Trommelwirbel für Lässigkeit

Eine Gastronomie, die für unverwechselbare Erlebnisse sorgt, ist ein Schlüssel für den Erfolg eines Hotels. Während man die Chance hierzulande oft mutlos verstreichen lässt, zeigen Amsterdams Luxusherbergen, wie es geht.
Text: Wolfgang Fassbender – Fotos: Aeypix – Shutterstock.com, z. V. g.
Veröffentlicht: 29.08.2023 | Aus: Salz & Pfeffer 4/2023

Man versucht gar nicht erst, Etepetete-Gourmetrestaurant zu spielen.

Taiko nennt man in Japan die Trommel. Die dicke Trommel, um genau zu sein. Und die ist nicht nur im virtuellen Sinne da, im Namen des Restaurants, die schlägt tatsächlich jemand, nicht übertrieben laut, aber deutlich und willkommen heissend, sobald sich Gäste dem Eingang nähern. Ein Mitarbeiter wurde eigens zu diesem Zweck engagiert. Und es nähern sich viele an diesem Sommerabend. Ein Samstag, der letzte Tag vor den Betriebsferien im August. Touristen und Touristinnen sind zwar nicht ganz so viele da wie zu anderen Jahreszeiten, aber doch noch eine ganze Menge. Und wenn die genug davon haben, all die Klischees abzuarbeiten, sich sattgesehen haben an Coffeeshops, Käseläden und Rotlichtviertel-Schaufenstern, sind sie vielleicht hier. Bei Schilo van Coevorden, dem Küchenchef des Taiko.

Viel herumgekommen in Asien sei der, erfährt man, aber das ist wohl nur die halbe Wahrheit. Die ganze könnte lauten, dass man in den Niederlanden von Kindesbeinen an in Kontakt kommt mit fernöstlichen Aromen, der kolonialen Vergangenheit sei Dank. Schon als Zehnjähriger sass der Autor dieses Artikels ja bei indonesischen Reistafeln in Venlo oder Rotterdam und fragte sich erstaunt, warum die deutschen Wirtinnen und Wirte Vergleichbares nicht ansatzweise hinbekamen.

Doch im Taiko, dem Restaurant mit dunklem Holz und Backsteinwänden, geht es nicht um Reistafeln, sondern um eine subtile Verbindung von Fernem und Nahem, vor allem aber um lässigen Charme. Fusionsküche mit leichter Hand und mitnichten als Alibi, um bei der Authentizität der aus Fernost importierten Zutaten zu mogeln. In dem monumentalen Hotel Conservatorium, das einst die Postbank beherbergte und sich dann zum Musikkonservatorium sowie schliesslich zum Hotel wandelte, funktioniert Lockerheit prima. So wie überall in den Niederlanden. Man versucht gar nicht erst, Etepetete-Gourmetrestaurant zu spielen. Die Tische stehen nicht zu weit auseinander, Kundinnen und Kunden wirken fröhlich, Krawatte und Abendkleid trägt niemand.

Diese lockere Selbstverständlichkeit allerdings beinhaltet sehr wohl einen Sommelier, der sich bei Sake auskennt. Nicht weniger als zehn japanische Reisweine stehen auf der Karte im Offenausschank, Sparkling, Honjozo, Junmai. Sagen einem nicht die Gastronomen und Gastronominnen der Schweiz, dass so etwas nicht funktioniere? Könne man nicht verkaufen, weil die in der einmal geöffneten Flasche schnell verdürben. Also bietet man lieber nur einen an. Oder gar keinen. Vorsichtshalber. Und wundert sich dann, warum keiner nachfragt und die Gäste lieber anderswo einkehren.

Zum Glück scheinen die Bedenkenträger in Amsterdam in der Minderheit zu sein. Die Macherinnen überwiegen. Also jene, die unter Fusion nicht immer nur Wasabi und Wagyu verstehen, auf Nummer sicher gehen, den Gast nicht verprellen wollen. Die asiatischen Küchen bieten ja doch eine ganze Menge mehr – und niemand glaubt hier, dass man beim Thema Fusion ausschliesslich Japan berücksichtigen dürfte. Da wäre zum Beispiel Pani Puri, jener auf den Strassen verkaufte Schnellimbiss Indiens oder Pakistans. Selten zu bekommen in der europäischen Gastronomie, weil ja kaum ein hiesiger Koch respektive eine hiesige Köchin Ahnung davon hat, wie man die Teighülle so zubereitet, dass diese erstens geschmacklichen Eindruck macht und zweitens den Gaumen erreicht, bevor sich der Crunch aufgelöst hat. Hier gelingt beides, weil Taschenkrebs und Mais erst im letzten Moment zugefügt wurden. Kaisergranat wiederum ist mit Chili im thailändischen Stil so kombiniert worden, dass die Textur der Krustentiere nicht überdeckt wird. Klar, dass die Tiere von hier stammen: Die Frische von Fisch und Co. gilt im Nordseeanrainerstaat als Ehrensache. Auch das Lamm ist von hier. Mit Szechuanpfeffer wurde es angereichert, sanft grilliert, saftig und knusprig serviert. Der Minitischgrill mag eher unter Show einzustufen sein, aber schaden tut er nicht. Weil alle lächeln und schwatzen, und weil der Sommelier beweist, dass kraftvoller Daiginjo auch zu Fleisch passt, ist die Stimmung immer noch exzellent.

Schilo van Coevorden: Der Taiko-Küchenchef kombiniert asiatische und europäische Aromen viel mutiger als viele Kollegen – und lässiger auch.
Taiko Bar
Taiko Bar
Jacob Jan Boerma: Der einstige Drei-Sterne-Koch steht nicht selbst am White-Room-Pass, inspiriert aber Küchenchef Tristan de Boer – und die Gäste.
The White Room
The White Room

Apropos Lamm. Jenes Fleisch, das ja in vielen Schweizer Restaurants nicht mehr als mehrheitsfähig gilt, ist auch bei Jacob Jan Boerma zu haben. Nicht mal einen Kilometer Luftlinie entfernt, noch zen- traler, mitten im Amsterdamer Geschehen. In einem ähnlich historischen Rahmen. Das Grand Hotel Krasnapolsky steht mehr noch als das Conservatorium für die klassische Hotelkultur der Stadt. In den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts wurde es vom deutschen Einwanderer Adolph Wilhelm Krasnapolsky nach und nach zum Grand Hotel ausgebaut, wech- selte später den Besitzer, wurde achtsam renoviert. Dass es über 400 Zimmer und Suiten besitzt und sich einen Namen als Ort für Konferenzen gemacht hat, merkt man kluger Raumaufteilung wegen nicht mal, wenn man drinnen ist. Dass es über den schönsten Hotelwintergarten der Niederlande verfügt, bekommt man dann aber schnell mit.

Und wie schön das Restaurant The White Room ist, wird ebenfalls im Nu klar. Ob die Gäste nun des Ambientes wegen kommen – Stuck, Kristalllüster – oder weil ihnen der Name Boerma was sagt, bleibt dahingestellt. Der Signature-Chef des Hauses gilt als halbe Berühmtheit, hat sich die drei Sterne des Guide Michelin für sein inzwischen geschlossenes Restaurant De Leest erkocht und im White Room seinen Schüler Tristan de Boer als Küchenchef eingesetzt. De Witte Zaal nannten sich die Räumlichkeiten schon 1885. Aufgefrischt wurden sie, um ein bisschen goldene Kontraste ergänzt, doch die altehrwürdigen Grundzüge sind geblieben. Ein historischeres Restaurant soll es im ganzen Land nicht geben, erzählt man. Warum also als Hotelgast auf die Strasse gehen und nach der Konkurrenz schauen?

Fusionsküche darf man die Boerma-Stilistik ruhig auch nennen, und dass das White Room ein Gesamterlebnis bietet, ist nicht zu bestreiten. Vom Stern, den der Michelin dagelassen hat und den das Taiko nicht besitzt, sollte sich indes niemand irritieren lassen. Lässigkeit ist auch hier Trumpf, und die 139 Euro für das grosse Menü wirken fair. Die asiatischen Einflüsse sind ein bisschen subtiler als drüben im Taiko, dabei aber nicht weniger animierend. Niederländisches Lamm mit Fa Chong, dem aus Surinam bekannten Pfeffer. Rotbarbe mit Tonkabohnen und Kimchi. Und man erfährt auch, dass Baharat, die aus dem arabischen Raum nicht wegzudenkende Gewürzmischung, perfekt mit Schwertmuscheln harmoniert.

Sake könnte da und dort auch passen, doch den gibt es hier nicht. Wine-Fusion bedeutet im Falle des White Room, dass Bram Hommes und Joanne van de Werken, Sommelier und Sommelière, fröhlich Deutschland, Frankreich und Übersee mischen und die aufstrebende niederländische Weinkultur einstreuen. Und dass man glasweise das offeriert, was einem die Hotels in der Schweiz nur selten bieten. Exzellenter Port glasweise und erschwinglich? Das gehe nicht, schimpfen ja hiesige F&B-Manager gern. Doch, es geht. Das gut gefüllte Glas des 20 Jahre alten Graham’s zu 15 Euro. Zu Avocado mit Ziegenjoghurt und Kiwi, irgendwie auch ein Fusionsdessert, würde allerdings eine 20 Jahre alte Gewürztraminer-Auslese von Trimbach aus dem Elsass besser passen. Kaum mehr als 50 Euro für die halbe Flasche süsse Rarität: ein Klacks.

Im Taiko werden inzwischen die nächsten Gänge serviert. Nach dem Lamm kommen Rhabarber, Erdbeeren und Shiso. Leicht und erfrischend. Und irgendwann erscheint ein Kellner und warnt. Achtung, gleich werde es eine Musikdarbietung geben. Tatsächlich, der Trommler vom Eingang macht klar, dass er mehr draufhat als paukend Hallo zu sagen. Fünf Minuten lang zeigt er, was sich aus der Trommel herausholen lässt. Aus der dicken Trommel. Draussen, im sommerlichen Amsterdam, regnet es derweil. Aber auch bei Sonnenschein würde wohl kaum einer der Gäste Gründe sehen, noch mal vor die Tür zu gehen.

Taiko
Conservatorium Hotel, Paulus Potterstraat 50, 1071 DB Amsterdam, Niederlande, +31 20 570 0000, taikocuisine.com

The Withe Room
Anantara Grand Hotel Krasnapolsky, Dam 9, 1012 JS Amsterdam, Niederlande, +31 20 554 9454, restaurantthewhiteroom.com 



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