experimente, an denen Burkhard tüftelt, ist Seegras aus dem Zürichsee. Vock, der die Algen erntet, weiss nicht genau, um welche Art es sich handelt: «Ich kenne die giftigen Seegräser und habe mich beim Rest so lange durchprobiert, bis eines schmeckte.» Die Küchensaison für besagte Alge sei fast vorüber, sie beginne im Frühsommer, wenn genügend Licht auf den Seeboden treffe, und Ende / Mitte August: «Dann bilden die Blätter eine Art Blüte und werden zäh.» In einem ersten Schritt kochte Burkhard aus dem Seegras einen Fond, dessen Essenz er zu einer Ölinfusion verarbeitete. Damit aromatisiert er beispielsweise warmen Rinderfond, den er zu Rindstatar angiesst. Die Zürichsee-Alge sei im Hinblick auf ihr Aroma ebenso wenig mit einem maritimen Pendant vergleichbar wie die lokale Muschel, sagt Burkhard: «Sie schmeckt, wie soll ich sagen, nach Seeboden. Wie bei der Muschel interessiert mich auch hier die Möglichkeit, den See und seine Geschmäcker auf subtile Weise ins Spiel zu bringen.»

Nah am Ziel glaubt sich Küchenchef Widmer beim Versuch, aus der gleichen Alge eine heimische Variante zum Nori- Blatt herzustellen. Im Bestreben, dereinst ein Sushi anbieten zu können, das mit Ausnahme der Reiskörner ausschliesslich aus Zürichsee-Produkten besteht, begann er im letzten Jahr mit dem Wässern, Trocknen, Pressen und Rösten der Algenblätter. «Es hapert noch beim Pressen», sagt Widmer, «als Sushi-Blatt ist die Platte noch zu dick, obwohl ich sie mit allem Möglichen beschwert habe.» Abhilfe erhofft er sich von einem elaborierteren Pressverfahren. Offen ist auch, wie er sein Nori-Blatt aromatisch verfeinern will. «Salz möchte ich eigentlich keines zugeben, das scheint mir nicht ins Zürichsee- Konzept zu passen», sagt der Küchenchef. «Vielleicht entsteht beim Rösten im Holzofen ein interessantes Aroma, möglicherweise verbrennt das Ding auch. Wir werden sehen – ich bleibe dran.»

Zum Ausprobieren
Das Zürcher Start-up Umami beliefert Köche mit asiatischen Körbchenmuscheln aus dem Zürichsee, die es neuerdings auch über Bianchi vertreibt. Seegras kann auf Anfrage bestellt werden – übrigens auch bei vielen lokalen Fischern.
www.eat-umami.ch