Anschnitt

Kabis ante gustus – ein Speicheltest

Thomas Vilgis

Der Winter steht in den Startlöchern, und damit tun das auch verstärkt wieder Kabis, Wirz und Brokkoli. An deren Güte scheiden sich die Geister. Sie seien bitter, stänken nach Schwefel und man könne sie nicht essen, sagen die einen. Andere haben genau damit überhaupt kein Problem. Seit kurzem ist bekannt, dass dies nicht nur eine Frage des Mögens und Hassens ist, sondern des Speichels. Die Spucke im Mund macht etwas mit dem Brokkoli. Was genau? Das ist so individuell wie unsere DNS.

Speichel enthält neben viel Wasser und ein wenig Protein noch eine ganze Reihe von Biokatalysatoren, die mit dem Kabis allerlei anstellen. Allen Kohlarten sind starke Bitterstoffe gemein, bekannt unter dem Begriff Glucosinolate. Sie bestehen aus Zucker, der chemisch mit Schwefelaromen verbunden ist. Werden sie vom Zucker abgespalten, stinkt es merklich nach Kohl – wie beim Kochen. Genau das können auch manche Speichelenzyme. Aber eben nicht bei jedem von uns. Bei wem, lässt sich leicht feststellen. Dazu nimmt man ein Brokkoliröschen oder ein Stück Rosenkohl, hackt es klein und verteilt es jeweils zur Hälfte in zwei Gläser. Anschliessend spuckt man in eins der Gläser ein paar Mal, während man ins andere eine ähnliche Menge Wasser gibt. Nach einer halben Stunde wird an beiden Gefässen geschnuppert: Riecht das Speichelglas deutlich strenger als die Wasserprobe, waren Enzyme kräftig am Werk. Und man hat mit Kohl mehr Geschmacksprobleme.

Vor einiger Zeit blanchierte ich kleine Brokkoliröschen, tupfte sie ab, überzog sie mit geschmolzener Bitterschokolade, liess sie abkühlen und bot sie meinen Gästen vor dem Dessert an. Beschwerden gab es keine. Jetzt ist auch klar, warum: Die im Mund schmelzende Kakaobutter bremst die Speichelenzyme stark ein, und so haben sie kaum Chancen, aus den Glucosinolaten viele Ekelaromen zu bilden.

Thomas Vilgis

Physiker am Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Ausgabe: Salz & Pfeffer 6/2021 / Datum: 16.11.2021