Der rote Faden
Produktwiederholungen seien, lernt jeder Koch, jede Köchin bereits im Lehrbetrieb, tunlichst zu vermeiden. Auf keinen Fall zwei Kartoffelgerichte hintereinander. Niemals Rindfleisch in der Vorspeise und im Hauptgang. Lediglich dann darf von dieser ehernen Regel abgewichen werden, wenn es sich um ein Ausnahmemenü handelt, das zur Gänze den Trüffeln gewidmet ist; auch die regional verankerten Gänse oder Spargelmenüs erhalten das Okay der kulinarischen Obrigkeit.
Umso überraschter war ich, als mir neulich in einem der besten chilenischen Restaurants Tomaten immer wieder im Laufe eines Menüs begegneten. Ganz am Anfang wurden sie, roh und rund, vom Kellner auf einem Tablett präsentiert. Dann kamen sie als Paste. Geschmort. Als lederartige Masse in Blütenform. Als salzbestreute Beigabe zum warmen Fladenbrot. Immer mal wieder Tomaten. Und immer mal wieder Abwechslung. Einem roten Faden gleich zogen sie sich durchs Menü, ohne dass es langweilig wurde. Gewiss, das hat mit Kochkunst zu tun. Und mit einer kühnen Herangehensweise ans Fine Dining, die sich von der europäischen unterscheidet.
Auf so was kämen europäische Köchinnen und Köche wohl nur, liessen sie sich auf den Perspektivenwechsel ein. Dann könnten sie auch rausfinden, dass eine Weinkarte selbst im allerfeinsten Restaurant nicht zwingend ist. Warum nicht lediglich mit Getränkebegleitungen operieren, mit solchen ohne Alkohol und jenen mit? Ich war ziemlich überrascht, als ich in Chile auf die fehlende Flaschenliste hingewiesen wurde, hatte ich mir doch vorgenommen, einen besonders feinen Tropfen als Höhepunkt einer Reise zu bestellen. Doch ich hatte mich schnell abgeregt und fand die glasweise abgegebenen Empfehlungen des Sommeliers sehr erfreulich. Der rote Faden in diesem Fall? Nur Gereiftes aus der Region. Passte auch zu den Tomaten.