«Ab einem gewissen Punkt kocht man nur noch für die Eitelkeit.»
Wenn der Spanier Jordi Roca i Fontané das Podium erklimmt, den Gastraum betritt, umweht ihn das, was der gemeine Patissier eher selten ausströmt: die Aura der Legende, der Duft des Stars. Womöglich im wahren Sinne, denn bekannt wurde der eher schüchterne «Dessertman» des dreifach besternten El Celler de Can Roca mit seinen Parfüm-Dekonstruktionen. Als Patissier dermassen zu Ehren zu kommen, weltbekannt zu werden, der Grant Achatz des Zuckers, der Eckart Witzigmann des Schokokuchens: Das wär doch was!
Aber wäre es wirklich etwas? Andy Vorbusch, Chefpatissier im Zürcher Dolder, kennt seine Rolle gut, weiss um die Gefahren, die nicht nur Allgemeinköche, sondern auch so manchen Spezialisten für Glaces und Cremes befallen. «Ab einem gewissen Punkt kocht man nur noch für die Eitelkeit», sagt der Deutsche. Oder anders ausgedrückt: «Wer hat die dicksten Eier?» In den Drei-Sterne-Restaurants, in denen Vorbusch zuvor in führender Position die letzten Menügänge verantwortete, im Sonnora in der Eifel und im Vendôme bei Köln, war eines klar: Vorne steht der Küchenchef, der «Puddingkoch» muss sich einreihen. Es bleibt ihm ja auch nichts anderes übrig, denn voll entfalten kann sich kaum einer, solange er nicht eine geniale Konditorei führt oder ein eigenes Dessertrestaurant eröffnet. Eines wie das Espaisucre in Barcelona oder das Coda in Berlin. Ob Letzteres einen Stern haben wird, wenn der Michelin 2018 erschienen ist? Fraglich. Obwohl selbst der ja nur ein Scherz wäre, denn Inhaber René Frank geliert, friert und pacossiert ja keinen Deut schlechter als zuvor im Drei-Sterne-Lokal La Vie. Also wäre die Forderung nach zwei oder drei Sternen für die neue Dessertbar an der Spree, die Süsskartoffel mit Mango mischt, Peperoni mit Büffelmilch, Banane mit Darjeeling, nichts weniger als realistisch.
Doch der Michelin ist noch hinterm Mond, der Gault & Millau manchmal in der Mars-Umlaufbahn, wetterte doch dessen deutsche Chefin soeben erst in einem Artikel gegen Gemüse im Nachtisch. Als ob es einen grundlegenden Unterschied zwischen Apfel und Tomate gäbe, zwischen Rande und Rhabarber. Auch unter Profis haben Desserts halt längst nicht jenes Renommee, das Vor- und Hauptspeisen geniessen. Um den Stellenwert der Branche zu steigern, hülfe es wohl schon, den Kontakt zwischen Patissier und Gast zu intensivieren. Kay Baumgardt, Chefpatissier im Appenzeller Gasthaus zur Fernsicht, geht gern auf Erklärungstour an den Tisch, Küchenchef Tobias Funke lässt Freiraum.
Eine rare Konstellation, die Baumgardt motiviert, sich Gedanken über die Zukunft der Patisserie zu machen. «Ein Dessert sollte immer noch der Abschluss eines Menüs sein und den Gast nicht überfordern.» Was auch Vegetabiles einschliessen kann. Gurke und Fenchel? Kein Problem. Aber Stopfleber? Baumgardt winkt ab, und Vorbusch schaut, als hätte man ihm Sprüngli-Luxemburgerli serviert. Christian Hümbs dagegen lächelt fein, nimmt sich Zeit fürs Gespräch. Der Mann ist kein Aufschneider, weiss ziemlich gut, was er kann. Seine Kirschen mit Douglasie, Knäckebrot und griechischem Joghurt machen gerade Furore, die Erdbeeren mit Sauerteig und Weizengras zeigen eine eigene Handschrift. Sogar mit Lardo, Kaisergranat, Burrata oder Hühnerhaut hat der Star der deutschsprachigen Patisserie, der unlängst von Hamburg ins Münchner Atelier wechselte, kein Problem. Was nicht heisst, dass alles im À-la-carte-Programm zur Verfügung stünde. Hümbs, Vorbild für Dutzende junger Nachtischpatissiers, hat sich auch mit sogenannten Aromenmenüs einen Namen gemacht. Teure Dessert-Speisenfolgen, als Events beworben, in denen Patisserie auf die Spitze getrieben wird.