Gar nicht so böse?

Ein Riese, der zahmer ist als sein Ruf, und ein Gesetz, das voraussichtlich zahnlos bleibt. Nach dem grossen Sieg der Hoteliers über die Buchungsplattformen und ihre «Knebelverträge» gibt es Stimmen, die ein etwas anderes Bild der Geschichte zeichnen.
Text: Delia Bachmann – Foto: Kaspars Grinvalds – Shutterstock.com
Veröffentlicht: 15.01.2018

«Booking.com setzt die Bestpreisklauseln schon seit zwei, drei Jahren nicht mehr durch.»
Es war ein ungleicher Kampf mit einem überraschend deutlichen Ausgang: Die Schweizer Hoteliers haben die Lex Booking im Parlament gegen den Willen der grossen Buchungsplattformen, des Bundesrats und der Wettbewerbskommission durchgeboxt. Das Gesetz, das in rund zwei Jahren in Kraft treten soll, verbietet Buchungsplattformen, sogenannte Bestpreisklauseln in ihre Verträge zu schreiben. Damit können Hoteliers auf ihren Websites wieder günstigere Preise als auf den Plattformen anbieten. Bestpreisklauseln sind in vielen Branchen gang und gäbe. In der Hotellerie wurden sie zum Politikum, weil der Platzhirsch Booking.com Kommissionen verlangt, die selbst in den Augen des Preisüberwachers viel zu hoch sind. Der Verband Hotelleriesuisse, der rund 40 Prozent der Schweizer Hotels vertritt, kämpfte an vorderster Front für das Verbot. Die Rede war von Knebelverträgen, auf dem Spiel stünde nicht weniger als das wirtschaftliche Überleben der Hoteliers. Viele von ihnen schrieben Briefe an Parlamentarier oder griffen zum Hörer.

Auch die Gegenseite fuhr schweres Geschütz auf. Booking.com, mit über 70 Prozent Marktanteil die führende Buchungsplattform, engagierte gleich zwei Lobbyfirmen und entsandte Europa-Chef Peter Verhoeven nach Bern. Ins Feld geführt wurde vor allem das Argument der Trittbrettfahrer: Die Klauseln sollen verhindern, dass Hoteliers die Plattform für Gratiswerbung nutzen, nur um die Zimmer dann günstiger über eigene Kanäle zu vermieten. Genützt hat es nichts. Gemeinsam haben die Davids den Goliath besiegt. Ein schönes Schwarz-Weiss-Bild.

Knebeln geht anders
Die Realität ist grauer: «Booking.com setzt die Bestpreisklauseln schon seit zwei, drei Jahren nicht mehr durch», sagt Wilhelm Weber, Dozent an der Hotelfachschule Luzern sowie Gründer des Beratungsunternehmens Swiss Hospitality Solutions. Booking.com-Sprecher Peter Lochbihler bestätigt Webers Aussage nicht, sagt aber: «Booking.com kommt beim ersten Verstoss nicht gleich mit Anwälten, sondern sucht den Dialog.» 

Gemäss Fritz Erni, dem Direktor des Art Deco Hotel Montana und Hotelier des Jahres 2017, bleiben die Anwälte auch beim x-ten Verstoss zu Hause: «Wir haben nie mitgespielt bei den Bestpreisklauseln von Booking.com.» Die Konsequenzen waren überschaubar: «Es gab hitzige Diskussionen mit dem Gebietsvertreter, der alle sechs Monate vorbeikam. Mehr ist nicht passiert.» Erni ist überzeugt, dass es am richtigen Ton lag: «Wir sind nie auf Konfrontation gegangen, haben aber auch keine Kompromisse geschlossen.» Abhängig von Booking.com sei das Hotel nicht, dennoch freut sich Erni über das künftige Verbot: «Es gibt eine gesetzliche Sicherheit, und das hat lange genug gedauert.»

Ähnlich klingt es bei Felix Suhner, Verwaltungsratspräsident der Balance Familie und Hotelier des Jahres 2016: «Vor etwa zwei Jahren begannen wir in der Seerose in Meisterschwanden, tiefere Preise als die Plattformen anzubieten.» Auch sein Ausscheren blieb ohne Folgen. «Entscheidend ist die Abhängigkeit von einer Plattform. Heikel wird es, wenn ein grösserer Teil des Geschäfts wegzubrechen droht», so Suhner. Obwohl das bei der Seerose nicht der Fall sei, hat er sich vor einem halben Jahr für einen Weg entschieden, der «nicht aneckt». Das Hotel bietet die Zimmer seither zu einer sogenannten Non-Refundable-Rate an. Anders als bei Booking.com können die Gäste nicht stornieren, was es der Seerose ermöglicht, einen besseren Preis zu machen. Auch Suhner begrüsst den Entscheid des Parlaments: «Für uns hat es zwar keine grossen Konsequenzen, aber es ist gut, dass man tiefere Preise ohne Umwege anbieten kann.»

Keine Rache, sondern Codes
Christophe Hans, Leiter Wirtschaftspolitik bei Hotelleriesuisse, hat eine etwas andere Einschätzung: «Wenn es stimmt, dass Booking.com die Klauseln nicht mehr durchsetzt, warum wollen sie sie dann behalten?» Während der Lobbyphase habe der Verband die Mitglieder aufgefordert, öffentlich Stellung zu beziehen: «Sie hatten aber zu viel Angst davor, von den Buchungsplattformen benachteiligt zu werden.» So kommt es, dass auch Hotelleriesuisse nur über Einzelbeispiele verfügt: Ein Hotel soll mit einer Busse im fünfstelligen Bereich bestraft worden sein. Eines sei von der Plattform geflogen. Wesentlich häufiger sei der Fall, dass Hotels im Ranking nach unten rutschen. «Ab und zu melden uns die Mitglieder solche Fälle, aber es wird nicht systematisch gesammelt», sagt Hans weiter.

«Den Vorwurf, dass wir Rache üben wollen, hören wir häufig», sagt Booking.com-Sprecher Lochbihler. Er will ihn nicht gelten lassen: «Das Ranking ist vollständig automatisiert und entsprechend dynamisch. Wenn unsere Partner die Zimmerpreise, welche sie auf Booking.com selbst einstellen, nicht attraktiv halten, wirkt sich das auf ihr Ranking aus.» Zahlen zu Verstössen und Sanktionen gibt die Plattform keine bekannt.

Der Befreiungsschlag bleibt aus
Für die Hoteliers ist klar: Es ist gut, dass ein Gesetz kommt. Aber auch: Das Gesetz wird nicht viel ändern und Booking.com ihre Marktmacht dafür einsetzen, dass alles beim Alten bleibt. Für den einzelnen Hotelier bedeutet dies, dass er die gewonnene Freiheit auch tatsächlich nutzen muss. Oder wie es Erni vom Art Deco Hotel Montana sagt: «Wenn das neue Gesetz in Kraft tritt, liegt es in der Verantwortung des Geschäftsführers, ob er sich die Preise diktieren lässt.»

Auch Hotelleriesuisse sowie deren 33-prozentige Tochtergesellschaft STC AG, welche die Buchungsplattform Swisshotels.com betreibt, geben sich keinen Illusionen hin: «Wir erwarten, dass Booking.com neue Wege finden wird, damit die Hoteliers die besten Preise auf der Plattform anbieten. Etwa, indem sie Betriebe belohnt, die sich freiwillig daranhalten», sagt Hans von Hotelleriesuisse. «Es wäre naiv zu glauben, dass es zu grossen Marktveränderungen kommt», sagt auch STC-Geschäftsführer Michael Maeder. Er hofft, dass die Hoteliers keine allzu grossen Erwartungen hegen: «Es wird schon Hotels geben, die sich aus der Umarmung lösen können, aber es wird kein Befreiungsschlag sein.»

Hotelleriesuisse und das Buchungsgeschäft
Nicht viele wissen, dass Hotelleriesuisse selbst im Buchungsgeschäft tätig ist, allerdings wenig erfolgreich. 2012 beteiligte sich der Verband mit 33 Prozent an der Switzerland Travel Center AG, die unter anderem die Buchungsplattform Swisshotels.com betreibt. Man wollte den grossen Buchungsplattformen Konkurrenz machen: «Die vollumfängliche Unterstützung durch den Branchenverband Hotelleriesuisse ist eine zwingende Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung des neuen Geschäftsmodells», hiess es damals. Heute bezeichnet STC-Geschäftsführer Michael Maeder die damaligen Pläne als zu ambitiös: «Wir werden im Bereich der Hotelvermittlung nie ein relevantes Volumen erreichen.» Dafür sei im Markt kein Platz: «Booking.com hat ein Marketingbudget von drei Milliarden, damit können wir nicht mithalten.» Anfang 2017 wurde bekannt, dass sich in den Verträgen der Hotelleriesuisse-Tochter STC ähnliche Bestpreisklauseln finden, die der Verband bei Booking.com, Expedia und Co. kritisiert. Der Standardvertrag war damals online abrufbar. Thomas Allemann, Geschäftsleitungsmitglied bei Hotelleriesuisse, verteidigte den Verband mit dem Argument, die Klauseln hätten nur auf dem Papier bestanden, der Vertrag sei Ende 2016 geändert worden. Maeder bekräftigt: «Die Bestpreisklausel steht in keiner Form mehr in den Verträgen.» Einen Mustervertrag will er mit Verweis auf die negative Berichterstattung über die STC AG in der Vergangenheit dennoch nicht herausgeben.



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