04.11.2025 SP 4/25

«Wir denken in Generationen»

Text: Tobias Hüberli – Fotos: Joseph Khakshouri und Florian Kalotay
Das über 140 Jahre alte Unternehmen Victorinox stellt nicht nur das ikonische Schweizer Taschenmesser her, es steht auch sinnbildlich für sämtliche der Schweiz zugesprochenen Tugenden. Im Interview sagt CEO Carl Elsener, wie es ist, eine solche Firma zu führen.
Carl Elsener (1958) führt das Familienunternehmen Victorinox seit 2007 in vierter Generation.
VX CV CEO Carl Elsener Von Florian Kalotay (4)

Sie führen Victorinox in der 4. Generation. Welche Verantwortung geht damit einher?
Carl Elsener: Victorinox verbinden die meisten mit unseren Sackmessern. Wir stellen aber auch Koch- und Berufsmesser, Uhren und Reisgepäck her. Es ist natürlich eine Ehre, dass unser rotes Taschenmesser auf der ganzen Welt bekannt ist. Es ist eine Schweizer Ikone, ein Sinnbild für Qualität und Zuverlässigkeit. Damit ist aber natürlich auch eine Verantwortung verbunden. Wir müssen jederzeit sicherstellen, dass die Werte, die dieses Messer darstellt, auch für unsere anderen Produkte gelten.

Was war der wichtigste Rat, den Sie von Ihrem Vater bekommen haben, als Sie 2007 die Leitung der Firma übernommen haben?
Ich durfte 34 Jahre mit meinem Vater zusammenarbeiten. Dabei hat er mir fünf Dinge vorgelebt. Zum einen sind das unsere vier Erfolgssäulen: Mitarbeitende, Kunden, Produkte und Marke. Er sagte immer: Wenn man diese vier Sachen richtig macht, kann nicht viel schiefgehen. Der fünfte Erfolgsfaktor ist unsere Unternehmenskultur. Sie basiert auf den sieben Grundsätzen Offenheit, gegenseitiges Vertrauen, Respekt, Dankbarkeit, Bescheidenheit, Mut und Verantwortung. Diese Werte sind für unsere Familie wichtig. Wir bemühen uns, sie jeden Tag vorzuleben.

Wenn wir über Zahlen reden: Victorinox ist der wichtigste private Arbeitgeber im Kanton Schwyz.
Stimmt. Und darauf sind wir auch stolz. Seit 1884 haben wir hier über 500 Millionen Taschenmesser und 500 Millionen Küchen- und Berufsmesser hergestellt. Eine Milliarde Messer, die für Victorinox, aber auch für die Schweiz überall in der Welt Werbung machen.

Warum ist Victorinox als Stiftung organisiert?
Das habe ich mit meinem Vater in die Wege geleitet. Victorinox existiert seit über 140 Jahren. Die Firma hat den Ersten Weltkrieg erlebt, die Depression in den Dreissigerjahren, den Zweiten Weltkrieg, die Ölkrise in den Siebzigerjahren, die Terroranschläge vom 11. September, als die Umsätze über Nacht um 30 Prozent einbrachen, sowie zuletzt die Covid-Pandemie. Als Familienunternehmen planen wir nicht quartalsweise, sondern denken in Generationen. Und wir wissen, wie wichtig es ist, in guten Zeiten Reserven zu bilden. Das hat uns immer wieder geholfen, auch in Krisenzeiten in die Zukunft investieren zu können. Mit der Unternehmensstiftung stellen wir sicher, dass die Reserven nicht durch Dividenden oder Erbteilungen geschwächt werden. Die Aktien der Firma liegen zu 90 Prozent in der Stiftung, zehn Prozent sind in einer karitativen Stiftung untergebracht.

Das heisst, die Familie hat keinen Zugriff?
Im Interesse von Victorinox haben alle Familienmitglieder bewusst und für immer auf den Wert der Firma verzichtet. Allerdings dürfen alle, die das wünschen, im Unternehmen arbeiten.

Wie sehen Sie das aktuelle Marktumfeld?
In den letzten paar Jahren haben wir viel Extremes erlebt, die Covid-Pandemie, die schrecklichen Kriege. Das Marktumfeld ist für fast alle Unternehmen, insbesondere auch in der Schweiz, sehr herausfordernd. Die geopolitischen Spannungen, Handelskonflikte und eine sehr hohe Volatilität in den Währungen setzen uns unter Druck. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die Kunden in den für uns wichtigen Märkten wieder vermehrt langlebige Produkte von guter Qualität nachfragen. Unsere Marke steht für diese Werte.

Wie hoch ist der Druck bei Victorinox, um Prozesse zu automatisieren?
Der ist schon seit vielen Jahren konstant hoch. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir erzielen im Euroraum einen Umsatz von ungefähr 200 Millionen Euro. Vor 20 Jahren lösten wir damit 300 Millionen Schweizer Franken. Heute bekommen wir dafür noch 180 Millionen Franken. Wir sind enorm gefordert, unsere Prozesse stetig zu rationalisieren und Kosten zu sparen. Natürlich versuchen wir auch, die Preise anzupassen. Beim Taschenmesser haben wir nicht viel Konkurrenz, da ist es einfacher. Aber gerade bei den Koch- und Berufsmessern kämpfen wir mit grossen Anbietern weltweit um Marktanteile, da ist es ungemein schwieriger.

Wie sehen Sie die Situation in den USA?
Aktuell sind die 39-Prozent-Zölle der Trump-Regierung in Kraft. Wir haben das Glück, dass unsere Messer klein und nicht verderblich sind. So konnten wir unsere Lager vorher noch massiv aufstocken. Bis Anfang 2026 wird das reichen. Wir überlegen uns auch, gerade bei den Berufsmessern, ob das Sinn ergibt, einzelne Arbeitsschritte am Ende der Wertschöpfungskette, etwa die Endreinigung oder das Verpacken der Messer, in den USA durchzuführen, um Zoll einzusparen.

Wie hat der Bundesrat Ihrer Ansicht nach reagiert?
Ich glaube, er hat versucht, das Beste zu erreichen. Ich wünsche mir, dass die Schweiz selbstbewusst und ausdauernd den Dialog mit den USA fortführt und alles daransetzt, faire Wettbewerbsbedingungen für Schweizer Unternehmen wiederherzustellen. Für uns ist es wichtig, dass der Schweizer Regierung eine Korrektur gelingt.

Die USA sind der wichtigste Markt für Victorinox. Was passiert, wenn die 39 Prozent nächstes Jahr immer noch Bestand haben?
Das würde bedeuten, dass wir insgesamt 44 Prozent Zoll auf unsere Messer bezahlen müssten. Die 39 Prozent kamen ja zusätzlich zu den bereits bestehenden Zöllen dazu. Wenn die Zölle bleiben, rechnen wir mit Mehrkosten von 13 Millionen Franken pro Jahr, die wir irgendwie abfedern müssen. Etwa durch Preiserhöhungen. Es kann aber auch sein, dass wir unsere Produkte für eine gewisse Zeit mit Verlust verkaufen, um keine Marktanteile zu verlieren. Denn verlorene Marktanteile zurückzugewinnen, wenn es einmal besser läuft, ist auch ein schwieriges und teures Unterfangen.

Für Köche haben Messer eine zentrale Bedeutung. Wie viel Energie steckt Victorinox in die Entwicklung der Berufsmesser?
Die Gastronomie und Hotellerie sind für uns ein zentrales Kundensegment. Viele Berufsleute, darunter auch Sterneköche, setzen auf unsere Messer, teilweise seit der Lehre. Für uns ist wichtig, dass unsere Messer die Erwartungen der Profis in Bezug auf Funktionalität, Ergonomie, Schnittschärfe und Langlebigkeit erfüllen. Darum schauen wir auch, dass wir möglichst nahe bei den Konsumenten sind.

Wie stellen Sie diese Nähe her?
Gerade für Neuentwicklungen stehen wir im regen Austausch mit Profiköchen. Wir geben ihnen Prototypen, nehmen die Feedbacks auf und feilen am Produkt, bis es passt.

Hand aufs Herz: Was kann man bei Berufsmessern nach 100 Jahren überhaupt noch besser machen?
In den letzten Jahren fand die Entwicklung hauptsächlich beim Design und bei den Griffen, sprich bei den Materialien für die Griffe, statt. Die Griffform muss ergonomisch sein. Beim Stahl gibt es auch Verbesserungen, etwa bei der Schnitthaltigkeit oder bei der Rostbeständigkeit. Das haben wir auch gemacht. Aber zuletzt standen das Material der Griffe sowie die Messerform stark im Fokus.

Was heisst das konkret?
Als die Holzgriffe in der Gastronomie nach und nach verboten wurden, haben wir über mehrere Jahre einen synthetischen Griff aus Fibrox entwickelt. Damit konnten wir weltweit Marktanteile gewinnen. Fibrox besitzt eine gute Rutschfestigkeit, ähnlich wie Holz. Etwas später kam dann der Dualgrip-Griff mit einem festen Kern und einer weicheren Aussenschicht dazu. Dieses Material eignet sich insbesondere, wenn man mit Handschuhen arbeiten muss.

Das Sackmesser von Victorinox ist eine Ikone. Sehen das die jungen Konsumenten auch so?
Wir unternehmen einiges, um die junge Generation anzusprechen. Die modernen Farben und die Möglichkeit, ein Messer zu personalisieren, werden auf jeden Fall sehr geschätzt. Insgesamt ist die Nachfrage weltweit immer noch auf einem hohen Niveau. In den neuen Märkten in Asien und Lateinamerika rechnen wir mit einem leichten Wachstum. In der Schweiz haben wir das Potenzial ausgereizt. Wir spüren aber, wenn mehr Touristen die Schweiz besuchen, dann steigen auch unsere Umsätze.

Sie sind nun 67 Jahre alt. Wie schaut es aus mit der Nachfolge?
Da muss ich ein bisschen ausholen.

Bitte.
In meiner Familie sind wir elf Kinder. Ich habe sieben Schwestern und drei Brüder. Von diesen elf arbeiten acht in der Firma. Dazu kommen drei Lebenspartner. Von der fünften Generation sind auch bereits 14 Mitglieder in der Firma tätig. Ich und meine Geschwister haben grossen Wert darauf gelegt, unseren Kindern eine möglichst gute Grundausbildung mitzugeben. Und wir haben geschaut, dass wir sie möglichst früh in die Unternehmenskultur und die Entwicklung von Victorinox einbeziehen. Wenn ich die vierte Generation anschaue, gibt es einige Kandidaten, die offen sind, einmal Verantwortung zu übernehmen. Ich gehe davon aus, dass wir innerhalb der Familie die geeignete Nachfolge finden werden. Es ist mir klar, dass ich mir mit 67 Jahren über diese Frage Gedanken machen muss, fühle mich aber noch immer top motiviert. Solange es die Gesundheit zulässt, helfe ich gerne weiterhin aktiv mit.

Zum Schluss: Das Schweizer Sackmesser gehört zur Grundausstattung von Astronauten. Haben Sie einen Marketingvertrag mit der NASA?
Nein, aber dafür gibt der Astronaut Chris Hadfield in seinem Buch An Astronaut’s Guide to Life seinen Leserinnen und Lesern den Rat: «Never leave the planet without one.»

Carl Elsener (1958) führt das Familienunternehmen Victorinox seit 2007 in vierter Generation. Victorinox wurde 1884 in Ibach (Schwyz) gegründet und beschäftigt heute weltweit rund 2250 Mitarbeitende. Das Unternehmen ist für sein Schweizer Taschenmesser international bekannt und produziert zudem Küchen- und Berufsmesser, Uhren und Reisegepäck. Wichtigster Absatzmarkt sind die USA. Dort generiert das Unternehmen 13 Prozent des Gesamtumsatzes und 18 Prozent im Bereich Küchen- und Berufsmesser. In Europa dominiert Victorinox im Bereich Taschenmesser, in Asien wächst vor allem das Reisegepäcksegment, in Indien das Uhrengeschäft. Carl Elsener lebt in Schwyz, ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
victorinox.com