Wertvoller Humus

Er denkt Nachhaltigkeit zu Ende: Bauer Matthias Hollenstein betreibt regenerative Landwirtschaft. Damit beackert er buchstäblich Neuland – und begeistert mit seinen Produkten eine wachsende Anzahl Köche.
Text: Virginia Nolan – Fotos: z. V. g.
Veröffentlicht: 11.08.2017
Vom Feld direkt in die Küche: Wurzelgemüse von Slowgrow

«Unbehandeltes Gemüse schmeckt aromatischer, weil es buchstäblich nicht verwässert wurde.»

Regional, biologisch, nachhaltig: Nach diesen Kriterien suchen immer mehr Köche ihre Rohstoffe aus. Meist ist das Bio- oder Demeter-Label Garant für dieses Versprechen, das sie an ihre Gäste weitergeben. Im Zürcher Oberland gibt es einen Jungbauern, der noch einen Schritt weitergeht, sich selbst strengere Vorschriften macht, als sie ihm irgendein Label auferlegen könnte. Matthias Hollenstein, zu dessen Abnehmern eine wachsende Zahl von innovativen Köchen gehört, betreibt auf seinen Gemüse- und Getreidefeldern regenerative Landwirtschaft. Mit seinem Unternehmen Slowgrow ist er Pionier auf diesem Gebiet, das in der Schweiz Neuland ist. «Regenerativ» ist, vereinfacht gesagt, eine Landwirtschaft, die mehr Kohlenstoffdioxid (CO2) aufnimmt, als sie ausstösst.

CO2 ist bekanntlich Ursache Nummer eins für Klimaerwärmung, die zu Umweltkatastrophen führt. Um derlei zu verhindern, muss künftig nicht nur weniger CO2 ausgestossen werden; es braucht auch Mechanismen, die es der Luft aktiv entziehen. Dafür eignet sich eine uralte Kulturtechnik der Landwirtschaft: Humusaufbau. Pflanzen sind in der Lage, CO2 aus der Luft aufzunehmen. Sie scheiden es über ihre Wurzeln in den Boden aus, wo Mikroorganismen das CO2 zusammen mit Pflanzen- und Ernteresten verarbeiten – das nennt sich Flächenkompostierung. Daraus resultiert schliesslich Humus, der das CO2 bindet und sicher im Boden verwahrt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die globalen Landwirtschaftsflächen jährlich mehr Kohlenstoff aufnehmen könnten, als weltweit ausgestossen wird – sofern sie denn regenerativ bewirtschaftet werden. Denn CO2 verbleibt nur dauerhaft im Boden, wenn diesem kein Humus entzogen wird und er immerzu neuen bilden kann. Diese Voraussetzung ist weder in der konventionellen noch in der biologischen Landwirtschaft gegeben.

Hollensteins Maisfeld in Bubikon mutet an wie ein kleiner Dschungel. Es wachsen auch Bohnen, Sonnenblumen und Kürbisse darauf. Diese Mischkultur orientiert sich an der Milpa, einem Landwirtschaftssystem, das die Mayas in Mittelamerika seit Jahrhunderten betreiben. Dabei werden Pflanzen gleichzeitig angebaut und bilden eine vielfältige Mischkultur mit symbiotischen Beziehungen: An der Maisstaude können sich die Bohnen hochranken, diese wiederum versorgen den Mais mit Stickstoff, während die grossen, grünen Kürbisblätter die Erde bedecken. «Die wichtigste Voraussetzung für Humusaufbau ist viel Blattgrün», sagt Hollenstein, «es nimmt am meisten CO2 aus der Luft auf.» Die Kürbisblätter verhinderten ausserdem, dass Humus durch Regen abgetragen werde oder austrockne, weil zu viel Sonnenlicht einfalle. Bei Kulturen, die kein so breitflächiges Blattwerk produzieren wie Kürbisse, etwa Karotten, schützt Hollenstein den Boden mit Holzschnitzeln, Laub und Grasschnitt: «Damit imitieren wir auf dem Feld, wie der Wald seinen Boden regeneriert.»

Am Spätsommermorgen unseres Besuchs werden Randen geerntet. Hollenstein hat Hilfe von Alex Ofner, Koch und Aktivist bei Slow Food Youth. Wenn dieser nicht gerade im Babu’s Bakery & Coffeehouse in Zürich die Kelle schwingt, packt Ofner auf dem Feld mit an. Hollensteins Vision begeistert ihn. Er hofft, dass er demnächst auch seinen Arbeitgeber dafür gewinnen kann. «Allein der Geschmack ist ein schlagendes Argument», sagt Ofner und beisst in eine Karotte. Er lacht: «Die Aromen sind so intensiv, dass man gar nicht so viel essen kann.» Dafür liefert Bauer Hollenstein die wissenschaftliche Erklärung: «Dünger ist salzig. Pflanzen, die damit behandelt werden, speichern unverhältnismässig viel Wasser. Unbehandeltes Gemüse schmeckt aromatischer, weil es buchstäblich nicht verwässert wurde. Und es ist wesentlich nahrhafter.»

Der Zürcher Koch Alex Ofner packt auf dem Feld mit an, wenn er nicht in der Küche steht.
Landwirtschaftspionier ohne eigenen Hof: Slowgrow-Gründer Matthias Hollenstein
Er kocht, was auf Hollensteins Feldern gerade reif ist: Markus Burkhard, Küchenchef im Restaurant Jakob, Rapperswil.

Ein gutes Dutzend Gastronomen bestellt mittlerweile bei Hollenstein, der je nach Saison 150 bis 200 Sorten anpflanzt. Hauptabnehmer und Geschäftspartner von Slowgrow sind die Bachsermärt-Filiale im Zürcher Seefeld und das Restaurant Jakob in Rapperswil. An beiden Betrieben ist Unternehmer Patrick Honauer beteiligt, der die Bioladen-Gruppe Bachsermärt mit fünf Ablegern und das Hotel Jakob mit gleichnamigem Restaurant führt. Dort kocht seit Anfang 2016 Markus Burkhard, der zuvor im Clouds Küchenchef war. Burkhard gibt bei Hollenstein keine Bestellungen auf; er verarbeitet, was auf dessen Feldern reif ist. «Das ist eine Herausforderung», sagt er, «die aber auch ihren Reiz hat.» Nicht nur die Qualität der Produkte spreche für sich, auch von der Philosophie dahinter könne schlecht abrücken, wer sich einmal damit auseinandergesetzt habe. «Regenerative Landwirtschaft ist keine Alternative», sagt Burkhard, «sondern im Prinzip das einzig Richtige, weil sie Nachhaltigkeit zu Ende zu denkt.»

Das Restaurant Jakob und der Bachsermärt zahlen Hollenstein einen festen Betrag, unabhängig davon, wie die Ernte ausfällt. Dafür dürfen die Betriebe Wünsche bei der Aussaat anbringen. Und sie unterstützen den Bauern regelmässig auf dem Feld. Auf diese Hilfe ist Hollenstein angewiesen, weil viel Handarbeit anfällt, sei es beim Ernten, Sähen oder der Pflanzenpflege. Der Bauer setzt ausserdem auf eine leichte, selbst umgebaute Maschine, die den Boden nur oberflächlich bearbeitet und verhindert, dass dieser verdichtet. Bodenverdichtung zerstört natürliche Abflusskanäle in der Erde – sind sie einmal kaputt, schwemmt Regen wertvollen Humus davon.

Hollenstein, der Polymechaniker und Konstrukteur war, bevor er auf die Landwirtschaft umsattelte, hofft, dass er weitere Gastronomen ins Boot holen und mit ihnen Partnerschaften eingehen kann, wie er sie mit dem Restaurant Jakob pflegt. Er strotzt vor Ideen – was ihm noch fehlt, ist ein eigener Hof. Derzeit bearbeitet Hollenstein etwa fünf Hektaren Land, die sich auf vier Gemeinden verteilen. «Ich würde mich freuen», sagt er, «wenn ich irgendwann alles unter einem Dach vereinen könnte.» Ganz gleich, was die Zukunft bringe, an seiner Maxime werde er festhalten: «Nach der Ernte ist unser Boden noch besser als vor der Saat.»

www.slowgrow.ch



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