Sie heuerten aber schon auch in Tophäusern an: Was lernten Sie da?
In der Traube Tonbach das altehrwürdige, klassische, krass hierarchische Kochen; da war alles von unten bis oben durchstrukturiert. Die coolste und wahrscheinlich prägendste Station war London: Die Arbeit bei Nuno Mendez und Küchenchef Leandro Carreira im Viajante war total kreativ, jeder konnte sich einbringen, das war sehr schön.
Was soll denn ein Koch, der bei Ihnen gearbeitet hat, am Ende unbedingt mitnehmen?
Die Erkenntnis, dass man auch auf dem Level, auf dem wir hier kochen, menschlich arbeiten kann. Das haben so manche Köche noch nicht verstanden. Wir pflegen hier ein gutes Miteinander, das ist mir wichtig. Technisch mag es versiertere Küchen geben als unsere. Aber menschlich? Da können nicht viele mithalten.
Worauf schauen Sie, wenn Sie einen Mitarbeiter einstellen?
Zuerst auf den Charakter. Ich kann keinen einstellen, der fachlich total begabt ist, aber charakterlich, sagen wir mal, Missstände hat. Da ziehe ich Menschen vor, die keine Sterne-Erfahrung mitbringen, mir aber signalisieren, dass sie hier wirklich arbeiten wollen. So jemand passt besser zu uns als einer, der hochnäsig durch die Küche rennt.
Das sehen Sie einer Bewerbung aber nicht automatisch an.
Deshalb arbeitet bei uns jeder Kandidat einen Tag zur Probe. Wie gut einer kochen kann, wissen wir dann immer noch nicht, aber menschlich ist vieles klar. Wir haben das Glück, dass wir nicht nur viele, sondern qualitativ auch wirklich gute Bewerbungen erhalten und auswählen können. Aufgrund der Corona-Krise sind momentan Leute frei, die in den besten Läden gearbeitet haben. Dass sie sich dafür interessieren, was wir hier machen, ist für mich eine der wichtigsten Bestätigungen dafür, dass wir gut arbeiten.
Wie stark dürfen sich Ihre Mitarbeiter ins Menü einbringen?
Jeder so viel, wie er kann und möchte. Natürlich habe ich das letzte Wort, ich muss ja für das Resultat geradestehen. Aber ich sage jedem Gast, dass nicht alles von mir ist. Es ist blauäugig zu glauben, dass sich ein Mensch allein ein ganzes Menü ausdenkt. Das ist Teamarbeit. Und zu einem Team gehören verschiedene Menschen, mit mehr oder weniger Engagement und Können. Wir versuchen, auch jene Mitarbeiter, die sich von selbst aus vielleicht nicht unbedingt einbringen, ein Stück herauszufordern.
Seit kurzem steht in Ihrer Küche ein Chef’s Table. Wie hat das die Arbeit verändert?
Gar nicht. Wir sind nicht netter, weil da jetzt ein Gast sitzt, oder drehen die Musik leiser. Genau das ist für den Gast ja cool: Er sitzt geschätzte zwei Meter vom Herdblock entfernt und kann dem vollen Treiben zuschauen. Noch näher, und er müsste eine Schürze tragen. Für jemanden, der mit der Materie nichts zu tun hat, ist das schon ein Erlebnis.
Beobachten Sie den Gast?
Nicht, was seine Reaktion aufs Essen angeht. Aber im Hinblick auf die Abläufe, ja. Der Service macht mit dem Chef ’s Table den grössten Spagat, und da übernehmen wir in der Küche einen Teil. Wir servieren hier zum Beispiel alle Gänge selbst oder tragen auch mal die Teller ab.
Sie und Ihr Team sind überhaupt auffällig oft beim Gast am Tisch.
Das gehört dazu. Es geht in der heutigen Sterne-Gastronomie ja auch darum, Geschichten zu erzählen. Sie machen das Essen emotionaler, und sobald Gefühle im Spiel sind, schmeckt es einfach besser. Man sollte aber nicht übertreiben. Wir sagen am Tisch kurz, was auf dem Teller liegt, und vielleicht noch, woher es kommt. Wer weitere Fragen hat, kann sie jederzeit stellen. Bei uns wissen die Mitarbeiter in Küche und Service gleichermassen bis ins Detail Bescheid und kennen im Zweifelsfall auch den Namen des Rinds, welches für das Menü verarbeitet wurde. Das sagen sie am Tisch nicht zwingend. Wenn aber einer fragt, kennen sie die Antwort.
Eine Feinheit, die gut ins Haus passt: Man attestiert auch Investor Remo Stoffel eine ausgeprägte Liebe zum Detail sowie ein kompromissloses Qualitätsdenken. Wie viele Vorgaben haben Sie in Ihrer Arbeit eigentlich?
Die Gäste glücklich machen: Das ist die Prämisse. Dabei lässt uns Remo Stoffel viel Spielraum. Gut möglich, dass es auch das ist, was mich seit sechs Jahren hier oben hält. Ich darf mich experimentell ausleben.
Sie bleiben also?
Ich habe nichts anderes vor. Denn seien wir ehrlich: So ein Job, wie ich ihn hier habe, ist schwer zu finden.