Schauen wir zu oder weg?
Die Covid-19-Pandemie wird in der Gastronomie Spuren hinterlassen. Zumindest kurzfristig wird das fröhliche Beisammensein durch Distanz ersetzt. Gastfreundschaft mit Abstand, so besagt es die Regel. Gemütlichkeit unter Menschen wird zur Leere, die auch luxuriös sein könnte. Jetzt ist gutes Design gefragt. Räume, in denen sich Gäste naturgemäss nahe kommen, sind ab sofort verpönt. Gesundheit wird durch bislang asoziales Verhalten versprochen. Ist das jetzt alles?
Zeigt diese Krankheit nicht die Grenzen der Globalisierung auf? Offenbart die Krise nicht in alltäglicher Zeitlupe die grenzenlose Dummheit des herrschenden Systems? Die westliche Zivilisation ist abhängig von Medikamenten und medizinischer Ausrüstung aus China, von Lebensmitteln aus allen Teilen der Welt und von Arbeitskräften aus Billiglohnländern. Covid-19 weist schmerzhaft auf die Verwundbarkeit unserer Kultur hin. Und wir? Schauen wir jetzt zu oder weg? Machen wir weiter, oder denken wir um? Wollen wir tatsächlich auf das Ende des Lockdowns warten und dann so tun, als wäre nichts gewesen, als wäre das globale Nahrungsmittelangebot einfach ein end- und grenzenloses paradiesisches Füllhorn, das wir bedenkenlos ausplündern können?
Abgesehen davon weist das Coronavirus die Menschheit auch in aller Deutlichkeit darauf hin, dass die Natur nicht beherrschbar ist. Mensch (Kultur) und Natur können nicht gegeneinander existieren. Die Natur schlägt nicht zurück. Sie reagiert. Das tut sie mit Viren oder mit der Veränderung des Klimas. Und: Sie kann das wieder tun. Solange die westlich zivilisierte Kultur bedenkenlos auf pestizidverseuchte Monokulturen setzt, kann eine Pflanzenkrankheit die globalen Ernten jederzeit vernichten. Solange wir gedankenlos Tiere mit Antibiotika und anderen Medikamenten vollstopfen, können Resistenzen oder neue Seuchen die derzeit gebeutelte Menschheit erneut aufsuchen. Und wir? Schauen wir jetzt zu oder weg? Tun wir weiterhin so, als könnten wir die Natur beherrschen?
Die Gastronomie muss sich Herausforderungen stellen. Sie muss zuallererst überleben. Darauf freuen wir uns. Darauf freue ich mich sogar sehr. Aber die Gastronomie muss für uns alle und mit uns auch daran arbeiten, das Überleben grundsätzlich zu sichern. Das Essen hält uns am Leben – es kann aber auch töten. Es liegt auch an den Gastronomen, dafür zu sorgen, dass es nicht im grossen Stil töten wird. Nur Diversität erhält das Leben.