Eigentlich ist es perfektes Angelwetter an diesem Morgen. Der Himmel ist leicht bewölkt, ab und zu bricht die Sonne durch. Lenny Hartmann, der neue Küchenchef des Kulturhofs Hinter Musegg in der Stadt Luzern, steht in voller Montur an der Reuss: Filzhut, Outdoorhose, Wanderschuhe. Doch Barbe und Alet, die Zielfische des Tages, lassen sich heute nicht so leicht ködern.
An Fischen mangelt es aber nicht, im Gegenteil. Am Grund stehen 20 bis 30 Alets. Doch selbst als der passionierte Angler ihnen den Köder direkt vor das Maul hält, rührt sich nichts. «Das wird heute schwierig. Die scheinen keinen Hunger zu haben», stellt er fest. Dabei hat er bei der Wahl des Köders keine Kosten und Mühen gescheut: Ein Laugentessinerli hat Hartmann extra für die Feinschmecker vom Bäcker geholt. «Die mögen es salzig», erklärt der 29-Jährige. Manchmal spiesst er zusätzlich sogar ein Stück Käse auf den Haken.
Dass Hartmann mit Alet und Barbe auf zwei Weissfische angelt, ist ungewöhnlich. Während Forelle, Egli, Hecht, Zander und Felchen sowohl bei Anglern als auch in der Küche hoch im Kurs stehen, meiden die meisten Alet und Barbe. «Sie haben den Ruf, zu viele Gräten zu haben und schlecht zu schmecken. Beides kann ich nicht nachvollziehen», sagt Hartmann. Es komme auf die richtige Zubereitung an. Ausserdem passen Barbe und Alet perfekt in seine Küchenphilosophie: «Im Gegensatz zur Forelle gibt es diese Fische im Überfluss. Es ist viel nachhaltiger, diese Arten zu verwerten.»
Fische sind nicht die einzigen Lebewesen, die der Luzerner regelmässig aus der Reuss holt. Für Schlagzeilen sorgte er in der Lokalpresse, als bekannt wurde, dass er regelmässig mit Taucherbrille und Schnorchel nach der Grobgerippten Körbchenmuschel taucht, um sie im Restaurant Drei Könige, seinem ehemaligen Arbeitgeber, auf die Speisekarte zu setzen. Es handelt sich um eine invasive Art, die aus Asien eingeschleppt wurde: «Man muss sie gut wässern, dann schmeckt sie sehr gut», sagt der Naturliebhaber.
Bei sich sein am Wasser
Nach einer Stunde am Wasser wird es plötzlich hektisch. Ein Alet hat angebissen. Der Fisch zappelt wild, die Wasseroberfläche schäumt. Doch keine zwei Sekunden später ist er schon wieder verschwunden. Der kämpferische Fisch konnte sich vom Haken befreien, der an der Reuss gemäss Vorschrift ohne Widerhaken sein muss. Lenny Hartmann nimmt es gelassen: «Das gehört zum Fischen dazu.» Ohnehin sei er nicht der Typ, der verbissen um jeden Preis Fische fangen will. «Für mich ist Angeln Entspannung pur. Hier am Wasser kann ich richtig abschalten. In diesen Momenten bin ich ganz bei mir.»
Angeln ist Hartmanns Leidenschaft, seit er denken kann. Sein Grossvater hat ihn immer begleitet und ihm alles erklärt. Seitdem fischt er nicht nur auf Alet oder Barbe, sondern auch auf viele andere Fischarten. «Den Hecht mag ich besonders, weil er ein starker Kämpfer ist und sein Fleisch so herrlich fest und aromatisch schmeckt.» Bei allen Fischen ist ihm der respektvolle Umgang wichtig. Dazu gehöre auch, den Fisch so gut wie möglich zu verwerten.
Nach mehr als zwei Stunden am Wasser hat Hartmann noch keinen Fisch an Land gezogen. Es fällt ihm sichtlich schwer, sich geschlagen zu geben. Doch ohne Fisch muss er an diesem Tag nicht nach Hause fahren. Sicherheitshalber ist er schon am frühen Morgen ohne Reporter und Fotografen im Schlepptau ans Wasser gegangen und hat einen Alet landen können.
Den packt er jetzt aus und schuppt ihn gleich an der Reuss. «Sonst hast du die ganze Küche voller Schuppen, die du noch Tage später in jeder Ecke findest», sagt er. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Kulturhof Hinter Musegg, nur fünf Gehminuten vom Wasser entfernt und wunderschön hinter der Luzerner Museggmauer gelegen. Hier gibt es nicht nur eine Gastronomie; auch Hochlandrinder, Zwergziegen, Spitzhaubenhühner, Alpakas und Minischweine leben auf dem Hof, der auf eine 400-jährige Geschichte zurückblicken kann.