
«Menschen brauchen Vertrauen, aber sie brauchen auch Kontrolle.»
Was wäre aus Ihnen geworden, wenn es den Beruf Koch nicht gäbe?
Stefan Heilemann: Eigentlich wollte ich nach der Schule Webdesigner werden. Das war damals aber noch sehr neu, es gab nur wenige Ausbildungsplätze, dazu waren die meisten an privaten Fakultäten und dementsprechend teuer.
Webdesign und Kochen; das sind zwei komplett unterschiedliche Welten.
Vielleicht, bei beiden braucht es allerdings eine kreative Denkweise. Ich hatte nach der Schule überhaupt keine Ahnung davon, was ich tun soll. Die Schulausbildung ist viel zu theoretisch, man hat zu wenig Chancen, seine Berufung zu finden. Ich begann zuerst ein Betriebswirtschaftsstudium, merkte aber schnell, dass ich kein Mann für die Theorie bin.
Als Sie beschlossen, Koch zu lernen, hatten Sie bereits die Gourmetgastronomie vor Augen?
Ich wusste nicht viel über die Sternegastronomie, sagte mir aber: Ich bin jetzt 21, wenn ich Koch lerne, dann gehe ich direkt zum besten. Im Internet las ich, dass Harald Wohlfahrt in der «Traube Tonbach» der beste Koch Deutschlands sei. Ich ergatterte eine Stelle im Hotelrestaurant Silberberg, im dritten Lehrjahr durfte ich im mit 16 Gault-Millau-Punkten dotierten Restaurant Köhlerstube reinschauen. In die mit drei Sternen ausgezeichnete «Schwarzwaldstube» kam ich dann erst später.
Auffällig viele «Ecco»-Mitarbeiter haben eine Vergangenheit bei Harald Wohlfahrt.
Harald Wohlfahrt ist für mich einfach das Mass aller Dinge in Sachen Ausbildung. Und ich meine damit nicht die Lehre, sondern das, was danach kommt. Seine Küche ist eine harte Schule, definitiv, aber die Leute, die sie absolviert haben, kann man danach blind einstellen, mit der Garantie, dass es funktioniert.
Wie haben Sie Harald Wohlfahrt erlebt?
Er hat einen extremen Anspruch an die Produkte, da gibt es keine Kompromisse. Und er sagte immer: Ich bringe euch auf 150 Prozent, damit ihr, wenn ihr mal einen schlechten Tag habt, immer noch 100 Prozent geben könnt. Sein Anspruch ist Perfektion und nichts darunter. Dann ist seine Küche sehr vielfältig, ohne regionale Einschränkung mit asiatischen wie auch mediterranen Einflüssen. Wir hatten alle zwei Wochen ein neues Menü, dazu noch À-la-carte-Gerichte mit jeweils sechs Fleisch- und sechs Fischgängen. Da wird ein Riesenprogramm gefahren. Wenn man das mal ein Jahr lang gemacht hat, hat man alles gesehen, dann kann einen nichts mehr erschrecken.
Wie erreicht man Perfektion?
Indem man versucht, die Fehler zu vermeiden, bevor sie entstehen. Indem man jede Art von Gefahrenquellen ausschliesst. Zum Beispiel beim Fleisch. Das kann man kaufen, in die Pfanne hauen und servieren, klar. Bei uns machen wir aber von jedem Stück, sei das jetzt ein Lammrücken, ein Kalbsfilet oder was auch immer, eine Bratprobe, bevor wir es für die Gäste in die Mise en Place nehmen. Das ist ein grosser finanzieller Aufwand, aber nur so kann man Qualitätsschwankungen zu 100 Prozent ausschliessen.
Das tönt nach absoluter Kontrolle.
Jeder Mensch ist ein bisschen faul, sage ich mal. Vor allem unter Druck versucht man, den schnellsten und einfachsten Weg zu gehen. Wenn ein Koch aber weiss, dass der Chef die Qualität lückenlos kontrolliert, dann passiert das nicht. Menschen brauchen Vertrauen, aber sie brauchen auch Kontrolle. Harald Wohlfahrt fand immer einen guten Mittelweg zwischen diesen beiden Polen. Ich versuche hier im «Ecco» dasselbe.
Am Streben nach Perfektion kann man leicht zerbrechen.
Man muss abschätzen können, wie weit es noch gesund ist und ob man zeitweise nicht auch mit ein paar Prozent weniger zufrieden sein kann. Oft zwingt uns ja die Natur zu Kompromissen. Wenn es in der Bretagne stürmt, dann fahren die Fischer nicht raus und wir bekommen hier keinen Glattbutt. So ist das Leben.