Brutal global: Weizen ist Waffe
Es scheint lange her, dass globale Produkte wie Hummer, Stopfleber, Kaviar und Steinbutt die Spitzengastronomie dominierten. Egal wo, egal woher, Hauptsache im Menü vertreten. Zeitgemässe Gastronomen und Gastronominnen stehen für Regionalität und Nachhaltigkeit und schneiden ihr Angebot auf kleine CO2-Fussabdrücke zu. Auf Weinkarten werden neben dem Jahrgang die Distanzen zwischen Restaurant und Weingut in Kilometern angegeben, das Rapsöl stammt von Feldern um die Ecke, ebenso kommen Getreide, Gemüse, Käse und Fleisch aus der Gegend. «Brutal lokal», schreibt sich ein weltbestes Restaurant auf die Hipsterfahne und leitet beschaulich in eine Weltretterwelt über. Das klappt aber nur, wenn die Randbedingungen wohlständig (und bezahlbar) sind.
Der Angriff der neosowjetischen Imperialisten auf die Ukraine zeigt auf brutale Weise Verrohung, Verbrechen und Vernichtung, aber auch die engen Grenzen in einer vernetzten Welt, die dem Klimawandel nicht mehr Herr wird. Bistro, Beiz und Kantine gehen Getreide und Sonnenblumenöl aus, und zweibeinige Hamster bunkern Lebensmittel, die sie nie verbrauchen werden. Das wahre Ausmass offenbart sich erst abseits vom Reichtum: Aus Knappheit wird perfider Nahrungsmangel. Die Ukraine belieferte Afrika mit Lebensmitteln für knapp drei Milliarden Franken, 80 Prozent davon Weizen und Mais, Grundnahrungsmittel für weite Teile des Kontinents. Vorbei. Weizen ist Waffe. Regionale Pseudogetreide wie Sorghum oder Teff nützen nicht im erwünschten Mass, selbst wenn sie gediehen. Kaum ein pflanzliches Lebensmittel nährt in dem Umfang wie hochwertiger Weizen und dessen Verwandtschaft. Brutal lokal ist keine Lösung für die Welternährung – jedenfalls in Regionen, auf die die Sonne brennt. Der Krieg zeigt vor allem den Ärmsten, was Ukraine und Russland waren: globale Kornkammern des Planeten.