Von Einzelkämpfern zur Einheit

Die junge Schweizer Foodtruck-Szene wĂ€chst rasant. Gerade deshalb mĂŒsse sie sich formieren, sagt Andreas Seiler – und hat fĂŒr die Branche einen eigenen Verband gegrĂŒndet.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 11.10.2022 | Aus: Salz & Pfeffer 5/2022

«Es braucht mehr StandplÀtze, ganz klar.»

Lassen Sie uns zu Beginn eine entscheidende Frage klÀren: Was ist ein Foodtruck?
Andreas Seiler: TatsĂ€chlich existiert keine offizielle Definition, so wie es auch fĂŒr Streetfood keine gibt. Als Verband haben wir das Ganze aber wie folgt formuliert: Ein Foodtruck ist ein Fahrzeug oder ein AnhĂ€nger mit einer KĂŒche oder einem Tresen zur Food- oder GetrĂ€nkeausgabe, der an wechselnden Standorten durch wenige, aber hochwertige Gerichte zu ĂŒberzeugen vermag. Seine RĂ€der lassen sich nicht abmontieren. FĂŒr uns als Verband ist es wichtig, eine klare Umschreibung zu haben – gerade im Hinblick auf die Aufnahme von neuen Mitgliedern.

Welche weiteren Vorgaben gibt es? 
Wir halten uns an einen Kodex, der nicht nur festlegt, wie wir uns untereinander als Mitbewerberinnen und Mitbewerber verhalten, sondern auch gegenĂŒber der Kundschaft. Weil wir das Verbandslogo auch als QualitĂ€tssiegel verstehen, das unsere Mitglieder in ihrer eigenen Kommunikation nutzen dĂŒrfen, sind verbindliche Standards zentral. 

Ein Kriterium ist die QualitÀt des kulinarischen Angebots. Wie messen Sie das?
Bei den meisten Bewerberinnen und Bewerbern kennen wir im Vorstand das Angebot bereits; wir bewerten unter anderen Kriterien wie das Erscheinungsbild, die Hygiene und die FoodqualitĂ€t. Im Zweifelsfall mit einem Augenschein vor Ort oder einem Testessen. Bislang hatten wir in dieser Hinsicht jedoch noch nie ein Problem. Im Gegenteil: Wenn sich eine Unternehmerin oder ein Unternehmer um die Verbandszugehörigkeit bemĂŒht, zeugt das von einer gewissen Ernsthaftigkeit. Dann stimmt in der Regel auch die QualitĂ€t des Essens.

Warum braucht die Foodtruck-Szene in der Schweiz ĂŒberhaupt einen eigenen Verband?
Weil die mobile Gastronomie andere AnsprĂŒche als die stationĂ€re hat, ist auch eine eigene Verbandsstruktur wichtig. Zusammenfassend kann man sagen, dass sich viele Foodtruck-Betreibende von den bestehenden VerbĂ€nden nicht ausreichend vertreten fĂŒhlten.

Welches Anliegen ist fĂŒr die Branche aktuell denn besonders dringend?
Es braucht mehr StandplĂ€tze, ganz klar. In der Schweiz sind zurzeit schĂ€tzungsweise zwischen 600 und 700 Foodtruck-Unternehmen aktiv, und im Vergleich dazu existieren sehr wenig offizielle StandplĂ€tze auf öffentlichem Grund, die sie anfahren dĂŒrfen. In Basel zum Beispiel gibt es ein stĂ€dtisches Projekt, was an und fĂŒr sich toll ist – aber die bewilligten Standorte werfen nicht genug Umsatz ab. NĂ€chstes Jahr ist in Biel ein spannendes Projekt geplant. GrundsĂ€tzlich ist die Westschweiz etwas liberaler, was StandplĂ€tze im öffentlichen Raum angeht. In Luzern scheiterte kĂŒrzlich ein Foodtruck-Projekt, in ZĂŒrich gab es diesen Sommer beim Platzspitz erstmals etwas Offizielles – allerdings lediglich zeitlich begrenzt und in meinen Augen mit zu vielen Trucks aufs Mal. Es ist etwas schade, dass wir hier im Vorfeld nicht um Rat gefragt worden waren. Und sonst? An privaten Standorten passiert deutlich mehr: Unternehmen, Schulen und Institutionen holen sich ĂŒber Mittag ein Verpflegungsangebot aufs GelĂ€nde.

Besonders prominent tritt die mobile Gastronomie an Streetfood-Festivals in Erscheinung. Welchen Stellenwert haben solche Events fĂŒr die Branche?
Es gibt drei Hauptdisziplinen, mit denen sich am meisten Geld verdienen lĂ€sst: das TagesgeschĂ€ft, ĂŒber das wir jetzt hauptsĂ€chlich geredet haben, dann eben öffentliche Events wie Streetfood-Festivals und schliesslich private Caterings, quasi die Königsdisziplin. Manche Betriebe sind nur im einen oder anderen Feld tĂ€tig, die meisten setzen aber auf einen Mix. Diese Diversifizierung ergibt Sinn, das zeigte auch die Pandemie: Events und Caterings brachen schnell weg, wĂ€hrend das TagesgeschĂ€ft weiterlief. Wobei das von aussen erfolgreicher aussah, als es fĂŒr viele tatsĂ€chlich war: Foodtrucks durften als Take-away-GeschĂ€fte zwar öffnen, ihr Angebot ist allerdings auf die Verpflegung der auswĂ€rts arbeitenden Bevölkerung ausgerichtet – und diese blieb ja mehrheitlich daheim.

Apropos Pandemie: Sie fĂŒhrte dazu, dass sich viele Menschen von ihrer Arbeit im Gastgewerbe abwendeten. Gilt das auch fĂŒrs Foodtruck-Business?
Jein. Vom Personal her erleben wir das Ă€hnlich wie die stationĂ€re Gastronomie: Es ist wahnsinnig schwierig, qualifiziertes Personal zu finden. Gleichzeitig beobachten wir eine HĂ€ufung von Neueinsteigerinnen und Neueinsteigern in die mobile Gastronomie. Diese Tendenz zeichnete sich vorher schon ab, die Pandemie war aber ein Multiplikator. Die Leute hatten Zeit, darĂŒber nachzudenken, was sie in ihrem Leben tun wollen, und der Wunsch, sich selbststĂ€ndig zu machen, wurde noch grösser als vorher. Zumindest erlebte ich das in meinen Beratungen so: Die Zahl der Anfragen schnellte in die Höhe.

Ist diese Entwicklung Ihrer Ansicht nach begrĂŒssenswert oder gefĂ€hrlich?
Ich finde generell, dass Konkurrenz das GeschĂ€ft belebt, auch wenn die KapazitĂ€ten begrenzt sind. Gute Projekte begrĂŒssen wir als Verband immer. Nun gibt es allerdings Neulinge, die sich mit unausgereiften Konzepten ins Abenteuer Foodtruck stĂŒrzen, und in solchen FĂ€llen muss ich sagen: Leidenschaft ist noch kein Businessmodell. Ohne Leidenschaft geht es nicht – aber es braucht einiges mehr.

Der Betrieb eines Foodtrucks wird gemeinhin also unterschÀtzt?
Das ist möglicherweise so. Ein Foodtruck ist mit tieferen Einstiegsbarrieren verbunden als ein CafĂ©, eine Bar oder ein Restaurant. Es fallen weniger Fixkosten an, weil man nicht gleich ein Lokal, sondern allenfalls nur einen Parkplatz mieten muss. Und obschon man gewisse Investitionskosten fĂŒr das Fahrzeug hat, gibt es recht gĂŒnstige Varianten: Ein Trailer kostet zum Beispiel deutlich weniger als ein Truck. GrundsĂ€tzlich finde ich es schön, dass die HĂŒrden so tief sind, aber es ist klar, dass sich die Spreu vom Weizen trennen wird.

Nun geniessen Foodtrucks ja nicht nur den besten Ruf.
GrundsĂ€tzlich sind wir als Verband bestrebt, den Ruf der Branche kontinuierlich zu verbessern. Es ist aber so, dass gerade an den Streetfood-Festivals oftmals neue und noch nicht so erprobte Foodtruck-Konzepte vertreten sind, die dann nicht immer ein optimales gastronomisches Erlebnis liefern können. Die etablierten Unternehmer und Unternehmerinnen, die schon lĂ€nger mit einer hohen QualitĂ€t auf dem Markt sind, haben in den Sommermonaten volle AuftragsbĂŒcher dank privaten Caterings. Denn diese sind tendenziell lukrativer.

Inwiefern?
Ganz einfach: Ein Catering-Auftrag ist genau kalkulierbar. An öffentlichen Veranstaltungen hingegen lĂ€sst sich der Umsatz kaum absehen, nur schon wegen der AbhĂ€ngigkeit vom Wetter. Gleichzeitig sind die Fixkosten hoch: Man zahlt Standplatzmieten, obendrauf kommt zum Teil eine Umsatzabgabe. Verstehen Sie mich nicht falsch: NatĂŒrlich bieten solche Events der mobilen Gastronomie eine tolle und wichtige Plattform, um sich zu prĂ€sentieren. Aber sie sind auch mit Risiken verbunden. Wenn beispielsweise die Platzierung noch ungĂŒnstig ausfĂ€llt oder zu viele Mitbewerberinnen und Mitbewerber vor Ort sind, weil man dem Publikum eine möglichst grosse kulinarische Bandbreite bieten will, wird die Teilnahme fĂŒr so manches Foodtruck-Unternehmen zum VerlustgeschĂ€ft.

Konkurrenz ist auch im Hinblick auf andere Branchenzweige ein Thema.
Ich sehe das, klar: Foodtrucks fĂŒhren zu mehr Wettbewerb und sind von der stationĂ€ren Gastronomie nicht nur gern gesehen. Gleichzeitig beobachten wir, dass sich die beiden Sparten zunehmend vermischen. Immer mehr Unternehmerinnen und Unternehmer erkennen das Potenzial, das in der Symbiose steckt: Das gilt fĂŒr Foodtruck-Betreibende, die parallel ein Restaurant aufbauen, genau wie fĂŒr Wirtinnen oder Wirte, die zusĂ€tzlich auf ein mobiles Konzept setzen.

FĂŒr wen konkret ist ein Foodtruck denn eine gute Option?
Lassen Sie es mich so sagen: Auf jeden Fall ist ein Foodtruck nicht die Lösung, wenn es schlecht lÀuft. Es braucht vermutlich schon einen gewissen Bekanntheitsgrad, damit ein zusÀtzliches mobiles Konzept Erfolg hat. Wenn das gegeben ist, finde ich die mobile Gastronomie allerdings ein sehr schönes GeschÀft, weil man eben unterwegs sein kann und sehr nahe bei den GÀsten ist. Die lebendige Szene hat grosses Entwicklungspotenzial. Gerade deshalb finde ich es so wichtig, dass wir uns formieren und auf ein solides Fundament stellen. Zurzeit zÀhlt der Verband rund 100 Mitglieder. Wir wollen langsam, aber kontinuierlich wachsen, die Leute miteinander vernetzen und aus EinzelkÀmpferinnen und EinzelkÀmpfern eine Einheit machen. Gemeinsam können wir mehr Kraft entwickeln.

WofĂŒr brauchen Sie die?
Wenn die Branche weiterhin so wĂ€chst, werden irgendwann zusĂ€tzliche Reglementierungen auf uns zukommen. Solche Effekte kann man in anderen LĂ€ndern beobachten. Wir wollen uns auf solche Entwicklungen gut vorbereiten und, wenn es so weit ist, bereits ein gewisses Gewicht haben – sodass wir auch auf dem politischen Parkett mitreden können und unsere Anliegen gehört werden.

Zur Person 
Als die ETH an ihren verschiedenen Standorten PlĂ€tze fĂŒr mobile Gastronomiekonzepte zur VerfĂŒgung stellte, um das Angebot der eigenen Mensen zu ergĂ€nzen, gehörte sie in ZĂŒrich damit zu den Pionierinnen. Am Projekt beteiligt war auch Andreas Seiler (35): Er amtete als Streetfood-Verantwortlicher der Hochschule. Weil ihm damals eine Plattform fĂŒr den Überblick ĂŒber die Angebote der Branche fehlte, grĂŒndete er seine eigene: Seit sechs Jahren betreibt der ZĂŒrcher, der an der Fachhochschule GraubĂŒnden ein Tourismus-Studium mit Vertiefungsfach E-Commerce absolvierte, die Seite Foodtrucks-schweiz.ch. Ende 2019 grĂŒndete er gemeinsam mit anderen Foodtruck-Betreibern den Foodtruck Verband Schweiz, um die Vertretung und Vernetzung des jungen, aber stark wachsenden Gastronomiezweigs zu stĂ€rken. Seiler steht dem Verband als PrĂ€sident vor und verantwortet die GeschĂ€ftsstelle.
foodtruck-verband.ch 



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