Ausgetrunken

Prise mit Potenzial

Nicole Klauss

Wer sich mit Getränken beschäftigt, tut gut daran, von Zeit zu Zeit einen Blick in die Geschichtsbücher zu werfen. Das schadet nie und verschafft einem gleich noch Material fürs Gespräch mit dem Gast. Stichwort Storytelling. Das gilt auch für eine bisher unterschätzte Zutat in Drinks: Salz, also Natriumchlorid.

Wer etwas tiefer in dessen Geschichte einsteigt, stösst schnell auf Berichte über zahllose Unruhen, die seinetwegen aufflammten. Immerhin gehörte Salz jahrtausendelang zu den wertvollsten Gewürzen der Erde. Die Gewinnung durch Verdunstung von Meerwasser war (und ist) mühsam, und schon in Babylonien wurde auf das weisse Gold aus diesem Grund eine Steuer erhoben. Die Französische Revolution indes wurde auch deshalb ausgelöst, weil die Bürger zu einer wöchentlichen Abnahme von Salz zu einem hohen Monopolpreis verpflichtet worden waren. Das sorgte für Unmut bei den Citoyens, die in der Folge auf die Barrikaden gingen. Die Gabelle, die Salzsteuer, erhob übrigens Philipp IV. als Erster – anno 1286.

Mit dem Beginn des bergmännischen Abbaus von Steinsalzen anstelle des mühsam gewonnenen Meersalzes wurde der Rohstoff immer billiger. Zudem machten die Entwicklung von Kühlmöglichkeiten sowie die Erfindung der Pasteurisierung Mitte des 19. Jahrhunderts Salz als Mittel zur Haltbarmachung von Fleisch, Fisch und anderen Lebensmitteln zur Randnotiz. In den aktuellen Rezeptbüchern der Bartender hingegen ist Salz definitiv mehr als das. In Drinks und Limonaden hat es eine ähnliche Bedeutung wie eine Prise davon in Keksen oder Kuchenböden: Ohne geht es auch, ist aber langweilig.

Fast alle Cocktails gewinnen mit einem oder zwei Tropfen einer einprozentigen Salzlösung enorm an Tiefe. Das Salzige als eine Richtung unserer fünf Geschmackssinne verstärkt das Aroma, ist ein guter Partner für bittere Noten und hebt süsse Drinks in eine neue Dimension. Es ist also ein echter Gamechanger und kann in alkoholfreien Drinks ausserdem die alkoholischen Cocktail Bitters ersetzen. In der Pariser Bar Little Red Door beispielsweise geben die Profis ganz prinzipiell in jeden Drink einen Dash Salzlösung: Die Aromen verbinden sich besser, das Getränk gewinnt an Tiefe.

So neu ist das Ganze allerdings auch nicht – und da sind wir schon wieder bei den Geschichtsbüchern. Savory Drinks wie die Bloody Mary, der türkische Ayran, die Chanh muoi (also die thailändische Limonade mit Salzzitronen) oder der Aam Panna aus Indien, ein Getränk aus unreifer Mango, schwarzem Steinsalz und Minze, sind längst Klassiker und werden zum Teil seit Jahrhunderten zubereitet.

Übrigens: Innovative Mixologen nutzen in ihren Cocktails unterschiedliche Salze. Rauchsalz etwa bringt Röstaromen ins Glas, während Kala Namak aus Indien mit spannenden Gewürznoten im Gepäck kommt ... Kurz: Es gibt für jeden Drink das passende Salz.

Nicole Klauss

Kulinarische Autorin und Gastronomieberaterin, neuetrinkkultur.de
Ausgabe: Salz & Pfeffer 3/2021 / Datum: 15.06.2021