Das offene Meer ist nah, die Schelde gleich vor der Tür.
Es gibt ein Für und Wider, was das Essen vor dem Essen betrifft. Einerseits besteht die Gefahr, nach einem ausgiebigen Lunch allzu gesättigt zum feierlichen Abendessen zu gehen. Andererseits bietet so ein Plan ja die Möglichkeit, sich einzustimmen auf die Küche einer Region. Mit Steinbutt zum Beispiel. Das Lunchlokal, genauer gesagt, das Bistro des Zwei-Sterne-Restaurants De Kromme Watergang, hatte ihn auf der Karte. Und auch wer Steinbutt nicht mehr sehen kann, weil er in der Schweizer Top-Gastronomie rauf und runter dekliniert wird, sollte hier einen Versuch wagen. So nämlich wird er oder sie Steinbutt im Binnenland niemals bekommen. Gut und gern 400 Gramm sind es pro Gast, dicke Stücke, an den Gräten gebraten, saftig, ultrafrisch und knusprig zugleich. Traumhaft.
Nordsee eben. Zeeland. Die neue Heimat von Jeroen Achtien. 40 Minuten Autofahrt sind es von Hoofdplaat, wo der Kromme Watergang die Tische um seinen niedlichen Karpfenteich gruppiert, bis nach Kruiningen. Das offene Meer ist nah, die Schelde gleich vor der Tür. Jedenfalls die eine Schelde, die westliche. Bis zur anderen, der östlichen, die längst ein Meeresarm geworden ist, fährt man nochmals zehn Minuten. Bildet man sich ein, angekommen im Inter Scaldes, dass man das Meer riecht, oder duftet es tatsächlich nach Algen? Vielleicht ist ja auch die Auster, einer der Einstiegshappen, die der Küchenchef anrichtet, für den jodigen Geruch zuständig. Anrichten tut sie ein grosser Blonder, der gute fünf Jahre lang das Sens im Vitznauerhof zu einer der angesagtesten Adressen der Schweiz gemacht und mit seinem lockeren Stil die Szene der etablierten Langweiler aufgemischt hat. Zwei Sterne hat er geholt, und man hätte sich gut vorstellen können, dass Jeroen Achtien samt Gattin Sanne für immer geblieben wäre am See.
Der Reiz der drei Sterne
Stattdessen ist es die See geworden. Die Rückkehr in die Niederlande zu diesem Zeitpunkt war, wie man hört, nicht von langer Hand geplant. Vielleicht lockten, mehr noch als Heimat und Sprache, die drei Sterne des Manoir Inter Scaldes – des Hauses zwischen den Schelden. Diese trug das von Maartje Boudeling einst zu nationalem, später von Jannis Brevet zu internationalem Ruhm gebrachte Restaurant bis vor Kurzem nämlich. Offiziell leuchten gerade keine Sterne, normal beim Wechsel, aber man darf Achtien unterstellen, dass die Chance reizte und immer noch reizt. Seine Auster, mit diversen Algentexturen und -essenzen angerichtet, würde die Michelin-Tester wahrscheinlich nicht nur in der Nase, sondern auch im Mund beeindrucken. Und das zuvor gereichte schaumig-leichte Käse-Sandwich samt einem Glas fermentierten Randen-Ketchups würden sie, wenn sich die Inspektorinnen in der Schweiz auskennten, wiedererkennen. Es war nicht zuletzt diese neckische Herangehensweise ans Essen, die Achtien schon in Vitznau die Herzen der Tester und Gäste zufliegen liess.
Das Necken hat sich indes zum durchdachten, souveränen Erlebnis weiterentwickelt. Eines, das auch Sanne Achtien und den Nachwuchs integriert; das Baby darf schon mit zum Kräuterschneiden am frühen Morgen. Algen bekommt Achtien natürlich aus dem Meer, Garnelen, Fisch und viele andere Zutaten sowieso. Die der Anrichtung der Austern gewidmete Küchentheke ist übrigens die zweite Station für die eintreffenden Gäste, nach dem Salon, in dem der Hauschampagner angeboten und allererste Snacks serviert werden. Von der Küche wiederum gehts schnurstracks in den Gastraum. Inwiefern bei schönem Wetter die herrliche Terrasse eingeplant wird in die Abläufe, wird nicht ganz klar.