Ihre Abwesenheit in der Küche hat noch einen weiteren Grund.
Genau. Wir befassen uns schon seit einer Weile mit modernen Organisationsformen und arbeiteten unter uns Pächtern von Beginn an mit flachen Hierarchien. Momentan erweitern wir diese Struktur auf den ganzen Betrieb. Wir sind überzeugt, dass ein Team, in dem sich alle auf Augenhöhe begegnen, mehr Potenzial hat als eins, in dem eine Person bestimmt, was zu tun ist – zumal meine Mitarbeiter alle grossartige Charaktere sind, die ihr Herz am rechten Fleck haben, gern arbeiten und bereit sind, dabei einen Teil von sich preiszugeben. Sie streben nicht verbissen nach institutioneller Anerkennung, sondern wollen schön kochen und Freude bereiten. Ich habe grosses Vertrauen in ihre Arbeit.
Inwiefern läuft das bei Ihnen nun anders?
Wir haben die klassischen Küchenchefarbeiten aufgeteilt: Dienstpläne, Menüentwicklung, Bestellungen. Traditionell ist die Küche ja sehr hierarchisch aufgebaut, bei uns gibts nun Kompetenz- und Verantwortungsbereiche. Kürzlich führten wir als Team einen Workshop durch, in dem wir nicht nur die Ziele für die nächsten drei Jahre definierten, sondern eben auch diese Bereiche zuteilten.
Wie ging das vonstatten?
Im Vorfeld hatte jeder einen Monat Zeit, um zu überlegen, was er bei der Führung einer Küche wichtig findet. Im Workshop sammelten wir unsere Erkenntnisse, beschrieben Hunderte von Post-its, sortierten, werteten aus – und hatten am Ende vier Bereiche festgelegt: Unterstützung, Organisation, Entwicklung und Ordnung. Die Zuständigkeiten ordneten wir gemeinsam zu; den Persönlichkeiten und Interessen entsprechend.
Nämlich?
Für die Ordnung – in der Küche wie im Geist – ist André Bento zuständig. Er kennt nicht nur die Abläufe besser als jeder andere, sondern sorgt in Momenten, in denen wir anfangen rumzublödeln, ohnehin immer dafür, dass wir uns fokussieren. Ein klarer Fall war auch, dass Sinan Guhmann die Entwicklung übernimmt: Er steckt voller Ideen und ist extrem kreativ, sein Feuer lodert und er bringt ständig neue Impulse ein. Cédric Campera hat den Gesamtüberblick und grosses organisatorisches Talent. Er kümmert sich im Bereich Unterstützung um allerhand Administratives, um die Dienstpläne beispielsweise, die Bestellungen oder die Lagerbewirtschaftung Und ich bin für den Bereich Organisation zuständig: also für generelle Strukturen und Abläufe, die Planung von Events oder den Einsatz der Infrastruktur.
Der Rechberg ist ja ein Projekt unter Freunden: Ihre Mitpächter kennen Sie seit vielen Jahren. Ist da eine berufliche Zusammenarbeit eine gute Idee?
Ja, weil das Vertrauen stimmt: Am Ende lieben wir uns – manchmal sogar so fest, dass wir uns an die Wand klatschen könnten. Nein, im Ernst: Es ist wirklich toll. Wir entwickeln uns gemeinsam weiter und die Zusammenarbeit ist für uns alle inspirierend.
Ihre Ausrichtung indes wirkt recht konstant.
Unser Konzept – dass wir uns am Baujahr des Gebäudes, 1837, orientieren – bleibt, ja. Wir zelebrieren die Nähe zur Saison und zum Produkt, die damals gegeben war, verzichten auf Hilfsmittel sowie verarbeitete Produkte, verkochen nur ganze Lebensmittel und kaufen lokal ein. Im Rechberg bekommt der Gast keine Schokolade, und wir kennen jede Zutat, die wir brauchen, genau – vom Salzkorn bis zum Evolèner. Wir wissen, wie unsere Produzenten arbeiten, und beschäftigen uns mit dem Thema Landwirtschaft. So lernen wir dazu – was automatisch dazu führt, dass wir uns verändern. Wir werden konsequenter, gefestigter. Wir sagen öfter Nein. Seien wir ehrlich: Was wir tun, ist aufwendig und finanziert keinen Ferrari. Uns allen ist aber die Freiheit wichtiger, nachhaltig und fair zu wirtschaften. Wir kochen, woran wir glauben, kaufen Teller von Helga Ritsch und bieten unseren Musikern eine anständige Gage. Die Verbindung von Kulinarik und Kunst, insbesondere Jazzmusik, ist im Rechberg ein gewichtiges Thema.
Wie kommts?
Es ist im Rahmen unserer Events, bei denen Musik und Essen in Verbindung treten, wahnsinnig spannend, zu sehen, wie nah sich die Schaffungsprozesse sind. Ob in der Musik oder Malerei, beim Schreiben oder Kochen: Man drückt sich aus, wenn auch mit anderen Perspektiven. So gesehen: Mein Instrument ist der Herd!
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Es mag kitschig klingen, aber ich mag das Stück «So What» von Miles Davis sehr gern. Man versteht es auch ohne grossen Bezug zur Musik. Im Rahmen des Auftritts des Marcio de Sousa Electric Trio im Rechberg kochten wir dazu ein Gericht. In der Besprechung mit den Künstlern arbeiteten wir heraus, dass im modalen Jazz eine Abfolge von Tönen in verschiedenen Höhen nacheinander gespielt wird. Daran orientierten wir uns auf dem Teller: Wir kochten Rind, Rande und Sellerie, jede Komponente dreimal, in jeweils verschiedenen «Tonlagen» – also Konsistenzen. Da stand etwa ein kaltes Selleriepüree für die sphärische Basis, während das warme, geröstete Pendant die tiefere Tonlage spiegelte. Solche Kooperationen beflügeln mich total: Sie bedingen, dass man über die eigene Kunst, Herangehensweise und Machart redet. Das mag sich wie ein Striptease anfühlen, inspiriert aber extrem – und zeigt oft, wie ähnlich man sich ist.