«Wir gehen weg von der Filet-Fresserei, zurück zum Traditionellen.»
Jeder hat seine Reflexe und Prinzipien. Der Bauer frisst nur, was er kennt, Viviane nichts aus der Büchse. Und der Sparfuchs gönnt sich gern gediegenen Junkfood. Eiserne Regeln sind aber oft schwer verdaulich, weil untauglich zum Genuss. Der schlagende Beweis dafür ist die furchtbare Existenz als Frutarier, wenn einem nur faule Äpfel und Kirschkerne zur Ernährung bleiben. So ist das Schlaraffenland die Hölle der Veganer. Gebratene Enten fliegen mit dem Besteck im Rücken am Mund vorbei, ohne dass jemand glücklich wäre. Und nicht mal sich am Honigbrunnen zu laben, ist erlaubt. Dabei hat gerade das Böse seinen Reiz. Dass die verbotene Frucht fremd ist, ist ja der Witz der Verführung. Würde ich also in den Ferien feinste Fischaugen essen? Der Reflex sagt Nein. Vom Schiff aus geschrieben, würde ich diese Ehre dem Fischer überlassen.
Blutwurst und Leberwurst kommen bei mir auch eher nicht auf den Tisch. Peter Bolliger aus Hirschthal dagegen würde Meilen dafür gehen: «Das sind die besten Stücke der Sau.» Bolliger sagt dies von Amtes wegen, weil er muss. Er ist Präsident und Pressesprecher in Personalunion des Clubs mit dem sperrigen Namen Verein zur Förderung des Ansehens der Blut- und Leberwürste. Wenigstens kann man sich die Abkürzung gut merken, VBL, wie die Verkehrsbetriebe der Stadt Luzern. Aber die Website irritiert. Sie ist mit aberwitzigen Formularen gespickt, Statuten, Paragrafen sowie Fremdwörtern wie Nekrosanguophilie. Von Hymnen und Huldigungen ist da die Rede und in schier unverdaulicher Beamtensprache kommen auch dreiste Drohungen vor. Ausgetretene Mitglieder etwa werden gemäss Verfassung rituell geächtet und bekommen all Schaltjahr einen unfrankierten Schandbrief vom Vorstand. Man könnte meinen, dieser Mordsverein muss möglichst alle potenziellen Neumitglieder abschrecken.
Tatsächlich ist das nahe bei der Wahrheit. Von den 85 Vereinsmitgliedern kommen rund 50 regelmässig an die Vereinsanlässe, muntere Frauen wie Männer, das Durchschnittsalter ist jünger als der Präsident (Jahrgang 1967). Und Bolliger hat saumässig Spass an seinem Amt: «Ich mache das einfach cheibe gern.» Natürlich ist er sich bewusst, dass er sich in einem schwierigen Umfeld bewegt, voller Moralinminen. Aber in seiner feinen Art tritt Bolliger flott auf das tischsittliche Glatteis und liefert saftige Quotes: «Wenn ich eine Blutwurst esse, bin ich eigentlich fast ein Vegetarier.» Weil Fleisch ist in der Regel ja gar keins drin. Und nur Ignoranten denken bei Blutwurst an Völlerei und Exzesse. Alles eine Frage des richtigen Masses und des Know-hows. Bolliger ist ja auch Schreiner mit eigenem Betrieb sowie Mitglied im Töffclub und bei Slowfood. Nur etwas bringt selbst ihn auf die Palme – vakuumverpackte Schafrippen aus Neuseeland: «Wir gehen weg von der Filet-Fresserei, zurück zum Traditionellen.» In seiner Freizeit frönt er deshalb der Fleischveredelung. Und aus Respekt für das «Alpensäuli», sei es aus dem Glarnerland oder nebenan von «Heiris Hoger», wird das Tier «vom Schnörli bis zum Schwänzli» verspiesen. Möglichst ohne Reste, inklusive Schwarten und Speck. Am besten miteinander frisch im Wald gemetzget, verwurstet und gesotten. Derartig sind die urigen Vereinsaktivitäten, ein Schwein reicht just für ein gutes Dutzend Mitglieder. Meistens ist sogar ein Störmetzger als Fachmann dabei. Ein Mitglied macht aber selber Hirni-Wurst. Und deshalb kennt der schräge Club auch keine Nachwuchssorgen. Nur ein Verfallsdatum: Am 8. November 2067 wird er aufgelöst und das gesamte Vermögen bis auf den letzten Rappen verfressen. Weil, wie schon Stephan Remmler sagt: Alles hat ein Ende.
Verein zur Förderung des Ansehens der Blut- und Leberwürste, www.vbl.org