Immer mit Herz

Als Wirtin müsse man sich mit den Gästen menschlich verbinden, sagt Renate Steiner. In ihrem Lokal Chez Renate in Einsiedeln hat sie dafür die perfekten Bedingungen geschaffen.
Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 04.04.2023 | Aus: Salz & Pfeffer 2/2023

«Ich bin definitiv in Einsiedeln angekommen, vor allem hier, im eigenen Restaurant.»

Nehmen wir für einen Moment an, das Kochhandwerk würde nicht existieren. Was wäre aus Ihnen geworden?
Renate Steiner: Künstlerin vielleicht. Auf jeden Fall etwas, das viel Freiraum zulässt. Neben dem Kochberuf gab es für mich eigentlich nie eine Alternative. Zuerst wollte ich zwar Bäckerin-Konditorin werden, fand aber keine Lehrstelle. Als ich dann die Kochlehre begann, war ich hin und weg, es war für mich das Grösste.

Ihre Lehre absolvierten Sie im Wyssen Rössli in Schwyz. Wie war das?
Mein damaliger Lehrmeister war sehr streng. Zwar nahm er sich Zeit, um uns das Handwerk von Grund auf beizubringen, aber heute könnte man mit den Leuten nicht mehr so umgehen. Damals wars halt so. Trotzdem hat mich das Ganze fasziniert. Und ich habe viel gelernt. 

Sie wuchsen auf einem Bauernhof auf. Inwiefern hat Sie das geprägt? 
Man kriegt viel mit, wenn man seine Kindheit auf einem Bauernhof verbringt. Wir hatten Kühe, Obst und Chriesi. Früher schlachteten wir auch noch direkt auf dem Hof, produzierten Blutwürste und was sonst noch dazugehört. Meine Mutter ist eine sehr gute Köchin. Als Kind schaute ich ihr oft zu und half mit. Wenn ich von der Schule kam, durfte ich etwa die Salatsauce herstellen. Sie liess mich immer gewähren, auch wenns nachher nicht so sauber aufgeräumt war. Wir machten auch viel ein, Bohnen und Birnen zum Beispiel. Das mag ich heute nicht mehr so sehr. Ich koche am liebsten mit frischen Zutaten – und dann muss alles weg.

Vor fünf Jahren eröffneten Sie das Chez Renate. Wie lautet Ihr Fazit?
Ich bin definitiv in Einsiedeln angekommen. Vor allem hier, im eigenen Restaurant. Davor hatte ich während acht Jahren das nur zwei Häuser entfernte Gasthaus Meinradsberg geführt. Aber dort war ich halt nur eingemietet. Das Chez Renate ist meins und genauso, wie ich es haben will. Das ist ein komplett anderes Gefühl. Und ich trete hier auch völlig anders auf als vorher. Es fühlt sich an wie mein Zuhause. Und meine Gäste kommen mich besuchen. 

Wenn Sie nun jemand noch nicht kennt: Was würde Sie am treffendsten beschreiben?
Das Kochen ist der eine Aspekt, aber ich habe auch sehr gerne Menschen um mich herum. Deshalb denke ich, dass sich die Leute wohl bei mir fühlen. Das Herz ist immer dabei, das Menschliche ist gegeben.

Bevor Sie das Chez Renate eröffneten, hatten Sie sich eine Auszeit genommen. Warum?
Nach dem Engagement im Meinradsberg wusste ich eine Weile nicht, wie es weitergehen soll, ob ich überhaupt im Gastgewerbe bleiben will oder nicht. Ich unternahm dann eine Reise nach Südamerika. Als ich zurück war, half ich bei Beat Walkner in Gurtnellen aus. Die Räumlichkeiten hier standen schon eine Weile leer. Irgendwann entschloss ich mich, es einfach zu wagen. 

Wie haben Sie die Pandemie er- und überlebt?
Da rasselten wir voll hinein. Es war nicht einfach, der Betrieb war neu, ich hatte viel investiert und durchaus Existenzängste. Aber es ist am Schluss wirklich gut herausgekommen. Wir wurden stark unterstützt. Aber das Ungewisse während der Pandemie war nicht einfach. Wir hatten Glück, dass das Lokal vom ersten Tag an, als wir wieder aufmachten, voll war. 

Woher kommen Ihre Gäste?
Ich habe viele Einheimische aus Einsiedeln, Steinen, Schwyz und Umgebung. Aber auch Zürich ist nicht weit entfernt. Und klar bringt uns das Kloster Gäste, nicht die Pilgerinnen und Pilger, aber viele andere. Einsiedeln ist super, weil es viel bietet. Man kann hier wandern, Ski oder Velo fahren. Und das spüren wir an der Laufkundschaft.

Kochtechnisch haben Sie im Chez Renate eine Schippe draufgelegt.
Bei Beat Walkner habe ich nochmals viel gelernt. Ich koche sicherlich feiner als vorher und auch frecher. Trotzdem sind es klassische Kombinationen, gerne auch alte Gerichte wie Hafechabis oder Kutteln, etwas anders interpretiert. Dann schaue ich darauf, Produkte aus der Region zu verwenden, etwa Gotthard-Zander aus Erstfeld, aber auch eine Jakobsmuschel muss Platz haben, finde ich. 

Orangen-Fenchelsalat an Honig-Senf-Vinaigrette mit Jakobsmuschel
Schweinsfilet im Speckmantel, gebratener Gotthard-Zander mit Gummelstunggis und Frühlingsgemüse
Rhabarbermousse mit Yuzusorbet und Schafbockglace

Im Gault & Millau sind Sie aktuell mit 15 Punkten bewertet. Wie finden Sie das?
Die Auszeichnungen kamen total überraschend. Damit habe ich nie gerechnet und auch nicht darauf hingearbeitet. Es kam also von allein, ist aber natürlich nett. 

Setzt Sie das unter Druck?
Im Gegenteil: Ich geniesse es. Ich habe mir früher schon Mühe gegeben und viel gearbeitet, kriegte aber nie die Wertschätzung, die ich jetzt erlebe. Es ist nicht selbstverständlich, dass jemand eine Stunde mit dem Auto fährt, um bei mir zu essen. Aber man muss sich auch menschlich mit den Gästen verbinden. Die Punkte allein nützen letztlich wenig. Meine Gäste kommen ein Stück weit auch wegen mir ins Restaurant. Ob ich nun 14 oder 15 Punkte habe, ist da egal. 

Was fasziniert Sie am Gastgewerbe?
Die Leute, das Gesellige. Ich bin sehr gerne die Gastgeberin, die Wirtin. Ich sitze auch mal noch zu den Gästen hin, wechsle ein paar Worte. Mitunter das Schönste ist das Lob, das man als Köchin kriegt. Von dem lebe ich. Ein Restaurant ist so viel Arbeit, da frage ich mich manchmal, wieso ich das mache. Aber die Wertschätzung der Leute, das kriegt man in einem Bürojob nicht. 

Zusammen mit einem Koch sowie zwei Küchenhilfen bespielen Sie 40 Plätze. Das ist beachtlich.
Vor allem, wenn um halb sieben 40 Gäste miteinander ins Restaurant kommen und à la carte bestellen. Dann geben wir zwei Stunden lang Vollgas. Man muss gut vorbereitet sein. Und der Kick vom Adrenalin hilft ebenfalls. Genau diese Herausforderung mag ich. 

Ist der Fachkräftemangel für Sie ein Thema?
Ich habe es noch gut, weil der Betrieb klein ist. Für andere ist es viel schwieriger. Ich suche zwar regelmässig eine Aushilfe im Service, hatte aber auch Glück. Letzten Dezember kam etwa ein Koch vorbei und fragte, ob ich eine Stelle frei habe. Er war vorher bei Franz Wiget im Restaurant Adelboden. Als dieser schloss, suchte er ein Restaurant in der Region. Seither ist er bei uns.

Wo holen Sie sich Ihre Inspiration?
In den Ferien, wenn man Zeit hat, um an andere Dinge zu denken. Dann kommt auch die Kreativität zurück. Wenn man immer im gleichen Trott ist, gehen einem irgendwann die Ideen aus. Für mich ist die Natur die grösste Inspiration. Ich freue mich immer auf die nächste Saison. Nach einem Monat habe ich es dann gesehen, dann brauche ich etwas Neues.

Sie spüren in Ihrer Freizeit also nicht ständig neuen Produzenten nach?
Ich studiere nicht den ganzen Tag daran herum, was ich noch alles kochen könnte. Da fahre ich lieber mit dem Motorrad über ein paar Pässe. Mittlerweile kommen Produzenten auch zu mir. Das ist sicher eine Konsequenz der Punkte und für mich nicht nur schön, sondern auch das Einfachste. 

Was ist Ihr grösster Wunsch?
Den habe ich mir mit dem Chez Renate bereits erfüllt. Das Ding ist durch, erledigt. Diesbezüglich bin ich ganz entspannt.

An bester Lage 
Renate Steiner (50) wuchs als jüngstes von drei Kindern auf einem Bauernhof in Steinen auf. Nach der Kochlehre arbeitete sie unter anderem im Restaurant Hörnli in Küssnacht, im Ratskeller in Schwyz sowie im Restaurant Stäfel in Hoch-Ybrig. Mit 27 Jahren machte sie sich in einem Bistro in Schwyz selbstständig. Elf Jahre später zog die passionierte Motorradfahrerin nach Einsiedeln und übernahm das Gasthaus Meinradsberg, das sie wiederum während acht Jahren führte. 2018 eröffnete Steiner direkt am Klosterplatz das zurzeit mit 15 Gault-Millau-Punkten dotierte Restaurant Chez Renate. 

Chez Renate, Ilgenweidstrasse 6, 8840 Einsiedeln, 055 412 70 70, chezrenate.ch 



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