Was der Boden hergibt
Am diesjährigen Symposium besinnt sich Soil to Soul auf seine Wurzeln – und holt einen Star der portugiesischen Küche nach Zürich, dessen Konzept perfekt zur Veranstaltung passt.
«Ökologische und soziale Nachhaltigkeit sind keine Randthemen mehr. Gäste, die gesundes, lokales, saisonales Essen verlangen, sind so ernst zu nehmen wie Allergiker.»
Die letzten Monate, der Lockdown, die Pandemie machten mich und viele meiner Freunde nachdenklich. Unnachgiebig an einem (Wirtschafts-)System festzuhalten, das Verschwendung, Ausbeutung und skrupelloses individuelles Gewinnstreben zum kulturellen Ideal verklärt, wird zunehmend hinterfragt. Soll es wieder werden, wie es war? Die Begierden der Vergangenheit, die «vor Corona» unser Leben prägten, provozierten eine von Beschleunigung und Gier geprägt Lebenswelt. Jedes Gut, jede Tat sollte von Mal zu Mal anders, besser, blitzender, kreativer sein. Jede Branche, so auch alle Felder der Gastlichkeit, litt unter dem permanenten Innovationsdruck. Noch mehr Bergbahnen. Noch grössere Saunalandschaften. Noch mehr Events. Noch mehr Sterne. Noch mehr Schnaps. War, ist das noch Gastfreundschaft?
Der österreichische Nobelskiort Ischgl ist ein Symbol für diesen gastronomischen Grössenwahn. Und genau dort, in hitzigen Discos, am Fuss bezwungener und beherrschter Alpen, in den Hinterhöfen von Spitzenrestaurants, wurde der Albtraum Corona wahr. Massentourismus, alkoholschwangere Veranstaltungen, Essen und Gäste aus allen Regionen des Planete verbreiteten das Virus in ganz Europa. Exzessive Gastlichkeit für die Massen ist auf unabsehbare Zeit Geschichte. Das wird auch nach der Pandemie so bleiben. Keine Impfung wird die Angst besiegen.
Und jetzt? Die Gastlichkeit braucht neue Konzepte. Die ständige Suche nach verschiedenen Rauschzuständen wird immer weniger Gäste anlocken. Gewiss bleiben der Drang nach Sex, die Gier nach Adrenalin, das Verlangen nach Ekstase Treiber des Menschseins, aber andere Lebensqualitäten kommen hinzu. Gesundheit, Ruhe, die Flucht vor überhitzten Städten und Vertrauen sind das Gegenmodell zur touristischen Hyperparty.
Während der letzten Jahre dominierten sehr kurze und kostspielige Aufenthalte voller Erleben. Wenige, aber superaktive Tage in den Bergen oder in Partystädten wie Barcelona oder Amsterdam schienen zu genügen. Das Bad in der Menge war Teil des Konzepts. Diejenigen, die das nicht wollten, wollen es jetzt noch weniger. Andere widerwillige Mitläufer (respektive Mitsäufer) werden ebenfalls zu Hause bleiben. Jetzt gilt es, über längere Auslastungszeiten und Nebensaisons nachzudenken, über Gäste, die im Urlaubsort arbeiten, also dort auch wohnen und an der Gemeinschaft partizipieren wollen, über Familien, die Ruhe abseits von Beruf und Digitalisierung suchen, und über jene stetig grösser werdende Gruppe, die aktiv nachhaltige Konzepte einfordert.
Ökologische und soziale Nachhaltigkeit sind längst keine Randthemen mehr. Gäste, die gesundes, lokales, saisonales Essen verlangen, sind so ernst zu nehmen wie Allergiker, Menschen mit Unverträglichkeiten oder einst Nichtraucher. Auch die Verwendung von weniger giftigen, biologisch abbaubaren Putz- oder Waschmitteln (für die Bettwäsche), die Vermeidung von Müll oder sparsame Energie- und Mobilitätskonzepte werden in naher Zukunft gefragt sein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Buchungs- und Bewertungsplattformen grüne Punkte vergeben. Nachhaltigkeit wird das Qualitätskriterium der Zukunft. Daran führt kein Weg vorbei. Nachhaltigkeit wird demnächst auch von Gesetzgebern eingefordert werden. Ursula von der Leyens «Green Deal» ist ein Vorgeschmack. Ob sich ein Gastlichkeitsbetrieb für oder gegen Nachhaltigkeit entscheidet, ist auch eine Frage des künftigen wirtschaftlichen Überlebens.
Ein Beispiel: Während des Lockdowns überdachten wir das Konzept des Frühstücksbuffets – eines Auswuchses der Gier. Die Gäste lieben den paradiesischen Anblick der Überfülle. Gastronomen glauben an das Märchen, mit Buffets Kosten sparen zu können. Personalkosten sind bekanntlich das Schlimmste, Menschen für ihre Arbeit zu entlöhnen, gilt als Grundübel unserer Zeit. In Wahrheit wird bei Buffets so viel Essen weggeworfen, dass die verschwendeten Kosten die Einstellung von mehr Personal erlaubten. Zudem verbraucht der Gast bei Frühstücksbuffets durchschnittlich vier komplette Gedecke, die weggeräumt und gereinigt werden müssen.
Für das Hotel Loisium in Niederösterreich entwickelten wir ein serviertes Frühstück ohne Verzichtsverdacht. Der begehrte Anblick der Fülle wurde durch ein gestaltetes Arrangement aus Obst und Gemüse ersetzt. Ein Hingucker. Das reicht. Das Personal serviert sorgfältig angerichtete Spezialitäten aus der Region. Der Wert des Essens steigt. Und Wertschätzung mindert die Bereitschaft zur Verschwendung oder zur Vernichtung. Es funktioniert: Gastronomie kann viel erreichen.