Anschnitt

Köstliche Käserinden

Thomas Vilgis

Natürlich gab es um den Jahreswechsel herum Fondue, und natürlich landeten wieder viele Käserinden im Müll. Aber warum eigentlich? Schliesslich bestehen die harten, trockenen und mitunter unappetitlich aussehenden äusseren Schichten aus Käse – und somit aus Proteinen, Fetten und daraus, was davon nach der Reifung übrigblieb, etwa Amino- und Fettsäuren. Kurz: Aus Nährstoffen, nach denen Menschen gieren. Zugegeben, die paar Käserinden tragen insgesamt wenig zur menschlichen Ernährung bei. Sie entstehen aber im Rahmen der landwirtschaftlichen und handwerklichen Wertschöpfungskette als Nebenprodukt und sind zum Wegwerfen zu schade.

Die Rinden machen auch geschmacklich etwas her: Salzig, umami und bitter, begleitet von bestechenden Aromen, bringen sie alles mit, was auch ein aussergewöhnliches Gewürz so auf dem Kasten hat. Mit ein paar Küchentricks lassen sich die Flavourbomben kulinarisch zünden: Wir kochen die Rindensammlung mit Wasser, Milch oder Rahm auf kleiner Flamme und fügen etwas Hausnatron hinzu, das den pH-Wert erhöht, sodass die in den langen Reifezeiten zusammengeklumpten Käseproteine einander loslassen. Das Hausmittel wirkt wie ein Schmelzsalz, Molekularköche greifen daher gern in die Natriumcitrat-Dose. Die harten Rinden schmelzen, es bildet sich eine cremige, hoch würzige Emulsion, die auf ihre Weiterverarbeitung wartet: flüssig als Saucenverstärker, cremig als Würztupfer, oder aufgeschäumt aus dem Rahmsiphon für einen luftigen Käsegang.

Nicht verzehrsfähige Wachse bleiben natürlich aussen vor. Und Vorsicht ist geboten, wenn Käse wie Gouda oder Edamer mit geringsten Dosen des antifungal wirkenden Natamycins behandelt werden durfte – auch wenn die Menge, die Übelkeit auslöst, kaum erreicht wird. Abgesehen davon sind die intensiven, natürlichen und nachhaltigen Aromen richtig spannend.

Thomas Vilgis

Physiker am Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Ausgabe: Salz & Pfeffer 1/2022 / Datum: 08.02.2022