10.10.2024 Salz & Pfeffer 5/2024

Pilze für Kaiser

Text: Dominik Flammer – Fotos: Tina Sturzenegger
Traditionell gehören Pilze in der Schweiz zum kulinarischen Herbst, obwohl inzwischen diverse Sorten ganzjährig kultiviert werden. Langsam, aber sicher jedoch entdeckt die hiesige Gastronomie, welches Potenzial hier schlummert.
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Gastronomen und Köchinnen tendieren dazu, bei vielen neuen Pilzarten auf die englischen oder japanischen Namen zurückzugreifen: auf Maitake oder Sakura, auf Freckled Chestnut oder Yambushitake. Klingt nun mal besser als Klapperschwamm oder Igel-Stachelbart. Zwar dominiert bei den Schweizer Zuchtpilzen nach wie vor der einfache Champignon, doch die zahlreichen Edelpilze legen insbesondere in der Gastronomie deutlich zu. Und doch: Während die Schweizer Züchterinnen und Züchter 2021 knapp 7000 Tonnen Champignons kultivierten und verkauften, waren es von den neueren Edelpilzen gerade mal rund 400 Tonnen. 

Bei den Grossen der Branche wie dem Biobetrieb der Kernser Edelpilze GmbH dominieren heute bereits einigermassen bekannte Sorten wie der Shitake, die Austern- und Kräuter-Seitlinge oder der Samtfussrübling. Allesamt Pilze, die seit vielen Jahren den Weg auch in den Detailhandel und in die privaten Küchen gefunden haben – ebenso wie der Buchenpilz (auch Shimeji genannt) oder das Japanische Stockschwämmchen (auch: Toskanapilz oder Nameko). In der gehobenen Gastronomie und insbesondere in vegetarischen und veganen Restaurants machen sich zudem seit einigen Jahren neue und bisher noch relativ unbekannte Zuchtpilze breit. Dazu kommen bisher hierzulande kaum genutzte und überwiegend importierte Wildpilze. Pilze für Nischenanbieter – ob für Züchterinnen oder Importeure.

Frust bei der Morchelsuche
Einer, der ausgefallenere Wünsche von Köchinnen und Köchen erfüllt, ist der Zürcher Oberländer Lorenzo Falcone. Der gelernte Forstwart begann vor drei Jahren mit der Zucht von Edelpilzen. «Als Achtjähriger suchte ich das erste Mal Wildpilze, mit meiner Zucht habe ich mir einen Kindheitstraum erfüllt», erzählt er. Wobei es das ursprüngliche Ziel war, Morcheln zu züchten, da Falcone nie welche fand. Und als er im Bergell einmal meinte, fündig geworden zu sein, waren es Giftlorcheln, die den schmackhaften Morcheln aus der Ferne verblüffend ähnlich sehen. «Ich ärgerte mich ungemein; das dürfte der Auslöser für meine ersten Zuchtversuche gewesen sein.»

Morcheln züchtet Falcone bis heute nicht, und es dürfte auch noch eine Weile dauern, bis das ökonomisch möglich ist. Als Züchter anderer Pilze und Unternehmer allerdings ist er schon nach drei Jahren auf gutem Weg: Die Mengen, mit denen er rund 50 Gastronomien und einige Wiederverkaufsbetriebe beliefert, haben aus ihm den wohl grössten Schweizer Produzenten seltener Edelpilze gemacht. Auch wenn seine Firma Pilzchef im Vergleich zu den grossen Zuchtbetrieben der Branche mit einigen Tonnen Pilzen im Jahr noch immer zu den Kleinen gehört.

Igel-Stachelbart
Igel-Stachelbart
Sakura
Sakura
Milchbrätling
Milchbrätling
Zitronengelber Austernseitling
Zitronengelber Austernseitling
Chestnut
Chestnut
Austernseitling
Austernseitling

Experimente mit Unbekanntem
In Erscheinung trat Falcone auch im Rahmen des Food-Labs Mushroom, das sich im Herbst 2023 drei Wochen lang in Zusammenarbeit mit talentierten Jungköchinnen und Jungköchen ausschliesslich mit Pilzen beschäftigte: Er lieferte relativ unbekannte Varietäten wie den Rosen- und den Zitronenseitling oder den Kastanienpilz. Sowie natürlich die mittlerweile begehrten Igel-Stachelbärte, die zu seinem Kerngeschäft gehören, da sie gebraten oder gebacken zu den aktuellen Lieblingspilzen in der Profiküche gehören.

Wenn alles rund läuft, wird Falcone bald auch die insbesondere in Asien als Speisepilze beliebten Maitake anbieten können. Der Maitake, im Deutschen eben als Gemeiner Klapperschwamm oder Spatelhütiger Porling bezeichnet, gehört in China oder Japan seit Jahrzehnten zu den meistgezüchteten Pilzen. Mit seinem nussigen Aroma und seiner vielseitigen Verwendbarkeit dürfte er sich in den nächsten Jahren auch hierzulande durchsetzen, ist Falcone überzeugt.

Britinnen und Bayern machens vor
Aber auch im Bereich der Wildpilze tut sich hierzulande einiges. So hat einer der edelsten Pilze überhaupt vor Kurzem den Sprung in die Schweiz geschafft: Der Kaiserling (nomen est omen) taucht seit wenigen Jahren auf den Speisekarten der angesagtesten Lokale auf. In Italien und auf dem Balkan hat der enge Verwandte der hochgiftigen grünen oder weissen Knollenblätterpilze seine aussergewöhnlichen Qualitäten längst bewiesen; in der Schweiz müssen viele Köche und Köchinnen noch lernen, dass der Kaiserling leicht angebraten besser schmeckt als roh gehobelt. Wer die kulinarische Erfahrung auf die Spitze treiben möchte, reibt über den gebratenen Kaiserling ganz wenig von den noch edleren weissen Trüffeln. Ein Gericht, das Pilzliebhaber und Trüffelanhängerinnen ins Paradies versetzt!

Erst vereinzelt beginnt sich in der Schweizer Küche indes eine heimische Sorte durchzusetzen, die ältere Pilzsammlerinnen und -liebhaber bis heute wenig schätzen. Die Vorliebe für den Chicken Mushroom (gern auch Chicken of the Woods genannt) – auf Deutsch: Gemeiner Schwefelporling – schwappt allmählich vom angelsächsischen Raum herüber. Seinen englischen Namen verdankt er seiner geschmacklichen Ähnlichkeit und seiner Konsistenz, die ihn gebacken jedem Chicken Nugget überlegen macht.

Abzuwarten gilt, ob uns nach den Angelsächsinnen auch die Bayern beeinflussen können: Dort nämlich gilt ein Pilz als edelste Delikatesse, der hierzulande noch immer verpönt ist: der Milchbrätling.

Lieblinge aus der Zucht

 

Zitronengelber Austernseitling – Dieser in Russland weitverbreitete Pilz ähnelt im Geschmack leicht Cashewnüssen und eignet sich vor allem für Salate oder Bratgerichte. Farblich passt er bestens mit dem Sakura zusammen.

Sakura – Der rosafarbene Pilz ist eine Zuchtform des Rosenseitlings, der in natürlicher Form in Südostasien und Südamerika wächst. Liebhaber schwärmen davon, dass er geschmacklich an Speck oder Schinken, in reiferem Zustand aber auch an Meeresfrüchte oder Lachs erinnert.

Igel-Stachelbart – Dieser auch unter dem französischen Namen Pompom blanc bekannte Pilz gehört zu den Lieblingen vieler Köchinnen und Köche. Dank seiner festen, kompakten Konsistenz und seiner komplexen, vielfältigen Aromen lässt er sich unterschiedlich einsetzen. Je nach Zubereitungsart erinnert er an Hummer oder verfügt über exotische Kokos- oder Zitrusaromen.

Maitake – Der in Asien äusserst beliebte Speisepilz wird in China schon seit der Zeit der frühen Dynastien gesammelt, einigen Quellen zufolge sogar bereits vor den eigentlichen Kaiserdynastien, die erst ab 200 vor Christus ihren Aufstieg erlebten. Er schmeckt sehr nussig, ist leicht süsslich und gehört zu den besten Bratpilzen überhaupt.

Entdeckungen aus dem Wald

 

Milchbrätling – Dieser Pilz gehört zu den Täublingsverwandten und wird hierzulande noch wenig geschätzt. Zu Unrecht! In Bayern weiss man bereits Bescheid: Dort gilt der «Milibrätling» als einer der besten wildwachsenden Speisepilze überhaupt. Ohne Gewürze als ganzer Pilz angebraten und anschliessend etwas gesalzen, ist er mehr als nur ein Ersatz für das beste Steak. Liebhaberinnen essen junge Milchbrätlinge auch roh, obschon die meisten Pilzkontrolleure davon abraten.

Kaiserling – Wie der Maitake in China, geniesst der Kaiserling vor allem im Mittelmeerraum seit der Antike einen aussergewöhnlichen Ruf als Speisepilz. Doch erst seit wenigen Jahren wird er in die Schweiz importiert – die Pilze stammen vorwiegend aus dem Balkan, aus Rumänien und Bulgarien. Nördlich der Alpen gehört der Kaiserling zu den absoluten Fundraritäten. Er verfügt über einen ungemein nussigen Geschmack, der sich allerdings erst zeigt, wenn man ihn kurz anbrät.

Gemeiner Schwefelporling – Der auch in der Schweiz auf Totholz weitverbreitete Porling ist durch seinen pouletähnlichen Geschmack und seine herrliche Konsistenz einer der Lieblingspilze der Angelsachsen und wird auch Chicken of the Woods genannt. In der Schweiz ist er noch weitgehend verpönt. Nicht zuletzt, weil die wenigsten Köchinnen und Köche wissen, dass er sich wunderbar in Form von Pilz-Nuggets verarbeiten lässt, die selbst die besten Chicken Nuggets in den Schatten stellen.

Mushroom: Tickets gewinnen!
Vom 8. Oktober bis 3. November wird in Zürich das von der Avina Stiftung in Kooperation mit Soil to Soul und Autor Dominik Flammer präsentierte Food-Lab Mushroom zum zweiten Mal durchgeführt. Ein Schwergewicht liegt wieder auf den Pilzen: Unter dem Titel «Beuschel, Bohne, Birkenpilze» finden gemeinsam mit zehn talentierten Jungköchinnen und -köchen acht Tavolatas sowie Work- shops für Profis und Laien statt, die sich für Pilze, aber auch für Hülsenfrüchte und Innereien von Fischen und Säugetieren interessieren. Alle Infos gibt es online.

Als Medienpartner von Soil to Soul verlost Salz & Pfeffer einmal zwei Tickets für die Pilz-Tavolata vom Donnerstag, 31. Oktober. Diese beginnt um 19 Uhr in der Cuisine in Zürich-Altstetten. Wer an der Verlosung mitmachen will, schickt ein E-Mail mit Betreff «Mushroom» an redaktion@salz-pfeffer.ch (bitte Name und Adresse angeben). Teilnahmeschluss ist der 22. Oktober.
food-lab.org, sotoso.org