«Mein Ziel war es, dass wir mit dem Festival über den Tellerrand hinausblicken.»
2020 geht das St. Moritz Gourmet Festival zum zweiten Mal unter Ihrer Führung über die Bühne. Wie erlebten Sie die Suche nach Gastköchen?
Fabrizio Zanetti: Es liegt eine aufreibende, aber gleichermassen spannende Zeit hinter mir. Ende Juli dachte ich, wir hätten alle beisammen, dann sprang kurzfristig jemand ab, was mich ganz schön ins Schwitzen brachte. Aber im Vergleich zu meiner Premiere war es diesmal viel einfacher. Vor einem Jahr hatte ich fast niemanden gekannt. Mit meinem ersten Festival eröffnete sich mir dann ein ganz neuer Horizont im Hinblick aufs Netzwerken: Viele Küchenchefs, die an der letztjährigen Ausgabe als Gastköche mitgewirkt hatten, waren uns auf der Suche nach neuen Kandidaten behilflich. So hat uns zum Beispiel Julien Royer vom Restaurant Odette in Singapur mit Lanshu Chen eine der meistbeachteten Köchinnen Asiens vermittelt.
Jetzt stehen die Gastköche für die nächste Ausgabe fest. Sind Sie zufrieden mit der Formation?
Ja. Das Festival wird so international wie noch nie, und das freut mich ganz besonders. Ich wollte nicht einfach Sterne-Küchen abklappern, mein Ziel war es vielmehr, dass wir mit dem Festival sprichwörtlich über den Tellerrand hinausblicken, in die Welt hinausgehen, Geschichten erzählen von verschiedenen Kulturen, Essgewohnheiten und spannenden Persönlichkeiten. Ich glaube, die nächste Festivalformation bringt dafür sehr gute Voraussetzungen mit.
Alle zehn Gastköche sind Frauen – ist das Zufall oder Devise?
Dahinter steht eine bewusste Entscheidung. Sie machte die Suche aufwendiger, war mir aber ein grosses Anliegen. In der Spitzengastronomie stehen die Männer immer noch zu stark im Zentrum, obwohl es in der Branche Top-Frauen gibt. Ich sehe das täglich in meiner eigenen Brigade. In unserem 40-köpfigen Team arbeiten zehn Frauen, von mir aus dürften es gerne mehr sein. Frauen kochen, wie mir scheint, oft exakter, sind zielstrebiger und präziser.
Woran liegt es dann, dass sie in der Spitzengastronomie noch immer untervertreten sind?
Ganz ehrlich, das frage ich mich auch. Aber statt über Gründe zu spekulieren, möchte ich lieber etwas tun – und starke Frauen ins Zentrum rücken. Es sind zehn ganz unterschiedliche und spannende Persönlichkeiten, die uns am St. Moritz Gourmet Festival 2020 erwarten.
Erzählen Sie!
Da ist zum Beispiel Emma Bengtsson vom Aquavit in New York, die sich in der Branche stark für Frauenförderung einsetzt. Sie wurde als erste Schwedin mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet – und ist in den USA neben Dominique Crenn die einzige Köchin auf diesem
Level. Oder die Dänin Kamilla Seidler: Im Restaurant Gustu in La Paz widmete sich die 35-Jährige dem kulinarischen Erbe Boliviens und interpretierte es mit Inspirationen aus der nordischen Küche neu. 2016 wurde Seidler von Latin America’s 50 Best Restaurants zur besten Küchenchefin ausgezeichnet. In Kopenhagen wird sie diesen Monat ihr neues Restaurant Lola eröffnen.
2019 ging dieser Titel an Carolina Bazán aus Chile. Sie kommt auch nach St. Moritz.
Carolina Bazán pflegt in ihrem Restaurant Ambrosia in Santiago de Chile eine heimisch verwurzelte Küche mit französischem Touch. Sie gehört zu den meistbeachteten Köchen Südamerikas und macht sich ebenfalls für Frauenthemen stark. Ein international gefeierter Nachwuchsstar ist Bel Coelho vom Restaurant Clandestino in São Paulo, die sich nicht nur als Küchenchefin, sondern auch als Menschenrechtsaktivistin einen Namen gemacht hat. Einige unserer Gastköchinnen kennt das Publikum ausserdem aus berühmten Fernsehformaten – etwa Asma Khan aus London, die als erste britische Küchenchefin in der Netflix-Serie «Chef’s Table» mitwirkt, oder Judy Joo, die mit «Korean Food made simple» ihr eigenes TV-Format hat.
Mit Tanja Grandits, Köchin des Jahres 2019, hätte sich auch eine heimische Gastköchin angeboten.
Tanja Grandits wäre für uns in jeder Hinsicht eine Top-Kandidatin, sie war aber schon zweimal als Gastköchin in St. Moritz. Allein aus diesem Grund haben wir sie nicht erneut angefragt.
Food-Festivals schiessen derzeit wie Pilze aus dem Boden. Wie hebt sich das St. Moritz Gourmet Festival von der Konkurrenz ab?
International betrachtet, gehen wöchentlich gleich mehrere solcher Veranstaltungen über die Bühne. Weltweit war das St. Moritz Gourmet Festival das erste dieser Art. Ich glaube, was unser Festival bis heute einzigartig macht, ist die Tatsache, dass sich unsere Köche richtig viel Zeit dafür nehmen. An anderen Veranstaltungen ist es üblich, dass Gastköche nach dem Dinner wieder abreisen, bei uns bleiben sie volle fünf Tage. Dabei haben die Gäste immer wieder Gelegenheit zum Austausch mit ihnen, sei es bei den Gourmet Dîners oder im Rahmen der Official Events wie dem Grand Julius Baer Opening, der Kitchen Party und dem Porsche Gourmet Finale.