«Zu zweit können wir uns Bälle zuspielen.»
In der Küche des Restaurants Einstein in St. Gallen haben gleich zwei Chefs das Sagen: Sebastian Zier und Richard Schmidtkonz. Denn hier setzt man auf ein Führungsmodell, das beide Küchenchefs entlasten soll: das sogenannte Topsharing. «Die geteilte Verantwortung reduziert den Druck gerade im Gourmetbereich und steigert auch die Qualität», ist Zier überzeugt. «Zu zweit können wir uns die Bälle zuspielen. Das führt zu mehr Ideen und einer breiteren Perspektive.»
Zier und Schmidtkonz verbindet eine lange gemeinsame Geschichte. Schmidtkonz, der im Alter von 19 Jahren als Chef de Partie bei Zier auf Sylt begann, kennt dessen Küche und Philosophie seit mehr als einem Jahrzehnt. Diese Vertrautheit sei die Basis ihrer Zusammenarbeit. «Richard kennt unsere Küchen-DNA – und wir sind dicke Freunde», erläutert Zier. Und auch auf dem Teller funktioniere die geteilte Verantwortung sehr gut. «Während Sebastian eher der klassischen Küche zugeneigt ist, bringe ich moderne Einflüsse ein», sagt Schmidtkonz.
Keine Ego-Show
Doch das Topsharing hat auch seine Tücken. Zier betont, dass das Modell nur funktionieren kann, wenn beide Partner bereit sind, ihr Ego zurückzustellen. «Man darf sich nicht zu wichtig nehmen», sagt auch Schmidtkonz. Ausserdem müsse es menschlich passen, sonst sei eine Doppelspitze unmöglich. Wesentlich sei auch, mit den Entscheidungen des anderen leben zu können. In der Küche, in der es auf schnelle und klare Anweisungen ankommt, müssten beide Chefs an einem Strang ziehen. «98 Prozent der Zeit sind wir mit den Entscheidungen des anderen einverstanden», sagt Zier. Bei den restlichen zwei Prozent ist Kompromissbereitschaft gefragt.
Superkräfte bündeln
Auf das Konzept Topsharing setzt auch Jonas Gass, seines Zeichens Direktor des Nomad Design & Lifestyle Hotel in Basel. «Der Fachkräftemangel in der Branche, verstärkt durch die Covid-19-Pandemie, machte es schwierig, Führungspositionen zu besetzen. Gleichzeitig wünschten sich viele Mitarbeitende mehr Flexibilität und eine bessere Work-Life-Balance», erklärt er. Das Topsharing-Modell sei für beide Bereiche eine gute Lösung gewesen. Ein Selbstläufer sei das Konzept der gemeinsamen Führung aber keineswegs. Deshalb habe man an einem Workshop zum Thema teilgenommen und die Co-Leitung extern professionell begleiten lassen. «Damit ein Topsharing funktioniert, müssen wesentliche Regeln eingehalten werden», sagt Gass. So sei es entscheidend, dass sich die Co-Leitenden regelmässig austauschten und die Aufgabenbereiche untereinander klar verteilten. Entscheidend für den Erfolg sei auch, welche Paare man für die Leitung zusammenbringe. «Die Personen müssen vom Charakter und vom Wesen her zusammenpassen. Sonst wird es für alle eine Qual», sagt Gass. Im Führungsstil könnten sie sich aber durchaus unterscheiden. Gass nennt das den «Avengers-Effekt» und bezieht sich damit auf die Comicserie mit den Superhelden, in der jeder eine andere besondere Kraft hat. «Als Team ergänzen sie sich perfekt. Genau das kann die Stärke einer geteilten Führung sein.»